„Wir hatten eine wirklich gute Nacht hier in Georgia“, sagte der republikanische Gouverneur des Staates, Brian Kemp, kürzlich auf CNN und bezog sich dabei auf die Midterms 2022. „Wir haben jedes landesweite Rennen gewonnen, und dann haben wir einen amtierenden US-Senator in einer Stichwahl.“ Dieser Senator, der Demokrat Raphael Warnock, erhielt mehr Stimmen als sein Gegner Herschel Walker, überschritt aber nicht die 50-Prozent-Hürde, die in Georgia erforderlich ist, um die Wahlen direkt zu gewinnen. Wenn die Republikaner eine gute Nacht hatten, war Walker eine Ausnahme: Seine Stimmenzahl lag hinter der aller anderen Republikaner aus Georgia, die für ein landesweites Amt kandidierten. Er erhielt rund 200.000 Stimmen weniger als Kemp, der die demokratische Kandidatin für das Amt des Gouverneurs, Stacey Abrams, um acht Punkte besiegte.
Um dies zu erklären, verwiesen viele Experten auf Walkers skandalerfüllte Kampagne, die von Fragen zu seiner angeblichen Zahlung für Abtreibungen (die er bestreitet), zu von ihm gezeugten und nicht öffentlich erwähnten Kindern, zum tatsächlichen Umfang seiner karitativen Arbeit, und unter anderem über seinen angeblichen Hintergrund bei der Strafverfolgung. „Wenn Walker schon vorher ein Amt bekleidet hätte, eine kohärente politische Erklärung abgeben könnte, nicht all das persönliche Gepäck hätte, das er hatte, dann besteht eine gute Chance – angesichts der Parteipolarisierung bei der Abstimmung – dass er zusammen mit den anderen Republikanern gewonnen hätte. “, erzählte mir Andra Gillespie, Politikwissenschaftlerin an der Emory University. „Aber seine persönlichen Probleme belasten seine Kampagne.“ Jetzt hoffen viele Republikaner, dass ihm die Parteipolarisierung zu Hilfe kommt. Bei Kemps Auftritt auf CNN wurde er vom Moderator gefragt, ob Walker seine Werte teile. »Nun, hören Sie zu«, begann Kemp, im Begriff, eine direkte Antwort zu vermeiden. „Wenn ich davon spreche, nach Washington, DC zu gehen und für das zu kämpfen, was die Georgier brauchen, spreche ich von der Grenze, einer vierzig Jahre hohen Inflation, astronomischen Gaspreisen seit dem Amtsantritt von Joe Biden und der Agenda von Raphael Warnock hat da oben unterstützt.“ Er fügte hinzu: „Deshalb stimme ich für Herschel Walker.“
Ein paar Stunden nach diesem Interview rief ich einen Konservativen im Nordwesten von Georgia an, der sich seit Jahrzehnten für die Wahl der Republikaner in diesem Teil des Staates einsetzt, um ihn zu fragen, wie er wählt. Er sagte mir, dass er seine Senatsabstimmung im November leer gelassen hat und die Stichwahl überspringt. “Es war keine leichte Entscheidung”, sagte er. Abgesehen von seiner historisch unerschütterlichen Unterstützung der Republikanischen Partei ist er auch ein eingefleischter Fan der Fußballmannschaft der University of Georgia, für die Walker einst ein Star war. „Ich bin als Kind mit Herschel Walker aufgewachsen“, sagte er. Er war nach New Orleans gereist, um Walker als Neuling im Sugar Bowl antreten zu sehen – Walker gewann den MVP-Preis des Spiels, und die University of Georgia wurde zum nationalen Champion ernannt. Der Konservative bekam Walkers Autogramm, als er dort war, und hat es immer noch. Er hat auch noch UGA-Dauerkarten. „Daher komme ich also“, sagte er. „Mein Herz wollte das eine und mein Kopf das andere.“
Zu den Dingen, die ihn in Bezug auf Walker innehalten ließen, sagte er, waren die unsinnigen Kommentare, die der Kandidat im Wahlkampf gemacht hatte – von denen einige derzeit in Warnocks Fernsehwerbung zu sehen sind. In einem sehen wir einen Clip von Walker, der am 16. November vor einer Menschenmenge in McDonough, Georgia, spricht. „Vampire sind coole Leute“, sagt er. „Ein Werwolf kann einen Vampir töten – wusstest du das? Ich habe das niemals gewusst. Also wollte ich kein Vampir mehr sein. Ich wollte ein Werwolf sein.“ Warnock hat auch Anzeigen mit Republikanern geschnitten, die wie der Konservative aus dem Nordwesten von Georgia für Kemp, aber nicht für Walker gestimmt haben. „Ich war stolz darauf, Brian Kemp zu unterstützen“, sagt eine weiße Frau mittleren Alters in einer der Anzeigen. „Je mehr ich von Herschel Walker hörte, desto mehr machte ich mir Sorgen um seine Ehrlichkeit, seine Heuchelei, aber auch einfach um seine Führungsqualitäten.“
