Deutschland steht der Ukraine in ihrem existenziellen Kampf zur Seite – POLITICO

Jens Plötner ist außen- und sicherheitspolitischer Berater des deutschen Bundeskanzlers. Andriy Yermak ist der Leiter des Büros des Präsidenten der Ukraine.

Die Welt befindet sich derzeit in turbulenten Gewässern und steht vor dem, was manche als „perfekten Sturm“ geopolitischer, geostrategischer und wirtschaftlicher Herausforderungen bezeichnen. Im Mittelpunkt steht Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine mit seinen weitreichenden globalen Auswirkungen auf Ernährungs- und Energiesicherheit, Lieferketten, makrofinanzielle Stabilität, Inflation und Wirtschaftswachstum.

Russlands Invasion in der Ukraine stellt eine gewaltige Sicherheitsherausforderung dar. Es hat unauslöschliche Spuren auf der Landkarte Europas hinterlassen und seine politische und wirtschaftliche Dynamik verändert. In seiner Rede vom 27. Februar 2022 bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz den Angriffskrieg Russlands als einen Zeitenwende – ein Wendepunkt, nach dem die Welt nicht mehr dieselbe sein würde. Tatsächlich hat der Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin den Frieden auf dem Kontinent zerstört und stellt eine „Rückkehr des Imperialismus“ dar.

Obwohl es sich hierbei um einen Krieg in Europa handelt, hat er weitreichende globale Folgen. Es hat etablierte Normen internationalen Verhaltens in Frage gestellt und die Widerstandsfähigkeit internationaler Institutionen auf die Probe gestellt. Die Tragfähigkeit der globalen Sicherheitsordnung nach dem Ende des Kalten Krieges ist heute eine zentrale Frage. Darüber hinaus hat die russische Invasion Fragen zur Wirksamkeit bestehender internationaler Mechanismen zur Konfliktlösung aufgeworfen.

Für die Ukraine ist dies ein existenzieller Kampf um die Sicherung einer freien und demokratischen Zukunft, da Russland ihre Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität bestreitet. Daher ist es keine Überraschung, dass die euroatlantische Gemeinschaft Russland als die unmittelbarste Bedrohung ihrer Sicherheit ansieht.

Und Deutschland steht der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung gegen die Aggression Russlands zur Seite.

Zum ersten Mal in seiner jüngeren Geschichte stellt Deutschland einer Kriegspartei militärische Unterstützung und Waffen zur Verfügung und ist zum zweitgrößten Geber von Militärhilfe für die Ukraine geworden. Auch die deutsche Gesellschaft engagiert sich, um dem Land zu helfen, denn mehr als eine Million Ukrainer haben in Deutschland Zuflucht gefunden und über 200.000 ukrainische Kinder besuchen mittlerweile deutsche Schulen.

Von der Bereitstellung humanitärer Hilfe über die Ausrüstung zur Stromerzeugung bis hin zur Behandlung ukrainischer Soldaten und Kinder in deutschen Krankenhäusern kann man diese Bemühungen kaum überbewerten. Im September beispielsweise erschütterte die Rückkehr von Roman Oleksiiv, dem 8-Jährigen aus Winnyzja, die ukrainische Nation. Die Hälfte seines Körpers war bei einem russischen Luftangriff verbrannt worden, und deutsche Ärzte wirkten Wunder, als er ihn rettete.

Gleichzeitig hat die Nordatlantische Allianz mutige Entscheidungen getroffen, um auch Abschreckung und Verteidigung weiter zu stärken. Der jüngste NATO-Gipfel in Vilnius trug zur Stärkung der Partnerschaft zwischen der Ukraine und der NATO bei. Und nach der gemeinsamen Unterstützungserklärung der G7 für die Ukraine führen Berlin und Kiew nun intensive Gespräche über bilaterale Sicherheitsverpflichtungen, die darauf abzielen, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine aufrechtzuerhalten, ihre Widerstandsfähigkeit langfristig zu erhöhen und künftige Aggressionen abzuschrecken.

Durch bedeutende mehrjährige Zusagen steht Deutschland an der Spitze der Bemühungen, die Ukraine mit einer klaren Botschaft zu unterstützen: Wir sind solidarisch mit der Ukraine und unterstützen sie „so lange es dauert“.

Die Ukraine gehört zur europäischen Familie. Sowohl die Europäische Union als auch die Ukraine und Deutschland werden von der europäischen Integration der Ukraine profitieren und die Handlungsfähigkeit der EU stärken. Die Ukraine hat sich der Umsetzung von Reformen verschrieben und ist hochmotiviert, trotz des Krieges weiterzumachen. Es wird den Kurs beibehalten und Deutschland wird die Ukraine weiterhin bei der Umsetzung der notwendigen Reformen unterstützen. Wir begrüßen daher die historische Entscheidung des Europäischen Rates, den EU-Beitritt mit der Ukraine zu eröffnen, und fordern den Rat auf, den Verhandlungsrahmen anzunehmen, sobald die relevanten Schritte, die in den Empfehlungen der Kommission vom 8. November 2023 dargelegt sind, ergriffen werden.

