Human Design: Das steckt hinter dem esoterischen Trend

Das esoterische System Human Design beschäftigt sich mit der Persönlichkeitsstruktur und der energetischen Grundausstattung eines jeden Menschen. Es soll befreiende Erkenntnisse liefern – kann aber auch zur Gefahr werden, wenn es zu dogmatisch verwendet wird. 

Sternzeichen waren gestern. Human Design heißt der aktuelle Trend, der sich aus der Esoterik-Ecke immer mehr in Richtung Mainstream bewegt. Influencer aus der spirituellen Szene verbreiten die Lehre, die der Kanadier Alan Robert Krakower Ende der 1980er-Jahre gegründet hat, schon länger auf Instagram und TikTok. Mittlerweile arbeiten auch Therapeuten, Heilpraktiker und Coaches mit dem System, das tiefe Einblicke in die eigene Persönlichkeit verspricht. Ob man sich von dem weltanschaulichen Konzept begeistern lässt oder das Schema als esoterisches Geschwurbel abtut, hängt laut Haringke Fugmann von der eigenen Persönlichkeit ab.

Als Esoterik-Forscher und Kirchenrat der evangelischen-lutherischen Kirche in Bayern beschäftigt er sich mit der Frage, was hinter dem System steht – und warum es die Menschen in seinen Bann zieht. Auch Patricia Marek, sogenannte Holistic Business Mentorin aus dem Allgäu, hat sich intensiv mit Human Design beschäftigt. Obwohl sie darin viele hilfreiche Aspekte sieht, sind auch ihr Schattenseiten aufgefallen. “Es ist ein gutes Tool, das uns Selbstreflexion ermöglicht”, sagt die 38-Jährige. Allerdings sollte man mit Human Design achtsam umgehen und die Lehren vor allem nicht als lebensbestimmend ansehen. 

Was ist Human Design überhaupt?

Das Human Design System ist ein umfangreiches Konzept, das sich mit der Persönlichkeitsstruktur und der energetischen Grundausstattung eines Menschen beschäftigt. “Es ist der energetische Abdruck, mit dem wir ins Leben starten”, erläutert Patricia Marek. Eine Basis, zu der man immer zurückkehren könne, weil die Energie immer vorhanden sei. Diese Basis definiert sich anhand des Geburtsdatums (inklusive Geburtzeit -und Ort) sowie einem zusätzlichen Zeitpunkt, der 90 Tage vor der Geburt liegt und durch eine Software errechnet wird.

Ein Human Design-Chart

Ein Beispiel für ein Human Design Chart

© Human Design Academy, Barbara Peddinghaus 2022

“Diese zwei Zeitpunkte fließen zusammen in ein Design”, erklärt die 38-Jährige. Dabei soll der Zeitpunkt vor der Geburt die unbewussten Bereiche darstellen, beispielsweise “die Dinge, die wir von unserer Familie und aus vorherigen Leben mitbekommen haben”. Der Zeitpunkt der Geburt steht im Gegensatz dazu für den Körper und das Bewusstsein. Das Design eines jedes Menschen lässt sich mit Hilfe eines komplexen Diagramms, dem Human Design Chart, darstellen und analysieren.

Worauf basieren die Lehren des Human Design?

Der Begründer des Human Design, Alan Robert Krakower, der sich später in Ra Uru Hu umbenannte, will die Lehren über das Human Design wie eine Art Medium “als Stimme gehört haben”, sagt Haringke Fugmann. Das entspreche einem der grundlegenden Kennzeichen der Esoterik: Der Anspruch, ein höheres Wissen zu vermitteln. Ein weiteres Merkmal sei das Zusammenführen verschiedener weltanschaulicher Lehren. “Es gibt eine ganze Reihe von mantrischen Verfahren – das sind Verfahren der Offenlegung, der Zukunftsschau – die Krakower zusammengebaut hat”, wie Fugmann erläutert. Konkret basiert das Konzept auf der Astrologie, dem I-Ging (chinesisches Orakelbuch), der Kabbala (mystische Tradition des Judentums) und auf der Chakren-Lehre aus dem Yoga. 

Was sind die wesentlichen Punkte des Human Design? 

Das Chart, in dem das individuelle Design eines jeden Menschen sichtbar werden soll, bildet der Idee nach unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit ab. Grundsätzlich teilt das Human Design alle Menschen in vier bis fünf Typen ein. Welchem Typ man entspricht, hängt laut Patricia Marek davon ab, welche Energiezentren im Körper aktiv sind und wie sie miteinander in Verbindung stehen. 