Andere Republikaner sind weniger widersprüchlich. Mickey Tuck, der im Facility Management in Rom, ebenfalls im Nordwesten des Bundesstaates, arbeitet, nennt sich selbst einen „Hardcore-Konservativen“. Er hat zweimal für Donald Trump gestimmt, konnte sich aber nicht dazu überwinden, Marjorie Taylor Greene, die Kongressabgeordnete seines Distrikts, zu wählen, weil er ihr nicht vertraut. (Er hat auch nicht für den Demokraten gestimmt.) Trotzdem hat er für Walker gestimmt – wenn auch nicht in den Vorwahlen, weil er dachte, dass einer der anderen Kandidaten bei den Parlamentswahlen angesichts der Tatsache, dass Walker Vergangenheit ist, eine bessere Chance hätte hatte „Skelette darin“. Er fügte hinzu: „Als Christ glaube ich an Erlösung und Vergebung. Wir alle haben Dinge in unserer Vergangenheit.“ Er stimmte glücklich für Walker, früh, in der Stichwahl. „Zwischen ihrer Grenzpolitik und ihrer Wirtschaftspolitik“, sagte Tuck und bezog sich auf die Demokraten, „war es für mich ein Kinderspiel.“
Wie Tuck hatte auch der Konservative aus Nordwest-Georgia, mit dem ich sprach, zweimal für Trump gestimmt. Er machte Trump auch für Walkers Nominierung verantwortlich. „Ich denke, Trump hat Georgia das aufgezwungen, und ich denke, es geht nach hinten los“, sagte er mir. Die Partei, fügte er hinzu, müsse mehr Kandidaten wie Kemp finden, dessen Kampagne, so sagte er, „die unabhängigen Vorstädte anzog, die wir brauchen“. Er befürchtet, dass die Wahlbeteiligung auf republikanischer Seite nicht stark sein wird. Tuck und andere haben mir versichert, dass sie im tiefroten 14. Bezirk ungewöhnlich lange Schlangen gesehen haben, aber bisher liegt die Wahlbeteiligung im Floyd County dieses Bezirks, in dem Rom liegt, unter den Zahlen in anderen Teilen des Bundesstaates. Diese Wahl hat staatliche Rekorde für vorzeitige Stimmabgabe bei Stichwahlen gebrochen – und diese Zahlen sind, wenig überraschend, am höchsten in Bezirken mit vielen Demokraten, die heutzutage dazu neigen, früher in höherer Zahl zu wählen als Republikaner. Die Demokraten haben auch einen finanziellen Vorteil: Etwa zwei Drittel der fast 80 Millionen Dollar, die für Fernsehwerbung ausgegeben wurden, gingen an Warnock. Tuck sagte mir, er habe „keine Republikaner sagen gehört, dass sie nicht für Herschel stimmen. Aber einige unabhängige Wähler, mit denen ich gesprochen habe – insbesondere Frauen –, haben die Anzeigen der Demokraten auf ihre Stimmen beeinflusst. Einige von ihnen sagten, sie könnten nicht für Herschel stimmen.“
Gillespie untersucht in Emory die Beteiligung der Schwarzen am politischen Prozess und stellte fest, dass die frühe Wahlbeteiligung unter den schwarzen Wählern besonders hoch war. „Aber“, fügte sie hinzu, „Warnock braucht eine multiethnische Koalition. Er wird auch weiterhin liberale Weiße brauchen, die für ihn stimmen.“ Man vermutet, dass Warnocks Kampagne dies im Sinn hatte, als sie kürzlich eine Veranstaltung in Atlanta mit dem Singer-Songwriter Dave Matthews organisierte. Warnock brachte auch Alvin the Beagle mit, einen Hund, der in Anzeigen mitgespielt hat, die sich an liberale und gemäßigte weiße Wähler zu richten scheinen. „Ich bin mir nicht sicher, wer mehr Applaus bekam – Warnock oder Alvin the Beagle, der lautstarke Ovationen bekam, als er vor dem Konzert von Dave Matthews vorgestellt wurde“, sagte Greg Bluestein, ein langjähriger politischer Reporter für Atlanta Zeitschriften-Verfassung, getwittert.
Die Walker-Kampagne steuert derweil im Angriffsmodus auf die letzte Strecke zu: Einer ihrer am häufigsten verwendeten Slogans ist „Evict Warnock“, eine Anspielung auf einen Miniskandal um einen gewinnorientierten Apartmentkomplex, der mit Warnocks Kirche verbunden ist und bei dem einige Bewohner vertrieben wurden vor zwei Jahren. (Das Unternehmen, das die Räumungsklagen eingereicht hat, hat gesagt, dass Warnock und seine Kirche nicht beteiligt waren.) Aber eine E-Mail-Explosion der Walker-Kampagne an Medienvertreter vor ein paar Tagen schien ein vermindertes Selbstvertrauen anzudeuten. „Herschel Walker wird Gastgeber der Wahlnachtparty“, hieß es. Einen Monat zuvor, vor dem General, war die gleiche Einladung zu einer „Siegesfeier“ ergangen.
Unabhängig vom Ergebnis werden die Demokraten das Oberhaus des Kongresses der Vereinigten Staaten knapp kontrollieren. „Wenn der Senat im Spiel wäre, wäre es ein ganz anderes Ballspiel“, sagte mir der Konservative im Nordwesten von Georgia. „Ich denke, das Gewissen vieler Menschen wird ihnen erlauben, wie ich zu Hause zu bleiben.“ Er sieht einen Vorteil in einem Walker-Verlust. „Vielleicht ist es der Nagel in Trumps Sarg“, sagte er. „Er versinkt landesweit eindeutig in der Republikanischen Partei, und es gibt brauchbare Alternativen zu ihm.“ Wie wer? Er benannte ein Trio aktueller und ehemaliger Gouverneure der Südstaaten in der Reihenfolge seiner Präferenz: Glenn Youngkin aus Virginia, Nikki Haley aus South Carolina und Ron DeSantis aus Florida. „Das ist die positive Seite für diejenigen von uns, die glauben, dass Trump die Partei zu Fall bringt“, sagte er. „Vielleicht schafft Herschel Walker es endlich.“ ♦