Neue Bundesregierung: Der Kanzler und sein Kabinett

Stand: 07.12.2021 08:05 Uhr

Heute soll der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden. Das Kabinett der Ampel-Koalition steht bereits. Wer sind die Ministerinnen und Minister? Was zeichnet sie aus, was ist von ihnen zu erwarten?

Zum ersten Mal gibt es mehr Ministerinnen als Minister, statt 16 sind es nun 17 Mitglieder: Das Kabinett von Olaf Scholz steht – heute soll der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden. Am Mittwoch wird dann wohl Scholz vom Bundestag zum neuen Kanzler gewählt und das neue Kabinett ernannt und vereidigt.

Wer aber sind die Mitglieder des Kabinetts? Welche Schwerpunkte haben sie bisher gesetzt? 17 Porträts unserer Hauptstadtkorrespondenten:

SPD

Grüne

FDP

Von Nicole Kohnert, ARD-Hauptstadtstudio

“Die Führung ist jetzt da”, macht Scholz immer wieder klar, auf die Frage, wo er eigentlich die letzten Tage war, als Deutschland vom zukünftigen Kanzler Lösungen raus aus der Pandemie-Krise hören wollte. Er sehe die Verantwortung für das ganze Land, ja, Aufgaben für den ganzen Planeten, betont er auf dem SPD-Parteitag. Er ist kein Typ der zu vielen Worte, der zu vielen Auftritte. Auch nicht der flotten Sprüche, wie frühere SPD-Kanzler.

Er ist der Stratege, der im Hintergrund viel verhandelt – das hat er gelernt, als Arbeitsrechtler, als regierender Bürgermeister in Hamburg, als Vize-Kanzler, als Finanzminister – die Liste seiner Führungsaufgaben ist lang. Skandale sitzt er aus: von Cum-Ex bis Wirecard. Er formuliert daraus eine Positiv-Geschichte, wie er die Finanzbehörden daraufhin reformiert hat. Der ehemalige US-Botschafter John Kornblum bezeichnete ihn als vielleicht langweiligsten Mann Deutschlands. Aber das würden die Deutschen nun einmal mögen. Andere nennen es Sehnsucht nach Stabilität. In der Pandemie ist die Sehnsucht nach einem Technokraten wie Scholz, der alles geräuschlos regelt, sicherlich groß. Genauso die Aufgaben, die auf ihn jetzt zukommen werden.

Kein Typ der zu vielen Worte, sondern ein Stratege, der im Hintergrund verhandelt: Olaf Scholz wird der neue Bundeskanzler.

Bild: dpa

Von Ulrich Meerkamm, ARD-Hauptstadtstudio

Wenn jemand für Kontinuität in der Bundes-SPD steht, dann Hubertus Heil. Seit 1998 gehört der gebürtige Niedersachse dem Deutschen Bundestag an. Seitdem hat er sein Direktmandat immer verteidigt. Weniger erfolgreich war er in seiner Zeit als Generalsekretär als Wahlkampfmanager. Das Amt übte er von 2005 bis 2009 und noch einmal kurzfristig 2017 aus. Bei den Wahlen 2009 und 2017 erzielte die Partei ihre beiden schlechtesten Nachkriegsergebnisse. Immerhin gehörte er zu den Generalsekretären, die bei ihrer Wiederwahl mit einem besseren Ergebnis im Amt bestätigt wurden. Dies zeigt, dass es Heil gelang, seine Verankerung bei der Parteibasis auszubauen. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass Heil als einer der wenigen SPD-Kandidaten von Anfang an für einen Ministerposten als gesetzt galt.

Politisch steht Heil für einen linksliberalen Kurs. In seiner Zeit als Minister für Arbeit und Soziales in der Großen Koalition lag ihm vor allem das Tarifrecht am Herzen. So fallen in seine Amtszeit die Verabschiedung eines gemeinsamen, allgemeinverbindlichen Tarifvertrages in der Altenpflege oder das sogenannte Paketboten-Schutz-Gesetz, das die soziale Absicherung von Beschäftigten im Kurierdienst verbessert.