Typen, Profile und Autoritäten

So sei ein Manifestor beispielsweise “der Initiator, der vorausgeht und neue Wege erschließt”. Den Projektor beschreibt Patricia Marek als einen Team-Leiter, der die Rollen verteilt: “Er nimmt die Energie der Menschen war und sieht, worin sie am besten sind.” Ein Generator sei gut in der Umsetzung von Plänen, “und hat unendlich viel Energie, wenn er seiner Freude folgt”. Den Reflektor hingegen nennt sie einen Beobachter. “Er hilft von außen, nimmt die Energie der anderen wahr und spiegelt sie wider”. Als Mischform gibt es noch den manifestierenden Generator, der mit seinen Ideen gerne nach außen gehe, diese aber auch allein umsetzen könne.

Weitere Details über die Persönlichkeit soll das sogenannte Profil verraten. Im Human Design gibt es insgesamt zwölf Profile, die aus je zwei Zahlen bestehen. Die erste Zahl entstamme dem bewussten Feld und soll ausdrücken, wie man sich selbst wahrnimmt. Die zweite Zahl komme aus dem unbewussten Feld und soll beschreiben, wie andere Menschen einen wahrnehmen. Meist seien die beiden Attribute widersprüchlich. Doch genau darum gehe es: Die Kontroverse als Lern- und Wachstumsfeld zu nutzen.

Daneben gibt es noch Tore, Kanäle und andere Elemente wie das Inkarnationskreuz und die Autoritäten. Das klingt kompliziert? Das soll es auch, meint Haringke Fugmann. “Das ist meiner Meinung nach die Strategie dahinter”, erläutert der Experte. Weil das Konstrukt so überwältigend und komplex sei, beschäftige man sich als Neuling so sehr mit der Frage, wie das System funktioniert, dass man die viel wichtigere Frage außer Acht lasse: “Wieso sollte es mich überhaupt interessieren?”

Welchen Sinn hat Human Design?

Patricia Marek kam im Gespräch mit einer Yogalehrerin erstmals mit Human Design in Kontakt. Einige Monate später ließ sie sich ihr persönliches Chart in einer professionellen Sitzung, einem Human Design Reading, genauer deuten. “Dieses Reading hat in mir viele Sachen in Akzeptanz gebracht, mit denen ich lange gehadert habe”, erzählt die 38-Jährige. “Auf einmal konnte ich es annehmen und sogar die Vorteile davon sehen.” 

Genau dafür sollten das Human Design System genutzt werden, findet sie: Als Möglichkeit, um die Verbindung zur eigenen Intuition zu stärken und Akzeptanz und Heilung für die eigenen Schattenanteile anzustoßen. Die Kombinationen aus Typen, Autoritäten, Profilen und all den anderen Komponenten im Human Design seien nahezu endlos. Deshalb könne das Konzept helfen, nicht nur sich selbst tiefer zu verstehen, sondern auch zu begreifen, “dass jeder anders ist und in wie vielen Nuancen wir Menschen uns unterscheiden”. Ähnlich beschreibt es Esoterik-Forscher Fugmann: “Die Intention des Human Design ist eine Art Selbsterkenntnis.” Und genau das ist es, was die Menschen fasziniert.

Warum zieht Human Design so viele Menschen in den Bann?

Wissenschaftlich belegen lassen sich die Aussagen des Human Design nicht, trotzdem ist das Interesse an dem Konzept – den Suchanfragen bei Google zufolge – vor allem in den vergangenen drei Jahren stetig gestiegen. “Wir mögen es, wenn Menschen uns etwas über uns erzählen, wenn wir tiefere Einblicke erhalten”, meint Patricia Marek. Das erkläre aus ihrer Sicht den Trend um Human Design: Weil das Konzept noch tiefere Einblicke gewähren könne.

Patricia Marek spielt Harmonium an einem See

Human Design hat Patricia Marek geholfen, sich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren. “Und ich versuche, mehr auf mein Bauchgefühl zu hören und weniger aus dem Kopf heraus zu entscheiden.”

© Steffi Satya Jotpal

Haringke Fugmann erklärt es mit dem Barnum-Effekt, einem in der Psychologie schon lange nachgewiesenen Phänomen: Der Mensch neigt dazu, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person so zu interpretieren, dass sie als zustimmende Beschreibungen empfunden werden. “Wir haben ein Bedürfnis nach Selbsterkenntnis, wollen besser verstehen, wer wir sind”, sagt Fugmann. Zudem seien Menschen immer auf der Suche nach neuen Sinnzusammenhängen, die die objektive Realität übersteigen.

