Müller BBM: Die Global Player der Akustik kommen aus Planegg – München

Klackernde Geräusche im Fahrwerk oder Misstöne im Kotflügel werden in der Dekra-Filiale geortet. Nur ein paar Häuser weiter im Planegger Gewerbegebiet an der Helmut-A.-Müller-Straße können Jürgen Reinhold und Gunter Engel hören, wie etwa eine Beethoven-Sonate klingt, wenn sie ihren Weg von der Bühne zu jedem der knapp 2700 Plätze in Sydneys berühmten Opernhaus nimmt. Die beiden Ingenieure von BBM Akustik Technologie springen quasi von Sitz zu Sitz in der Concert Hall. Dabei befinden sie sich 16 000 Kilometer entfernt im reflexionsarmen Planegger Prüfraum, in dem Schaumstoffkeile an den Wänden alles totdämpfen, so dass jeder Ton nur 0,1 Sekunden lang nachhallt. Auf Knopfdruck simulieren Kopfhörer die Akustik im australischen Weltkulturerbe. Und die galt lange als legendär dünn, geradezu grottig. Bis Reinhold und Engel mit ihren Mess- und Testinstrumenten dort anrückten. Nach zwei Jahren umfangreicher Sanierungsarbeiten im Konzertsaal, nach der Eröffnungsgala jetzt im Juli mit Mahlers “Auferstehungssymphonie” – Simone Young dirigierte – sprechen laut Guardian sogar Klangfetischisten verblüfft von einem “Wunder”. Dem “miracle made in Würmtal” möchte man ergänzen.

Jürgen Reinhold (links) und Gunter Engel werten am Firmensitz in Planegg, wie hier im reflexionarmen Prüfraum, die Messdaten aus, die sie vor Ort in den Opernhäusern oder Konzerthallen gesammelt haben.

(Foto: privat)

Doch mit dem Genie-Hype, wie ihn etwa Akustik-Guru Yasuhisa Toyota umweht, können Jürgen Reinhold, 61, und Gunter Engel, 54, wenig anfangen. In einem der vielen Büros am Planegger Firmensitz des Mutterkonzerns Müller-BBM, der heuer 60-jähriges Bestehen feiert, trifft man auf zwei Ingenieure, die spürbar lieber genau hinhören mit ihren trainierten Ohren, als sich mit ihren Errungenschaften in der Welt des Klangs zu brüsten. Die einzige Extravaganz, die sich Reinhold zu leisten scheint, ist ein Pferdeschwanz hinter der hohen Stirn, ansonsten Jeans statt Künstler-Schwarz.

Dabei könnte man ihn jetzt fragen, welchem Opernhaus, welchem Konzert- oder Theatersaal dieser Welt er und sein Team nicht zu neuem Wohlklang verholfen haben. Die Liste ihrer raumakustischen Einsatzorte liest sich jedenfalls wie ein Almanach der bekanntesten Kultur-Tempel. Um nur ein paar zu nennen: Teatro alla Scala Mailand, La Fenice Venedig, Teatro del Maggio Musicale Fiorentino Florenz, das Bolschoi-Theater in Moskau, das Mariinsky Theater II in St. Petersburg, das Haus für Mozart und die Felsenreitschule in Salzburg, das Konzerthaus Wien, die Tonhalle Zürich, das Gewandhaus Leipzig, das Konzerthaus in Berlin, das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth, in München das Volkstheater, das Gärtnerplatztheater, die Kammerspiele und das Deutsche Theater, das Passionsspieltheater in Oberammergau. Daneben etliche riesige Konzerthallen in chinesischen Millionenstädten wie Wuhan. Aber auch das spektakuläre Konzerthaus im oberpfälzischen Blaibach und die Tauber-Philharmonie im knapp mehr als 7000 Einwohner zählenden Weikersheim, wo jüngst zum Saisonauftakt immerhin Pianostar Igor Levit mit der Akustik spielen konnte.

Soundchecker: Für neue Klangerlebnisse in der riesigen Concert Hall der Sydney Oper sorgen bewegliche Akustikreflektoren über der Bühne und an den Seitenwänden, ein neues mobiles Podium sowie neue Holzbrüstungen mit schallstreuenden Strukturen. Alles entwickelt von den Akustikern aus Planegg.

Für neue Klangerlebnisse in der riesigen Concert Hall der Sydney Oper sorgen bewegliche Akustikreflektoren über der Bühne und an den Seitenwänden, ein neues mobiles Podium sowie neue Holzbrüstungen mit schallstreuenden Strukturen. Alles entwickelt von den Akustikern aus Planegg.

(Foto: Müller BBM)

Soundchecker: Aus Russland nimmt Müller BBM aktuell keine Aufträge mehr an. Die Sanierung des Moskauer Bolschoi-Theaters, hier mittig die Zarenloge, war eine Herausfordung für die Planegger Ingenieure.