Ein Zeichen der Kontinuität in der SPD: Hubertus Heil bleibt Arbeitsminister.

Bild: ANDREAS GORA/POOL/EPA-EFE/Shutte

Von Michael Stempfle, ARD-Hauptstadtstudio

Mit der Nominierung von Nancy Faeser als Innenministerin ist Scholz eine Überraschung gelungen. Dabei wird die Landespolitikerin in der Bundes-SPD schon seit Jahren immer wieder gelobt und für höhere Ämter gehandelt.

Faeser war zwölf Jahre lang innenpolitische Sprecherin in Hessen. Die 51-Jährige hat sich in Hessen vor allem mit der Aufarbeitung von Verbrechen auseinandergesetzt, die aus der rechtsextremen Szene heraus begangen wurden. Das waren ungewöhnlich viele und ungewöhnlich brutale Vorfälle: etwa der Mord der Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds an Halit Yozgat in Kassel 2006 und der Verstrickung des hessischen Verfassungsschutzes in den NSU-Skandal, die NSU-2.0-Drohbriefe, der Mord an Walter Lübcke 2019 und der Anschlag in Hanau 2020, dem neun Menschen zum Opfer gefallen sind.

Mit der Personalie Faeser setzt Scholz ein klares Zeichen: Diese Bundesinnenministerin ist willens, den immer brutaler auftretenden Rechtsextremismus in Deutschland zu bekämpfen. Und sie scheut sich nicht davor, die Arbeit des Verfassungsschutzes zu hinterfragen. Dass sie nicht zum linken Parteiflügel der SPD gehört, sondern als eher konservative Sozialdemokratin die Bedeutung von Sicherheitsbehörden zu schätzen weiß, wird ihr bei der neuen Aufgabe zugutekommen. Von heute auf morgen eines der größten Ministerien in Deutschland zu führen, das seit 2005 in Hand der CDU war und konservativ geprägt ist, wird zweifelsohne eine gewaltige Aufgabe für Faeser werden.

Schon länger für höhere Ämter gehandelt und doch eine Überraschung: Die hessische SPD-Politikerin Nancy Faeser wird Innenministerin.

Bild: REUTERS

Von Hanni Hüsch, ARD-Hauptstadtstudio

Die Fliege hat er inzwischen abgelegt. Ein Friseur hat die Haare bezwungen. Dass er rheinisch nuschelt gehört zum Gesamtkunstwerk des künftigen Gesundheitsministers. Karl Lauterbach, 57, hat Verehrer, auch weil er anders ist.

Aber Lauterbach spaltet auch. In der Pandemie gilt er als der strenge Mahner. Dafür wird er beschimpft und bedroht. Die Konsequenz mit der Karl Lauterbach für harte Corona-Maßnahmen wirbt, haben ihn für Corona-Leugner und Impfgegner zur Hassfigur gemacht. Aus dem Haus kann er nur noch mit Sicherheitsbeamten.

Lauterbach ist Arzt, Gesundheitsökonom und Epidemiologe, er hat in Harvard studiert, in Köln das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie geleitet. Seit 2005 sitzt er im Bundestag.

Lauterbach dürfte sein Amt anders verstehen als sein Vorgänger Jens Spahn. Er wird mehr auf die Wissenschaft hören. Dass auch die scheidende Kanzlerin, wie er Mahnerin, seinen Ratschlag sucht, lässt er gerne wissen. Er wird aber auch beweisen müssen, dass er jenseits der Pandemiebekämpfung ein wichtiges Ministerium führen kann, dass er das Krankenhaussystem umbauen, den Pflegenotsand bekämpfen und dem Druck so vieler Lobbyisten begegnen kann.

Seit Jahren ist Karl Lauterbach Gesundheitsexperte der SPD, nun wird er Bundesgesundheitsminister.

