Micky Beisenherz über das deutsche Sommerloch: Sau-Preuße!

M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Sau-Preuße! Über die deutsche Tradition des Sommerlochs

Ein entlaufener Löwe streunerte durch Berlin. Der stellte sich dann allerdings schnell als handelsübliche Bache heraus

© Lino Mirgeler / DPA

Eine schöne deutsche Tradition ist das Sommerloch. Früher tauchten aus ihm gern ein Killer-Wels und ein Problembär auf – diesmal war es eine woke Löwin.

Sollten Sie in diesem Sommer vorhaben, in Italien Urlaub zu machen, dann fallen Sie unserem Altkanzler in den Rücken. Aber möglicherweise haben Sie einfach nur vergessen, was vor 20 Jahren die Nachrichten in Ermangelung von, nun ja, Nachrichten bestimmt hatte: Gerhard Schröders Weigerung, seinen Urlaub 2003 in Bella Italia anzutreten, ging die Beschimpfung des italienischen Staatssekretärs Stefano Stefani voraus, der die Deutschen – das muss man sich mal vorstellen! – als “einförmige, blonde Supernationalisten” bezeichnet hatte, die alljährlich “lärmend über unsere Strände herfallen”.

Wie mein Kollege Nico Fried kolumniert, sagte der Kanzler seinen Urlaub an der Adria ab und blieb in Hannover. Eine Strafe, die Doris Schröder-Köpf härter getroffen haben dürfte als Berlusconis Volk. Heute schippert der Mann auf der “Aida” bei pöbelkompatiblem Weißwein die nasskalte Norwegenroute entlang, was eingedenk seiner Putin-kuscheleien ausgleichende Gerechtigkeit sein dürfte.

Micky Beisenherz über das Sommerloch

Ähnlich, wie Schröder damals trotzig aus dem Maschsee blickte, lugte bereits 1994 Kaiman Sammy aus einem Baggersee und wurde so zum “Ungeheuer von Loch Neuss”. Beide für sich Repräsentanten dieser herrlich-dümmlichen Zeit, in der es noch das klassische Sommerloch gab. Diese dröge Substanzsteppe irgendwo zwischen Juli und August, in der jeder noch so kleine Tropfen Banalität zur Informationsoase wird.

Sammy und Gerd sollten nicht die Einzigen sein. Die Flora und Fauna zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen hatte so manches anzubieten: Skippy, das Sauerlandkänguru. Kuno, den dackelverschlingenden Killer-Wels. Die Laptop-Sau vom Teufelssee. Problembär Bruno, dessen pelziger Epigone einen Jogger aus den Latschen riss.

Wie zum Gegenbeweis streunerte ein entlaufener Löwe durch Berlin. Der sich dann allerdings schnell als handelsübliche Bache herausstellen sollte. Berlin hat also noch mal Schwein gehabt, und, sehen wir es mal so: Dass in unserer modernen genderfluiden Zeit sogar ein Wildschwein als Löwin gelesen werden kann – das ist doch was.

Mit 140 durch die mediale 30-Zone

Übrigens war der Schröder’sche Trotz-Sommer 2003 so heiß, dass die “Bild” für die gegrillten Teutonen eine ethnische Massentransformation fürchtete: “Werden wir alle Afrikaner?” Was war das für ein wundervoll geistloses Gleiten durch die Hundstage, wie schon zuvor in den Neunzigern: Wir kauften gefälschte Trikots von Cantona oder Raúl in Lloret de Mar für 2000 Peseten; der von der Sommerdiät bereits erschreckend abgemagerte Helmut Kohl inszenierte den Familienstadl am Wolfgangsee, und irgendein bulgarischer Glatzkopf köpfte uns aus der WM. Alle paar Jahre düste ein Jugendlicher ohne Fleppe mit 140 durch die mediale 30-Zone: Crash-Kid Andi, Crash-Kid Dennis, Crash-Kid Mehmet.

Die beschluss- und gesetzgebungsfreie Sommerpause des Bundestages ist auch heute die große Stunde derer, die jetzt noch ein bisschen PR gebrauchen können. Annalena Baerbock spaltet das Land mit ihren Aufstrichvorlieben (Nutellabrot und Spiele!), während der neue CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann populistisch ein wenig aufs Gaspedal drücken muss. So fordert Crash-Kid Casi Schnellgerichte für Berliner Freibadschläger, und wenn man es so richtig bedenkt: Ob Kaiman im Neusser Badesee oder der gewaltbereite 15-Jährige im Schwimmerbecken – erst, wenn etwas grimmig aus dem Wasserloch lugt, dann ist Sommerloch!

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