Aus Russland nimmt Müller BBM aktuell keine Aufträge mehr an. Die Sanierung des Moskauer Bolschoi-Theaters, hier mittig die Zarenloge, war eine Herausfordung für die Planegger Ingenieure.

(Foto: Yoichi Hayashi/AP)

Soundchecker: Der Pierre Boulez Saal der Barenboim-Said-Akademie, hier Dirigent Daniel Barenboim 2017 bei der Eröffnung, wird weltweit für seine Akustik gelobt. Entworfen wurde der Saal von Franck Gehry, die Akustik stammt von Yasuhisa Toyota. Für den Schall- und Wärmeschutz sorgte dort Müller BBM.

Der Pierre Boulez Saal der Barenboim-Said-Akademie, hier Dirigent Daniel Barenboim 2017 bei der Eröffnung, wird weltweit für seine Akustik gelobt. Entworfen wurde der Saal von Franck Gehry, die Akustik stammt von Yasuhisa Toyota. Für den Schall- und Wärmeschutz sorgte dort Müller BBM.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Soundchecker: Dass Buhlschaft Verena Altenberger und Jedermann Lars Eidinger auf dem Salzburger Domplatz so gut zu verstehen waren, haben sie auch der Arbeit der Planegger Akustiker zu verdanken.

Dass Buhlschaft Verena Altenberger und Jedermann Lars Eidinger auf dem Salzburger Domplatz so gut zu verstehen waren, haben sie auch der Arbeit der Planegger Akustiker zu verdanken.

(Foto: Imago-images)

Soundchecker: Berühmte Flüsterakustik: Wer im Amphitheater von Epidauros unten in der Mitte der Orchestra ein Gedicht rezitiert, soll selbst in den obersten Reihen noch bestens zu hören sein. Doch die Anforderungen haben sich seit der Antike weiter entwickelt, deshalb mussten die Experten von Müller BBM auch hier ran.

Berühmte Flüsterakustik: Wer im Amphitheater von Epidauros unten in der Mitte der Orchestra ein Gedicht rezitiert, soll selbst in den obersten Reihen noch bestens zu hören sein. Doch die Anforderungen haben sich seit der Antike weiter entwickelt, deshalb mussten die Experten von Müller BBM auch hier ran.

(Foto: Müller BBM)

Gerade von den kleinen Häusern könne man viel lernen, sind sich die beiden einig. “Und solche Projekte machen vielleicht auch mehr Spaß”, schiebt Jürgen Reinhold nach. Weniger Druck. Dann erzählt er vom ersten Abend Down Under, als er und Engel mit den Leuten der Sydney Opera ein Bier trinken waren. Da wurde ihnen klar: “Wenn wir das in den Sand setzen, bekommen wir es mit ganz Australien zu tun.” Nun, sie haben auch diese schwierige Aufgabe gemeistert, im spektakulären Muschelbau sowohl dem Joan Sutherland Theatre (der eigentlichen Oper) als auch dem Konzertsaal hörbare Upgrades verpasst. Unter strengsten Denkmalschutzauflagen wurden in der Concert Hall etwa die 21 aus dem Jahr 1972 stammenden Plexiglas-Reflektoren, liebevoll “donuts” genannt, von der Decke über dem Podium geholt und durch 18 neue, aus speziellem Glasfaserverbundstoff bestehende ersetzt, deren Krümmungen und unterschiedliche Radien von den Müller-BBM-Leuten nach aufwendigen Tests errechnet wurden. Für eine optimierte Schalllenkung sorgen nun auch in den Wänden integrierte Akustikelemente und neue mechanische Orchester-Podien, die halbkreisförmig wie ein Amphitheater angeordnet sind und je nach Besetzung rauf und runter gefahren werden können. “Die Musiker, mit denen wir viel geredet haben, können sich jetzt endlich sehen, das hat auch den Hörkontakt entscheidend verbessert”, sagt Jürgen Reinhold. Früher klagten Orchestermitglieder darüber, sie könnten die Kollegen wie auf neblig hoher See allenfalls erahnen.

Soundchecker: Messungen in der Mailänder Scala, Jürgen Reinhold kümmerte sich dort um die Oberflächenverkleidungen der Logen; Polsterungen an den Wänden und Armauflagen wurden ausgetauscht.

Messungen in der Mailänder Scala, Jürgen Reinhold kümmerte sich dort um die Oberflächenverkleidungen der Logen; Polsterungen an den Wänden und Armauflagen wurden ausgetauscht.