Bild: dpa

Von Kristin Becker, ARD-Hauptstadtstudio

Nicht die Besetzung an sich, aber das Amt ist die Überraschung: Christine Lambrecht soll Verteidigungsministerin werden. Dass die 56-jährige Hessin auch in der künftigen Ampel-Regierung ein Ministerium leiten sollte, galt schon länger als klar. Gehandelt wurde Lambrecht allerdings fürs Innenministerium. Die Juristin hatte auch selbst keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Innenpolitik bei der Neubesetzung besonders interessiert, hatte sie doch auch im Bundestag, dem sie 23 Jahre lang angehörte, ihren Fokus auf Rechts- und Innenpolitik gelegt.

Seit 2019 ist Lambrecht Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz. Sie kam mitten in der Legislatur ins Amt, weil Katarina Barley ins Europaparlament wechselte. Auch wenn Lambrecht zunächst als Notlösung galt, gelang es ihr schnell, Akzente zu setzen – etwa im Bereich der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität. 2021 übernahm sie zudem kurzfristig das Amt der Familienministerin. Als Verteidigungsministerin will Lambrecht die Auslandseinsätze der Bundeswehr überprüfen, wie sie bei der Vorstellung der SPD-Ministerriege ankündigte.

Eine der großen Überraschungen der neuen Regierung: Die bisherige Justizministerin Christine Lambrecht leitet künftig das Verteidigungsressort.

Bild: picture alliance/dpa

Von Daniel Pokraka, ARD-Hauptstadtstudio

Die 53-jährige Svenja Schulze galt schon vor vier Jahren als Überraschung, als sie von der SPD zur Umweltministerin der letzten Merkel-Regierung nominiert wurde. Diesmal überrascht eher das Ressort, das sie übernimmt. Als Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hatten sie wohl die wenigsten auf dem Zettel. Andererseits gilt Schulze als Allrounderin: In Nordrhein-Westfalen war sie sieben Jahre lang Wissenschaftsministerin und dann kurz SPD-Generalsekretärin, bevor sie als Umweltministerin nach Berlin wechselte.

Dort kämpfte sie beharrlich – im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten einer Umweltministerin – für mehr Klimaschutz, wobei ihr Fridays for Future und das Bundesverfassungsgericht zur Hilfe kamen. Schulze konnte im zweiten Anlauf ein schärferes Klimaschutzgesetz durchsetzen als viele aus Union und SPD vorher gewollt hatten. Als Entwicklungsministerin bleibt ihr das Thema erhalten. Was sich ändert, ist die Perspektive: Schulze wird die deutsche Politik an die Interessen von Entwicklungsländern erinnern, die von der Klimakrise besonders betroffen sind. Auch die internationale Impfkampagne COVAX dürfte die Ministerin beschäftigen.

Svenja Schulze gilt als Allrounderin. Die ehemalige Umweltministerin wird das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung übernehmen.

Bild: dpa

Klara Geywitz ist Parteivize, war Generalsekretärin von Brandenburgs SPD-Chef Dietmar Woidke, sie stand neben Scholz als Kandidatin für den Parteivorsitz auf den Bühnen, sie war direkt gewählte Abgeordnete des Brandenburger Landtags. In der Bundespolitik gilt sie dennoch als unbeschriebenes Blatt. In ihrer Heimat Potsdam gewann sie dreimal hintereinander das Direktmandat und war von 2004 bis 2019 Mitglied des Brandenburger Landtags. Ihr Wiedereinzug in den Landtag scheiterte 2019 an 145 Stimmen im Wahlkreis. 

Sie selbst beschreibt sich als “konkret, lösungsorientiert und sehr verlässlich”. Wenn jemand ihr die Verlässlichkeit verweigert, kann sie aber auch konsequent Absagen erteilen. Ende 2017 blies SPD-Landeschef Woidke die umstrittene Kreisreform kurzerhand ab, ohne Geywitz in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Daraufhin stellte sie das Amt der Generalsekretärin zur Verfügung, das sie seit 2013 innehatte.

Im Landtag war sie Finanzexpertin. Sie leitete den Innenausschuss und begleitete in einem BER-Sonderausschuss den Bau des Flughafens der Hauptstadtregion.  Derzeit ist sie im Landesrechnungshof für Prüfungen im Bereich Bauen, Wohnen und Verkehr zuständig. Das ist genau der Bereich, den sie jetzt als Ministerin zu verantworten haben wird.