Deshalb lösen neuartige Erklärungsmodelle wie Human Design Fugmann zufolge hohe Faszination aus. “Wenn es auch noch so kompliziert ist, ist es unheimlich verlockend, in dieses System einzusteigen und sich tiefer und tiefer damit zu befassen”, sagt er. Und nicht zuletzt sei Esoterik schlichtweg ein potenziell lukrativer Markt, auf dem es auch Moden und Hypes gebe. “Das wäre auch eine Hypothese: Das es gerade der nächste heiße Trend ist, mit dem man Geld verdienen kann.” 

Was kostet Human Design?

Ein Reading, also die Analyse des eigenen Designs durch einen ausgebildeten Human Design Reader, startet preislich bei etwa 150 Euro. Je ausführlicher die Einblicke aber sein sollen, desto tiefer muss der Kunde in die Tasche greifen. Gleiches gilt für die Ausbildungen zum Human Design Reader, von denen Patricia Marek insgesamt vier Stück durchlaufen hat.

Die Preisspanne für die Lehrgänge reichte von 250 bis zu 2000 Euro. Haringke Fugmann spricht von einem hohen finanziellen Aufwand. “Wenn man das Geld wieder reinbekommen will, dürfte man motiviert sein, Human Design nach den Ausbildungen auch anbieten”, meint er. Genau an dieser Geschäftsmäßigkeit entzündet sich viel Kritik.

Welche Kritik am Human Design gibt es?

Das Business mit den Gefühlen

Esoterik sei laut Haringke Fugmann ein lukrativer Wirtschaftssektor; Ein Dienstleistungsbereich, in dem Geld gegen Gefühl getauscht werde. “Das ist aus wirtschaftlicher Sicht das Geniale, weil ich kaum Materialeinsatz habe, aber maximalen Gewinn.” Denn Emotionen sind nicht haltbar. Um das positive Gefühl erneut hervorzurufen, müsse der Kunde immer wieder zurückkommen und noch mehr Geld ausgeben. Eine Tatsache, mit der auch Patricia Marek sich konfrontiert sah. “Wir konsumieren diese positiven Gefühle, aber wenn wir nicht damit arbeiten, verpufft das.” Damit die Informationen aus dem Reading tatsächlich hilfreich sind, müsse man sich vor allem fragen, wie diese das eigene Leben berühren.

Typisierung und Schubladen-Denken

Darüber hinaus sind Patricia Marek noch weitere kritische Punkte am Human Design System aufgefallen. Zum einen, dass man sich auf eine Art “falschen Pfad” begebe und das eigene Design als einzige Wahrheit ansehen, “obwohl man spürt, dass es einem nicht hilft und dass es eher komplizierter wird”. Dass Menschen sich beispielsweise zwingen, auf eine bestimmte Art und Weise zu handeln – nur weil es das Design vermeintlich so vorgibt. 

Beispielsweise bei Manifestoren, laut dem Human Design Schema die Pioniere, die vorausgehen und sich durch andere Meinungen durchsetzen. “Ich habe aber Manifestoren getroffen, die schüchtern sind und das gar nicht als ihre Aufgaben sehen”, erzählt sie. Gehen die Vorgaben des Design und die persönliche Wahrnehmung so weit auseinander, könne dies dazu führen, dass der Mensch sich falsch fühlt. “Dafür sollte dieses Tool nicht genutzt werden.”

Zum anderen habe sie erlebt, dass Menschen sich “auf ihren Schwächen und Blockaden ausruhen”. Weil Human Design das Gefühl vermitteln könne, dass Herausforderungen in der persönlichen Natur liegen – und man sie daher nicht beheben kann. Stattdessen seien manche Menschen geneigt, die Probleme schlichtweg zu akzeptieren “und sich dadurch kleinzuhalten”. Beide Fälle führen dazu, dass der Mensch sich dem System unterordne. “Statt dieses Tool für Heilung und Intuitionsstärkung zu nutzen, befindet man sich unterhalb des Systems und fühlt sich nicht mehr frei.”