Die Ukraine hat sich zur Umsetzung von Reformen verpflichtet und ist hochmotiviert, den Beitritt voranzutreiben. Und Deutschland wird die Ukraine weiterhin bei der Umsetzung der notwendigen Reformen unterstützen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die grausamen Terroranschläge der Hamas und die Reaktion Israels in legitimer Selbstverteidigung unsere Entschlossenheit nicht geschwächt oder unsere Aufmerksamkeit abgelenkt haben. Wir müssen uns auch daran erinnern, was bisher erreicht wurde: Die Ukraine hat nach ihrer umfassenden Invasion über 50 Prozent der von Russland besetzten Gebiete befreit – eine Aktion, die Putin fälschlicherweise für eine schnelle Militäraktion hielt.

Heute beobachten wir, dass die Wirtschaft der Ukraine trotz der anhaltenden Versuche Russlands, seinen Produktions- und Agrarsektor zu lahmlegen, unter anderem durch anhaltende Angriffe auf Hafenanlagen und Infrastruktur an der Donau und am Schwarzen Meer, wieder wächst.

Aber wie kann man Russlands Krieg gegen die Ukraine beenden und einen gerechten und dauerhaften Frieden erreichen? Bisher war es leider äußerst schwierig, eine Lösung zu finden.

Kein Land wünscht sich mehr Frieden als die Ukraine. Aber lassen Sie uns klarstellen: Ein einfacher Waffenstillstand heute käme einer Legitimierung der russischen Landnahme gleich und würde den Weg für einen weiteren eingefrorenen Konflikt ebnen – ein Szenario, das sowohl ungerecht als auch gefährlich und darüber hinaus unhaltbar ist.

Manchmal werden wir mit der Vorstellung konfrontiert, dass jede Verhandlungslösung oder umfassendere Überarbeitung der europäischen Sicherheitsarchitektur auch Russlands „legitime Sicherheitsbedenken“ berücksichtigen muss. Erinnern wir uns jedoch daran, dass sowohl die NATO als auch die USA als Reaktion auf die Vorschläge Russlands vor dem aktuellen Krieg bereit waren, eine umfassendere Diskussion über die europäische Sicherheit aufzunehmen, an der alle relevanten Länder beteiligt waren, mit dem Ziel, Stabilität und Transparenz zu fördern und die Wahrscheinlichkeit zu verringern zukünftiger Konflikte. Doch statt eine Diskussion in gutem Glauben zu führen, entschied sich Russland dafür, den Weg des Krieges einzuschlagen.

Daher scheint es uns offensichtlich, dass die eigenen Sicherheitsbedenken, wie auch immer sie wahrgenommen werden, eine Invasion eines friedlichen Nachbarlandes nicht rechtfertigen sollten und können.

In der Zwischenzeit erleben wir erneut, wie Russland auf Praktiken des Kalten Krieges zurückgreift und versucht, den Konflikt auszuweiten, indem es Stellvertreterkräfte in anderen Teilen der Welt einbezieht und die antiwestliche Stimmung im globalen Süden ausnutzt. Es ist mehr als zynisch, dass Russland seinen imperialistischen Krieg zunehmend mit antikolonialer Rhetorik zu rechtfertigen versucht.

Hier bietet der Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der auf der UN-Charta basiert und im Völkerrecht verankert ist, einen Ausweg. Und es kann nicht oft genug betont werden, dass es die Ukraine ist – das Opfer einer unprovozierten Aggression –, die den Mut aufbringt, der Welt einen Friedensplan vorzulegen, während Russland weiterhin auf einem diktierten Frieden besteht, der entweder zu seinen eigenen Bedingungen oder zu seinen eigenen Bedingungen erreicht wird mit militärischen Mitteln.

Inspiriert durch Selenskyjs Friedensplan haben sich die Ukraine, Deutschland und viele andere gleichgesinnte Staaten daher zusammengeschlossen, um einen gemeinsamen Aktionsplan zu entwickeln. Gemeinsam haben wir aktiv an den Treffen nationaler Sicherheitsberater in Kopenhagen, Jeddah und Malta teilgenommen, und die Vorbereitungen für ein weiteres Treffen dieser Art sind bereits im Gange.

Der Kerngedanke dieses Prozesses besteht darin, mit globalen Partnern eine eingehende Diskussion über die Auswirkungen des russischen Krieges zu führen und dabei gemeinsame Interessen und Anliegen hervorzuheben, um letztendlich eine größtmögliche internationale Unterstützung für einen Friedensprozess in der Ukraine zu erreichen. Wie Zelenskyy es ausdrückte, ist der Friedensplan globaler Natur, da das dahinterstehende Konzept die Möglichkeit bietet, einen gerechten und gleichermaßen sicheren Frieden für alle Nationen zu erreichen.

In diesem Sinne sind sich die Ukraine und Deutschland darin einig, dass Einheit und gemeinsame Anstrengung der einzige Weg sind, die Sicherheit auf der Grundlage der Grundsätze des Völkerrechts wiederherzustellen.

Unsere beiden Länder sind entschlossen, eine regelbasierte internationale Ordnung mit einer starken UNO als Herzstück zu verteidigen und aufrechtzuerhalten. Dazu gehören Rechte und Regeln, die für alle Staaten gleichermaßen Schutz und Pflichten schaffen – darunter die Achtung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, die souveräne Gleichheit aller Staaten, ein friedlicher Interessenausgleich und Konfliktverhütung sowie multilaterale Zusammenarbeit zum Wohle der Menschheit und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen.

Dies gilt nicht nur für die Verwirklichung des Friedens in der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt.


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