Die Brandenburgerin Klara Geywitz übernimmt das neu geschaffene Ministerium für Bauen und Wohnen. In der Bundespolitik gilt sie bisher als unbeschriebenes Blatt. 

Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zenztra

Von Moritz Rödle, ARD-Hauptstadtstudio

Vor schwerer See fürchtet sich Wolfgang Schmidt vermutlich nicht. Schon als Schüler hat er bei einer Hamburger Segelschule gearbeitet und nach eigener Aussage allen möglichen Hamburgern das Segeln beigebracht. Wahrscheinlich hat Schmidt also das Ölzeug für schlechtes Wetter im Kanzleramt schon griffbereit. Schmidt ist vermutlich der engste Mitarbeiter, den Scholz in Berlin hat. Insofern stand sein Name für den Posten des Chefs des Kanzleramtes vermutlich im Notizzettel vieler Journalistinnen und Journalisten im politischen Berlin.

Die Karriere von Schmidt ist eng mit der von Scholz verbunden. Im Jahr 2002 macht der damals neue SPD-Generalsekretär Scholz, Schmidt zu seinem Referenten, später folgt der Jurist seinem Chef auch ins Bundesarbeitsministerium. Zur Stimme und zum verlängerten Arm von Scholz in Berlin wird der 52-Jährige spätestens als Staatsrat und Bevollmächtigter der Stadt Hamburg beim Bund.

Schmidt gilt als Workaholic und absolut loyaler Mitarbeiter. Als Staatsekretär im Finanzministerium und Koordinator der SPD-Ministerien in der Großen Koalition war er auch in der abgelaufenen Legislaturperiode schon so etwas wie ein Chef des Vizekanzleramtes. Groß umstellen muss er sich also nicht. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass sein Chef jetzt die ganze Bundesregierung führt und nicht mehr nur einen Teil davon.  

Mit Wolfgang Schmidt wird ein enger Mitarbeiter von Scholz Chef des Bundeskanzleramts.

Bild: dpa

Von Christian Feld, ARD-Hauptstadtstudio

Mit Annalena Baerbock übernimmt zum ersten Mal eine Frau die Spitze des Auswärtigen Amtes am Werderschen Markt. Hier will sie eine aktive und wertebasierte Außenpolitik machen. Außerdem soll das Außenministerium eine zentrale Rolle in der Klimaaußenpolitik spielen.

Mit Außen- und Europapolitik beschäftigt sich die 40-Jährige schon sehr lange. Jetzt stehen ihr auf der internationalen Bühne Begegnungen mit Amtskollegen aus Russland und China bevor. Hier muss sie ihre Ankündigungen eines härteren Kurses mit Leben füllen.

Hinter Baerbock liegen turbulente Monate. Als erste grüne Kanzlerkandidaten wollte sie Nachfolgerin von Angela Merkel werden. Doch eigene Fehler und ein wenig erfolgreicher Wahlkampf beendeten die Träume vom grünen Kanzleramt. Die gemeinsame Zeit mit Robert Habeck an der grünen Parteispitze galt lange Zeit als sehr erfolgreich. Doch die Unterstützung von Cem Özdemir als Minister hat Baerbock zuletzt scharfe Kritik vom linken Flügel eingebracht.

Hinter Annalena Baerbock liegen turbulente Monate des Wahlkampfes. Jetzt wird die studierte Völkerrechtlerin Außenministerin.

Bild: AP

Wirtschaft und Klimaschutz: Robert Habeck

Von Daniel Pokraka, ARD-Hauptstadtstudio

Der 52-jährige Flensburger leitet das für die Grünen wichtigste Ministerium. Ob seine Partei erfolgreich und zufrieden ist, hängt vor allem davon ab, wie schnell und wie ambitioniert Habeck das Klimaschutzgesetz weiterentwickelt. Erreicht er zu wenig, dürften die Demonstranten von Fridays for Future vor allem vor seinem Ministerium stehen. Dabei ist Habeck beim Klimaschutz auf die Mitarbeit von Ressorts wie Verkehr (FDP-geführt) und Bau (SPD) angewiesen, die auch andere, potenziell entgegengesetzte Interessen haben – und ein Vetorecht gegen klimaschädliche Gesetze, das die Grünen gern gehabt hätten, gibt es nicht.