“Diese Typisierung führt auch zu einer Komplexitätsreduktion”, sagt Haringke Fugmann. Das könne auch das eigene Selbstverständnis betreffen: Der Mensch sei eigentlich unbeschriebenes Blatt und könne sich in zahlreiche Richtungen entwickeln. “Wenn ich mich selber einenge, überlege ich mir vielleicht gar nicht mehr, wer ich sonst noch sein könnte”, befürchtet der Experte. Die Plastizität und Flexibilität, die den Menschen ausmache, gehe ein Stück weit verloren. Typisierungen wie Human Design helfen vermeintlich zu verstehen, wer man ist. Gleichzeitig aber können sie einengen. Einen Widerspruch, der sich nur schwerlich auflösen lässt.

Nur noch Augen für sich selbst

Weil Human Design so komplex sei, verlocke es dazu, viel Zeit damit zu verbringen, sagt Esoterik-Forscher Fugmann. Das sei Zeit, die dem Menschen an anderer Stelle fehle – beispielsweise für Körperpflege, Freizeit, soziale Kontakte. Außerdem verleite das Schema dazu, sich permanent mit sich selbst zu beschäftigen: “Möglicherweise geht dabei der Blick für alles andere um mich herum verloren”.

Patricia Marek absolvierte insgesamt vier Human Design-Ausbildungen: Darunter waren sowohl Lehrgänge der International Human Design School, die die ursprüngliche Lehre vermittelt, als auch freie Ausbildungen, “bei denen es mehr um Heilarbeit ging”.

© Steffi Satya Jotpal

Dass man sich bei der stetigen Beschäftigung mit der eigenen Person gut fühlt, ist dennoch nicht garantiert. “Menschen, die sich auf den spirituellen Weg machen und in Kontakt mit Human Design kommen, stellen sich ohnehin schon infrage”, berichtet Patricia Marek aus ihren Erfahrungen. Bei der ständigen Beschäftigung mit sich selbst bestehe die Gefahr, dass noch mehr Zweifel an der eigenen Person aufkommen.

Warum bringt Human Design Verantwortung mit sich?

Jeder Mensch sei selbst verantwortlich für das, was er glaubt, betont Haringke Fugmann. “Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der jeder Mensch glauben darf, was er will.” Das bringe Verantwortung mit sich: “Wenn ich etwas glaube, dann sollte ich mich vorher schlaumachen, was ich glaube”, rät der Experte. Ähnlich sieht es Patricia Marek. Es sei wichtig, “dass wir diese Tools als das sehen, was sie sind und nicht als etwas Falsches verwenden”. Hierbei sieht sie aber auch die Human Design Reader in der Verantwortung.

“Wenn wir Wissen an andere Menschen weitergeben, müssen wir immer schauen, dass sie in der Selbstverantwortung bleiben und sich nicht darin verlieren.” Unter anderem deshalb hat sich die 38-Jährige entschieden, keine Human Design Readings mehr anzubieten, sondern ein ganzheitliches Mentoren-Programm, von dem Human Design ein Teilaspekt sein kann. Sie arbeite länger und eingehender mit ihren Klienten, sodass diese lernen, die positiven Gefühle, die Human Design nur für kurze Zeit aufleben lässt, selbst hervorzurufen. 

Wie kann man sinnvoll mit Human Design umgehen?

Es könne helfen, selbstkritisch zu bleiben und sich den Barnum-Effekt bewusst zu machen, meint er. Patricia Marekt rät, immer wieder Abstand zu den Dingen zu nehmen und mit Menschen zu sprechen, die mit dem Thema keine Berührungspunkte haben: “Raus aus dieser Bubble und rein in eine Bodenständigkeit, um dann mit einem neuen Blickwinkel wieder darauf zu schauen.” 

Man solle sich trauen, auch kontroverse Fragen zu stellen. Und die Menschen daran erinnern, dass sie die Wahl haben, ob sie mit Human Design arbeiten wollen oder nicht. “Man muss immer wieder zu überprüfen: Welche Intention habe ich dahinter? Will ich die Verantwortung an dieses Tool abgeben oder nutze ich es, um mich stärker zu fühlen?” Die Lehren des Human Design System sollten nicht als Dogma übernommen werden. Jeder sollte seinen individuellen Zugang dazu finden und selbst herausfinden, “was für einen stimmig ist”. Dabei dürfe man die Anteile, die nicht guttun, schlichtweg weglassen. “Es ist nur ein System, das eine Annäherung und eine Orientierung bringt, aber es verkörpert nie unser Sein – dafür sind wir zu individuell.”


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