J. Peirano: Meine neue Flamme ist sehr unzuverlässig und lässt mich zappeln

Eigentlich fühlt sich Nancy mit ihrem neuen Freund Felix sehr wohl. Wenn er bloss nicht so unverbindlich wäre…

Liebe Frau Peirano,

ich (w, 36) habe auf einer Feier einen Mann (Felix, 40) kennengelernt, mit dem sofort eine große Anziehung da war. Er hat dann nach meiner Telefonnummer gefragt und sich jeden Tag bei mir gemeldet.

Für unser erstes Treffen hat er dann einen Drink an einem Abend um 21 Uhr unter der Woche vorgeschlagen, was mir ehrlich gesagt nicht so gut passte, da ich eine achtjährige Tochter habe. Trotzdem habe ich mich natürlich gefreut und war auch aufgeregt. Er hat dann das Treffen noch spontan auf 21:30 verschoben, weil sein Meeting länger gedauert hat.

Unser Treffen war sehr schön und vertraut und wir haben uns zum Abschied geküsst und wieder jeden Tag kurz geschrieben. Er schlug vor, am Wochenende darauf (also ca. zehn Tage später) etwas zu machen, da er zwischendurch unterwegs war. Das Wochenende näherte sich und ich versuchte, aus seinen Worte seine Pläne mit mir herauszuhören. Aber er erzählte davon, dass er einen alten Freund wiedersehen wollte und auf jeden Fall zum Sport wollte. Ich war schon etwas enttäuscht, bis er fragte, was ich Sonntag Nachmittag machen würde.

Ich habe mir den Sonntag Nachmittag frei gehalten und eine Betreuung für meine Tochter organisiert, und dann rief er mich um 17 Uhr an und fragte, worauf ich Lust hätte. Wir sind dann um 18 Uhr spazieren und eine Kleinigkeit essen gegangen. Es war wieder sehr schön und er ist sehr körperlich, legt den Arm um mich und macht mir Komplimente.

Ich will das jetzt nicht alles aufzählen, aber so ging es die nächsten zwei Monate weiter. Wir hatten auch schon ein paarmal Sex, was sehr schön war. Er hat sehr viel um die Ohren, ist sehr beschäftigt und macht vieles (oder alles?) spontan, jedenfalls mit mir. Wenn ich mal gefragt habe, was er an den nächsten Abenden macht, hat er mir ganz offen seine Pläne erzählt (Sport, Freunde treffen, beruflich unterwegs). Er hat mir aber auch gesagt, dass ich die erste Frau seit seiner letzten Freundin bin, mit der er sich eine Beziehung vorstellen kann. Er hat auch Gefühle für mich. Er trifft auch keine anderen Frauen, das hat er von sich aus erzählt.

Aber ich merke, dass ich immer angespannter und unzufriedener werde, weil er so wenige Treffen vorschlägt und die dann auch noch verkürzt oder spontan absagt (er nennt das “verschieben”). Ich habe auch schon versucht, mein eigenes Ding zu machen und mein Wochenende so zu verplanen, dass ich keine Zeit mehr für ihn habe. Ich schalte auch das Handy absichtlich auf Flugmodus, damit er mich nicht erreichen kann und damit ich nicht enttäuscht bin. Das habe ich einmal an einem Wochenende gemacht, als er sich nicht rechtzeitig für unser Treffen gemeldet hat. Er hat das nicht mal gemerkt.

Manchmal kündigt er an, dass er abends vorbei kommen und bei mir übernachten will. Ich frage dann, wann er ungefähr kommt, und er sagt, gegen 19 Uhr. Dann kommt er erst um 21 Uhr oder später, meldet sich zwischendurch und sagt, dass er noch was zu tun hat, und ich bin dann eigentlich schon in der Stimmung, um schlafen zu gehen.

Ich habe ihn mal darauf angesprochen und er hat gar nicht so richtig verstanden, was ich gemeint habe. Das Gespräch war irgendwie blöd. Er meinte auch, dass er sich jetzt unter Druck gesetzt fühlt und ob es nicht schöner sei, sich spontan zu treffen, wenn beide Lust hätten. Ich habe dann gesagt, dass mir Zuverlässigkeit sehr wichtig ist und er meinte, er würde sich das zu Herzen nehmen. Aber danach hat sich nichts geändert, und ich fühle mich unsicher und enttäuscht. Ich bin in ihn verliebt und möchte das auch versuchen, aber gerade bin ich mit meinem Latein am Ende. Was raten Sie mir?

Viele Grüße
Nancy G.