Weitere Erschwernis: Habeck leitet ein Ministerium, dessen Beamte bisher eher die Interessen von Wirtschaft und Industrie im Auge hatten als den Kampf gegen die Klimakrise. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise wird ihn ebenfalls in Anspruch nehmen. Nützen dürfte Habeck seine Regierungserfahrung: In Schleswig-Holstein war er sechs Jahre Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Energiewende und auch damals schon stellvertretender Regierungschef.

Mit Wirtschaft und Klimaschutz übernimmt Robert Habeck ein Schlüsselministerium des neuen Kabinetts.

Bild: dpa

Von Kristin Joachim, ARD-Hauptstadtstudio

Der langjährige Schattenmann der Grünen ist nun doch noch an seinem Ziel: ein Ministeramt, wenn auch nicht gerade in einem seiner Kerngebiete. Es tobte ein Machtkampf hinter den Kulissen zwischen Anton Hofreiter und ihm. Özdemir ging als Sieger hervor. Immer lauter wurden in den vergangenen Monaten die Stimmen in der Öffentlichkeit, die Grünen könnten nicht ohne eine Person mit Migrationshintergrund in die Regierung gehen.

Doch Özdemir hat mehr zu bieten als seine anatolische Herkunft. Er führte die Grünen fast zehn Jahre lang als einer von zwei Vorsitzenden, wenn auch nicht, ohne einige Scherben zu hinterlassen. Als “One-man-show” wurde er bezeichnet. Dafür ist er in der Bevölkerung einer der beliebtesten Grünen Politiker. Seine Steckenpferde sind die Außenpolitik, der Kampf gegen Rechtsextremismus, und er ist gut vernetzt in die Automobilindustrie, war zuletzt Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Er besitzt ein herausragendes rhetorisches Talent und kann verhandeln. Im Zweifel nützt ihm das für seine neue Aufgabe mehr als Fachkompetenz.

Cem Özdemir setzte sich im innerparteilichen Machtkampf um das Landwirtschaftsministerium durch. Schon lange wurde er für Spitzenposten gehandelt.

Bild: imago images/Arnulf Hettrich

Von Vera Wolfskämpf, ARD-Hauptstadtstudio

Umwelt und Naturschutz mag den meisten Grünen am Herzen liegen. Steffi Lemke ist deshalb in die Politik gegangen. Sie ist in Dessau geboren und aufgewachsen, am damals so dreckigen Fluss Elbe. Das hätte sie geprägt, sagt die Grünen-Politikerin, wie auch die Umweltzerstörungen in der Region Bitterfeld. 1989 war sie Gründungsmitglied der Grünen Partei in der DDR, fünf Jahre später zog sie zum ersten Mal in den Bundestag ein. Sie widmete sich Ernährung und Landwirtschaft, Umwelt und Naturschutz. 2002 wurde sie Bundesgeschäftsführerin der Grünen, bis sie 2013 wieder in den Bundestag gewählt wurde. Seitdem war sie Sprecherin für Naturschutz der Grünen-Fraktion.

Lemke paddelt in ihrer Freizeit gern über die Elbe, startet auch mal eine Müllsammelaktion am Flussufer. Dafür wird künftig wenig Zeit bleiben. Stattdessen kann sich die 53-Jährige an einflussreicher Stelle um saubere Flüsse und Landschaften kümmern: Sie wird Umweltministerin, zuständig auch für nukleare Sicherheit, Verbraucher- und Naturschutz. Als eine von zwei Ostdeutschen am Kabinettstisch will sie, dass die neue Regierung ostdeutsche Biografien besser berücksichtigt und ernst nimmt. Beim Kohleausstieg steht der Klimaschutz für Lemke zwar über allem, auch wenn es schwierig wird für die ostdeutsche Wirtschaft. Doch es dürfe nicht wieder zu Brüchen kommen wie in den 90er-Jahren, der Staat müsse das finanziell und strukturell abfedern.