(Foto: Müller BBM)

In Häusern mit akustisch zweifelhaftem Ruf wie Sydney, sagt Gunter Engel, sei der Druck trotz aller Erwartungen für sein Team geringer, als wenn es um Nationalheiligtümer mit legendärem Klang gehe. Um nicht zu verkrampfen, hält es Jürgen Reinhold so: “Man darf sich nicht klar machen, in welcher Verantwortung man steht.” Nach der Sanierung des Teatro di San Carlo in Neapel etwa, der ältesten heute noch bespielten Opern in Europa, mussten sich die Planegger Kritik an ihrer Arbeit anhören. “Es gibt immer welche, die herumstänkern, und andere springen auf”, weiß Reinhold. Doch dann habe sich herausgestellt, dass es ein verkünsteltes, schachtelförmiges Bühnenbildungetüm war, das den Ton schluckte, und die Akustiker waren rehabilitiert. Am Moskauer Bolschoi, dessen guter Klang über die Jahrzehnte durch Abnutzung, Ausbesserungen und Umbauten verloren gegangen war, griff Reinhold unter anderem zu einer rigorosen Maßnahme. Er ließ den Betonboden im Parkett vollständig herausreißen. “Ich hab’ so Platz geschaffen für einen Holzboden, wie ich ihn immer will.” Am Ende waren die Moskauer sehr zufrieden, ein Auftrag für das Petersburger Mariinski folgte. Heute allerdings machen die Akustiker von Müller BBM keine Geschäfte mehr mit Russland.

Soundchecker: Die vielgepriesene Akustik in der neuen Münchner Isarphilharmonie, hier ein Konzert mit Geigerin Anne-Sophie Mutter im März, hat Akustiker Yasuhisa Toyota geschaffen. Gunter Engel von Müller BBM kann die Begeisterung für den Saal nicht teilen.

Die vielgepriesene Akustik in der neuen Münchner Isarphilharmonie, hier ein Konzert mit Geigerin Anne-Sophie Mutter im März, hat Akustiker Yasuhisa Toyota geschaffen. Gunter Engel von Müller BBM kann die Begeisterung für den Saal nicht teilen.

(Foto: Florian Peljak)

Was ist der ideale Klang? Von Gunter Engel, der in München Klavier studiert hat, kommt da eine interessante Antwort: “Jeder hat da so eine Art Ideal im Kopf, das beschreibt sich nicht gut durch Messwerte.” Ihm persönlich ist ein schöner, sehr transparenter Orchesterklang wichtig, die einzelnen Instrumente sollten gut herauszuhören sein. “Das Geheimnis, das in der Musik drinsteckt, das zeigt sich nur, wenn der Raum auch mitspielt, mitlebt”. Für Jürgen Reinhold, der selbst kein Instrument spielt, kommt die Tonhalle in Zürich diesem Ideal schon sehr nahe. Die Hamburger Elbphilharmonie, für die Kollege Toyota so gepriesen wird, hingegen nicht.

Auch die Begeisterung über Toyotas Klangwerk in der Isarphilharmonie kann Gunter Engel nicht teilen: “Dass der Raum der Musik ein Geheimnis entlocken kann, seh’ ich nicht.” Und die vielgescholtene Akustik der alten Philharmonie im Gasteig? Ist die wirklich so eine Katastrophe? “Mit Sicherheit nicht!” Jetzt hat man den geruhsamen Herrn Reinhold aus der Reserve gelockt. Denn er selbst war es, der vor Jahr und Tag in Absprache mit Sergiu Celibidache dort die Plexiglas-Reflektoren eingebaut hat. “Der Raum ist einfach kaputt geredet worden”, klagt Reinhold – vor allem auch vom Gasteig-Management. Mit der anstehenden Komplettsanierung des Hauses habe Müller BBM nichts zu tun, auch nicht mit dem – sollte er je kommen – neuen Konzertsaal im Werksviertel. Da seien andere am Zug.

Soundchecker: Nur nichts verändern: Der legendäre Orchestergraben im Festspielhaus in Bayreuth mit seinen Schall- und Sichtblenden ist unter anderem verantwortlich für den mystischen Klang auf dem Grünen Hügel. Das Team von Müller BBM steht da vor besonderen Herausforderungen.

Nur nichts verändern: Der legendäre Orchestergraben im Festspielhaus in Bayreuth mit seinen Schall- und Sichtblenden ist unter anderem verantwortlich für den mystischen Klang auf dem Grünen Hügel. Das Team von Müller BBM steht da vor besonderen Herausforderungen.

(Foto: David Ebener/picture alliance / dpa)

In Bayern wird sich das Team um Jürgen Reinhold einem anderen Objekt widmen, dem Bayreuther Festspielhaus. Die Generalsanierung am Grünen Hügel ist bereits angelaufen. Während der Corona-Saison 2021 hat Müller BBM dort schon bewerkstelligt, dass eine Chorhälfte auf der Bühne szenisch agierte, und die singende aus dem Chorsaal eingespielt wurde. Eine akustisch perfekte Illusion. Die Aufgabe aber, die nun ansteht, wird eine höchst heikle sein: der Einbau einer Lüftung in Richard Wagners mystischem Klangheiligtum. “Katharina Wagner hat mir gesagt, ,nur wenn Sie mir zu 200 Prozent zusichern, dass nichts verändert, also nichts verbessert und verschlechtert wird, dann stimme ich da zu.'” Jürgen Reinhold, der stille Global Player der Akustik, muss sehr überzeugend gewesen sein.

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