Liebe Nancy G.,

Sie erleben etwas, was ich schon sehr oft von Frauen in der ersten Phase des Kennenlernens gehört habe. Von Männern habe ich das übrigens noch nicht in dieser Form gehört. Ich kann mir vorstellen, dass es mit tradierten Erwartungen bei der Partnerwahl zu tun hat, insbesondere der weit verbreiteten Vorstellung, dass die Initiative für die Treffen vom Mann ausgehen soll. Die meisten Frauen wollen auf keinem Fall einem Mann hinterherlaufen und haben Angst davor, ihn durch ihre Wünsche nach Kontakt unter Druck zu setzen. Deshalb begeben sich viele Frauen genau wie Sie in eine abwartende Rolle und hoffen, dass der Mann sich zuverlässig meldet und regelmäßige schöne Treffen vorschlägt. Vielen Männern ist wiederum nicht klar, was in den Köpfen und Herzen der Frauen vorgeht und wie verunsichert und gestresst diese davon sind, dass er sich nicht oder nicht genug meldet.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Es gibt übrigens eine (zugegebenermaßen sehr umstrittene und außerdem auf die amerikanische Gesellschaft angepasste) Anleitung, wie Frauen durch strenge Verhaltensregeln dafür sorgen, dass Sie eine Partner finden, der Sie umwirbt. So sparen sie sich genau den Frust, den Sie gerade erleben. Lesen Sie das doch auch einmal durch und schauen Sie, ob Sie einige dieser Regeln für sich übernehmen können:
Ellen Fein, Sherrie Schneider: Die Kunst, den Mann fürs Leben zu finden. Alle Regeln in einem Band.

Ich würde gerne einmal den Finger in diese persönliche und gesellschaftliche Wunde legen und Ihnen raten, sich mit dem Thema auf einer gesellschaftlichen Ebene auseinander zu setzen.

Durch das Verständnis der Soziologie wird Ihr Problem allgemeiner und damit weniger persönlich. Deshalb bekommt die Frage, ob Sie eventuell etwas falsch gemacht haben oder ob etwas mit Ihnen nicht stimmt, viel weniger Gewicht.

Die Soziologin Eva Illouz hat sich intensiv mit der Partnerwahl in unserer heutigen Zeit beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass die Partnerwahl in der Moderne den Gesetzen des Kapitalismus unterliegt: Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt.

Dabei besteht eine Asymmetrie der Partnerwahl in den Zeiten des Online-Datings: Die Männer profitieren von dem Überangebot an potenziellen Partnerinnen, während die Frauen die Leidtragenden sind. Auch ich beobachte das in meiner Praxis: Die Frauen kämpfen und bemühen sich um den  Mann, während viele Männer sich umwerben lassen. Und das hat wieder mit dem alten Bild, dass der Mann um die Frau werben und die Frau auf keinem Fall dem Mann hinterher laufen soll, nichts zu tun. Es ist eine sehr schwierige Situation!
Ich empfehle Ihnen, auch wenn das Lesen schmerzhaft ist, als Grundlage die unten genannten Bücher.

Eva Illouz: Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen.

Eva Illouz: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung.

So viel zu den Grundlagen. Ich werde jetzt aber konkreter und schildere ein paar Strategien, mit denen Sie sich aus Ihrer hilflosen und abwartenden Position befreien können.