1989 war sie Gründungsmitglied der Grünen Partei in der DDR, jetzt übernimmt die Dessauerin Steffi Lemke das Umweltministerium.

Bild: EPA

Von Nina Amin, ARD-Hauptstadtstudio

Ohne Familie geht für Anne Spiegel gar nichts. Als der Bundesvorstand der Grünen die 40-Jährige als Bundesfamilienministerin nominierte, wurde zu Hause der Familienrat einberufen. Mit eindeutigem Ergebnis: Spiegels Mann und die vier Kindern ziehen mit von Speyer nach Berlin.

In Rheinland-Pfalz war Spiegel seit dem 18. Mai 2021 Umweltministerin und Stellvertreterin von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Davor fünf Jahre lang Ministerin für Integration und Familie. Als Mutter sei Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur ein politisches Anliegen – es bewege sie auch persönlich sehr, schreibt die Grünen-Politikerin auf ihrer Webseite. Zu Hause kümmert sich ihr Mann um Haushalt und die Kinder im Kita- und Schulalter.

Als Bundesfamilienministerin will sich Spiegel dafür einsetzen, dass Familien in ihrer Vielfalt anerkannt werden. Also neben der Konstellation Mann, Frau, Kind, auch zwei Frauen mit Kind, Patchworkfamilien, Alleinerziehende oder kinderreiche Familien. Auch den Kampf gegen Kinderarmut in Deutschland will sie zur Chefinsache machen.

Spiegel, die nach eigener Aussage Second-Hand-Mode mag und am liebsten in Turnschuhe und Jeans rumläuft, ist mit Baerbock das jüngste Mitglied am Kabinettstisch der künftigen Bundesregierung.

Anne Spiegel war bereits Familienministerin in Rheinland-Pfalz – jetzt übernimmt sie das Amt auf Bundesebene.

Bild: imago images/Rainer Unkel

Von Markus Sambale, ARD-Hauptstadtstudio

Christian Lindner ist als Finanzminister am Ziel angekommen: Mit langem Atem hat er die FDP – und sich selbst – an die Macht geführt. Als Parteichef, Fraktionschef und Spitzenkandidat hatte er die FDP in den vergangenen Jahren zu einer One-Man-Show gemacht. 

Lindner, 1979 in Wuppertal geboren, legte eine steile Karriere hin: Mit 21 Jahren zog er als jüngster Abgeordneter in den NRW-Landtag ein. 2013 übernahm er den Vorsitz der Bundespartei, als die Freien Demokraten gerade aus dem Bundestag geflogen waren.  

Als FDP-Chef suchte Linder die Aufmerksamkeit der Medien und provozierte immer wieder, etwa als er gegen Klimaschutz-Aktivisten austeilte. 2017 ließ Lindner die Sondierungsgespräche mit Union und Grünen überraschend platzen. Nachdem die FDP in Umfragen knapp über der Fünf-Prozent-Hürde dümpelte, positionierte Lindner seine Partei als Gegenpol zu harten Corona-Maßnahmen. Im Wahlkampf erklärte er, ihm fehle die Fantasie für eine Koalition unter einem Kanzler Olaf Scholz. Das half ihm am Ende, im Ampel-Koalitionsvertrag viele eigene Forderungen unterzubringen. 

Am politischen Ziel angekommen: Wie angestrebt, wird Christian Lindner das Finanzministerium übernehmen.

Bild: EPA

Von Marcel Heberlein, ARD-Hauptstadtstudio

Bei Marco Buschmann kommt einiges zusammen, das beim Aufstieg in der FDP in den vergangenen Jahren geholfen hat: Er ist männlich, aus Nordrhein-Westfalen, und ein enger Vertrauter von Parteichef Christian Lindner. Als die FDP ihr tiefstes Tief erlebt, bei der Wahl 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, übernimmt Lindner die Partei – und holt Buschmann in sein Team. Seitdem basteln die beiden zusammen am liberalen Comeback. Buschmann wird Bundesgeschäftsführer, später, nach dem überzeugenden Wiedereinzug in den Bundestag, Parlamentarischer Geschäftsführer.

