Die Akropolis vom Kochelsee – Bayern

In Ludwig Steinherrs Krimi “Der Sturm erwartet dich” ragt sie immer wieder mystisch über dem Kochelsee auf und wird zum Schauplatz einer außergewöhnlichen Begegnung; im wirklichen Leben nehmen die meisten Menschen sie nicht wahr: die Jocher Birg ist ein uraltes Siedlungsgebiet am Ufer des Kochelsees, das reichlich Stoff zum Spekulieren und Träumen bietet.

Wer etwas über sie erfahren möchte, muss schon am Schreibtisch auf Spurensuche gehen. Wikipedia? Fehlanzeige. Andere Wege im Netz führen zielsicher, aber knapp daneben zum Jochberg. Also ein Blick in Gisela Schinzel-Penths Wälzer “Sagen und Legenden um Tölzer Land und Isarwinkel”. Dort ist der “Birg bei Kochel” eine halbe Seite gewidmet. Sie sei ein Felsklotz von einem halben Kilometer Länge und 400 Metern Breite im Ortsteil Altjoch, schreibt die Münchner Volkskundlerin. In der Bronzezeit sollen dort in einer “riesigen Festungsanlage” zeitweise bis zu tausend Menschen gelebt haben. “Tiefe Gräben und eine für Eindringlinge verwirrende Anlage der Wege und Zugänge mit blinden Enden und Zangentoren machten die Birg nahezu uneinnehmbar.” Bei drei Vertiefungen, so Schinzel-Penth, könnte es sich um “Totmannlöcher”, also verdeckte Fallen, handeln.

Vor 3000 Jahren war der Wasserspiegel noch eineinhalb Meter höher als heute

Ein Anruf bei der Kochler Tourist-Information. Bilder oder sonstige Informationen zur Birg gebe es nicht, sagt eine freundliche Mitarbeiterin. Aber sie weiß, wer etwas wissen müsste: Max Leutenbauer, Vorsitzender des Vereins für Heimatgeschichte im Zweiseenland. Tatsächlich weiß Leutenbauer eine ganze Menge über das älteste noch erkennbare Baudenkmal der Gemeinde zu erzählen. Die Siedlungsspuren auf dem markanten Felshügel neben dem Campingplatz stammen seinen Worten nach aus der “so genannten Urnenfelderzeit im zwölften Jahrhundert vor Christus”.

Damals sei der Spiegel des Kochelsees noch eineinhalb Meter höher gewesen, sagt Leutenbauer. “Der Felskogel war also von drei Seiten von Wasser umschlossen. Und die vierte Wand fällt so steil ab, dass sie nicht begehbar ist.” Heute werde sie als Klettergarten genutzt. Man könne also davon ausgehen, dass die keltischen Siedler mit Booten unterwegs waren.

Max Leutenbauer, hier im denkmalgeschützten Schusterhaus, leitet den Kochler Heimatverein.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Leutenbauers Vereinskollege Jost Knaus hat in einem Schriftstück alles zusammengetragen, was er über die Siedlung auf der großen und kleinen Birg – wer genau hinschaut, erkennt die beiden Hügel – in Erfahrung bringen konnte. Demnach wurden die keltischen Spuren 1899 entdeckt. 1913 und 1937 reisten Archäologen zu Ausgrabungen an, jedoch gingen fast alle Funde und die Grabungsunterlagen im Zweiten Weltkrieg verloren. “Die einstigen Mauern aus Holz, Steinen und Erde stellen sich heute als verfallene Wälle dar”, schreibt Knaus. “Als zeittypische Verteidigungseinrichtungen wurden Torgassen angelegt.” Der größte Teil der Siedlung habe auf halber Höhe gelegen, erkenntlich an den aufgefundenen Hüttenpodien. “Ganz oben umschließt ein Ringwall einen planierten ebenen Platz, also eine Art Akropolis.”

Über den Zweck der Siedlung werde in der Forschung gerätselt. War sie ein Rückzugsort in kriegerischen Zeiten? “Die Ausrichtung und Staffelung der Befestigungseinrichtungen gegen den See hin lassen Vermutungen über mögliche Angriffe von Westen her zu. Der steile Kletterpfad zwischen der großen und der kleinen Birg war leicht zu kontrollieren.” Möglicherweise könnte die Siedlung aber auch “Station eines frühen Fernhandels über die Alpen hinweg in den Süden gewesen sein.” Als Handelsobjekte kamen laut Knaus vor allem Metalle in Frage.

Vor einigen Jahren habe es in der Gemeinde den Vorschlag gegeben, die Birg systematisch zu sichern, sagt Leutenbauer. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege habe jedoch davon abgeraten. “Der beste Schutz ist der Wald, der drüber steht”, sagt er. “Sonst werden die Reste auch noch zerstört.” Und was sagt er zu Erkundungen auf eigene Faust? “Das ist kein ganz einfaches Gelände.” Einzelheiten lassen sich im Steinherr-Krimi nachlesen.

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