  • So wie Sie es beschreiben, hat Felix sich nicht verändert, sondern war von Anfang an unverbindlich und etwas selbstbezogen in seinen Vorschlägen für Ihre Treffen.
    Warum haben Sie das am Anfang mitgemacht? Was hat Sie daran gehindert, gleich am Anfang klarzustellen, dass Ihnen das so nicht gefällt?
    Ich habe oft beobachtet, dass viele Frauen erst einmal ein Vorschussvertrauen in den Mann setzen. Sie lassen sich erst eine Weile lang gewisse Dinge gefallen und hoffen, dass es sich mit der Zeit ändern wird. Der Mann ahnt aber von dieser geheimen Bedingung und dem geheimen Zeitplan der Frau nichts und wundert sich, wenn sich plötzlich der Wind dreht und das, was er die ganze Zeit gemacht hat (sich so herrlich unkompliziert und spontan zu treffen) plötzlich gegen ihn gerichtet wird. Er fragt dann (zu Recht): Was ist denn jetzt plötzlich los mit dir?
  • Reflektieren Sie doch einmal die Situation aus Felix’ Perspektive: Auf der einen Seite wünschen Sie sich, dass er zuverlässig ist und sich um Treffen kümmert. Auf der anderen Seite sind Sie dann auch nicht erreichbar und haben andere Pläne (um sich insgeheim vor Enttäuschungen zu schützen). 
    Wie soll Felix bei diesem Kuddelmuddel darauf kommen, wie Sie sich fühlen und wie soll er spüren, dass Sie es ernst meinen mit der Zuverlässigkeit? Die meisten Menschen gehen davon aus, dass andere genau so ticken wie sie selbst. Ich kann mir gut vorstellen, dass Felix seine Freiheit genießt und auch ab und zu Lust hat, Sie zu sehen. Aber da es so gut spontan klappt (weil Sie ja immer verfügbar sind), ahnt er nicht das geringste bisschen von Ihrem Stress und Ihren Bemühungen, sich verfügbar zu halten. Er weiß nicht, dass Sie viel Zeit damit zubringen, auf ihn zu warten, weil er nämlich nicht auf Sie wartet. Er lebt sein Leben einfach weiter.
  • Was wäre eigentlich, wenn Felix sich nicht ändert (so wie er sich auch nach Ihrem ersten Problemgespräch nicht geändert hat)? Können Sie sich vorstellen, einen Partner zu haben, der  nur für sich denkt und keine Verantwortung für die Partnerschaft übernimmt? Wie erklären Sie sich das eigentlich, dass ein 40-jähriger Mann das kleine Einmaleins von Verabredungen nicht gelernt hat? Ist er auch mit sich und seinem Leben so unverbindlich, oder kümmert er sich um die Verabredungen mit seinen Freunden, seinen Kunden etc. akribisch und ist nur mit Ihnen so? Letzteres wäre ein Hinweis darauf, dass er Probleme mit Frauen hat und es passiv-aggressiv so dreht, dass die Frauen sich von einer komplizierten, nervösen und fordernden Seite zeigen. Schauen Sie sich doch mal an, wie er generell Verabredungen handhabt!
    Wie würde es Ihnen langfristig mit der praktischen Komponente gehen, also dass Sie ihn so selten sehen, dass die Treffen nie verbindlich sind von seiner Seite, dass er zu spät kommt oder absagt? Wollen Sie immer für alle Fälle einen Babysitter suchen oder sich verfügbar halten, falls das Treffen klappt? Wie ginge Ihnen das Weihnachten, an Ihrem Geburtstag, bezüglich Urlauben?
    Ich habe mal eine Frau mit einem ähnlichen Partner beraten, der sich bis zum 24.12. um 21 Uhr nicht zu der Weihnachtsplanung geäußert hat, so dass sie dann weinend mit einer Flasche Sekt alleine in ihrer Badewanne gefeiert hat…
  • Wie ist es mit der emotionalen Komponente: Wie stark sind Sie dazu bereit, die Gefühle von Wut, Ärger, Unsicherheit, Ohnmacht und die vielen Zweifel zu ertragen? Kennen Sie diese Gefühle von früher, z.B. aus Ihrer Kindheit? Wenn ja: Wollen Sie diese einmal aufarbeiten, um sie nicht zu wiederholen?

Es kommt erschwerend dazu, dass die Situation über kurz oder lang zu einem Machtspiel führt: Der Mann verhält sich ungebunden und denkt nur für sich, die Frau erträgt es oder versucht es, Verbindlichkeiten herzustellen. Dadurch gerät sie in eine Bittsteller-Position, und der Mann kann ihr vorwerfen, dass sie Druck ausübt. Das ist wiederum schlecht für ihr Selbstwertgefühl, weil sie nicht respektiert, umworben und geschätzt wird, sondern sich dauernd lästig und abgewiesen fühlt. Hier sind wir wieder bei der Asymmetrie, die schon Eva Illouz benannt hat.

Auf der Lösungsebene wäre diese Situation relativ leicht zu klären, so dass Sie beide aus der unangenehmen Verwicklung heraus kommen. Sie könnten sich darüber austauschen, wie oft Sie sich beide treffen wollen und diese Treffen verbindlich abmachen. Die Daumenregel wäre: Lieber seltenere Treffen, aber die sollten verbindlich sein. Dazu gibt es eine Sprachregelung, die zwischen Ihnen genau klärt, ob die jeweilige Verabredung ein verbindliches Treffen ist oder eine Option (“Vielleicht komme ich heute Abend vorbei. Dann würde ich dir bis 20 Uhr Bescheid sagen und bis 20.30 da sein.”) Gleichzeitig wäre es wichtig, dass Sie Grenzen setzen und z.B. sagen, dass ein spontaner Besuch ab 21 Uhr zu spät ist.

Das klingt nicht schwer und sollte es eigentlich auch nicht sein, wenn nicht tiefere Motive hier eine Rolle spielen wie eine Bindungsstörung, fehlender Respekt gegenüber anderen oder Defizite mit dem Zeitmanagement.

Auf jeden Fall würde ich Ihnen raten, wieder Ihr eigenes Leben zu stärken und sich unabhängig von Felix schöne Pläne für Ihre Freizeit zu machen. Sie kennen ihn jetzt zwei Monate und lassen schon Ihr Leben um ihn drehen, obwohl es so unbefriedigend ist. Es wäre für Sie beide gut, dieses Ungleichgewicht schnell wieder zu verändern.

Herzliche Grüße und alles Gute für Sie,
Julia Peirano

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