In der Fraktion digitalisiert er die Zusammenarbeit, erdenkt Tools, um zu messen, wie die eigenen Botschaften und Leute in den Medien ankamen. “Strippenzieher” wird über den 44-Jährigen geschrieben, “Stratege”, “Super-Gehirn”. Der promovierte Jurist ist keiner fürs Bierzelt – eher einer für den Hörsaal. Er liest viel, gern auch Philosophie. Als Justizminister wird er konkret abwägen müssen – wie stark wiegt die Freiheit des Einzelnen gegen die Freiheit der Gemeinschaft?

Marco Buschmann gilt als “Strippenzieher” der FDP. Er übernimmt das Justizministerium.

Bild: dpa

Von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Auf den ersten Blick verwundert die Berufung von Bettina Stark-Watzinger für das Bildungsressort. Bislang hat sich die Volkswirtin vor allem in Finanzfragen einen Namen gemacht. Kurz nach ihrer ersten Wahl in den Bundestag 2017 übernahm sie den Vorsitz des Finanzausschusses. Eine Aufgabe, die sie 2020 abgab, als sie Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion wurde.

Zugleich aber wechselte sie in den Haushaltsausschuss und kümmerte sich federführend um den Etat des Bundesbildungsministeriums. In der Folge äußerte sie sich häufiger zu Bildungsthemen, vor allem zur zögerlichen Digitalisierung. Zahlreiche Ideen, die sie im August in einem Zeitungsbeitrag vorstellte, tauchen jetzt im Koalitionsvertrag der Ampel auf. Dazu gehört auch das Ziel, das Grundgesetz zu ändern, um mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern zu ermöglichen.

Bevor sie vollzeitlich in die Politik ging, war die Mutter zweier Töchter u.a. als Geschäftsführerin des angesehenen Frankfurter Instituts für Finanzmarktforschung tätig. Dass sie spontan sein kann, bewies sie bei einer Wahlsendung des HR, als sie live den Song “I will survive” von Gloria Gayner anstimmte.

Viele ihrer Ideen tauchen im Koalitionsvertrag der Ampel auf: die künftige Bildungsministerin Stark-Watzinger.

Bild: dpa

Verkehr und Digitalisierung: Volker Wissing

Von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

Volker Wissing dürfte im neuen Bundeskabinett eine besondere Rolle zukommen. Aus Rheinland-Pfalz bringt er Erfahrung aus einer Ampel-Koalition mit. Er war dort fünf Jahre Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft. Wissing wird der erste Bundesminister für Verkehr überhaupt, den die FDP stellen wird.

Der promovierte Jurist begann seine Laufbahn als Richter und Staatsanwalt, im Bundestag machte er sich ab 2004 einen Namen als Finanzpolitiker. Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag konzentrierte sich Wissing auf die Landespolitik in Rheinland-Pfalz. 2020 berief ihn FDP-Chef Lindner zum Generalsekretär der Partei. Mit seiner sachlich-strategischen und undogmatischen Art trug Wissing zum Erfolg der FDP bei der Bundestagswahl im September bei.

Das Verkehrsressort ist zentral für die Energiewende, die sich die Ampel-Koalition auf die Fahnen geschrieben hat. Eigentlich hatten die Grünen das Ressort für sich beansprucht, zogen aber am Ende den Kürzeren. Für Unmut an der grünen Basis sorgten erste Äußerungen von Wissing, dass er Dieselfahrer nicht zusätzlich belasten wolle. Mobilität müsse bezahlbar bleiben.

Als Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz sorgte Wissing sowohl für den Ausbau von Straßen aber auch der Schiene. Er setzte zudem auf Pilotprojekte für Wasserstoff-LKW und für eine stärkere Digitalisierung in der Landwirtschaft. Wissing wird im Bundeskabinett auch für das wichtige Thema Digitales zuständig sein.

Volker Wissing wird neuer Verkehrsminister. Erfahrung mit einer Ampel-Regierung hat er bereits aus Rheinland-Pfalz.

Bild: picture alliance/dpa

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