Tschüss regionale Umsetzung, hallo variable Geometrie – EURACTIV.com


Das ursprünglich mit der gesamten Ostafrikanischen Gemeinschaft geplante Abkommen zwischen der EU und Kenia zur Umsetzung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens löst kurzfristig den gordischen Knoten zwischen seinen Befürwortern und Gegnern unter den afrikanischen Ländern, hat aber langfristige Folgen über die Zolldivergenz gegenüber der EU hinaus , schreibt Frederik Stender.

Frederik Stender ist Ökonom und arbeitet am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zu Fragen der Handelspolitik und der regionalen Wirtschaftsintegration.

Die Geschichte der Ostafrikanischen Gemeinschaft reicht bis ins Jahr 1967 zurück. Die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedsländern sind jedoch traditionell angespannt. Ob Unterschiede in der Gestaltung und Auslegung von Produktnormen oder offen geäußerte Widersprüche zwischen nationalen Wirtschaftsinteressen und regionalen Verpflichtungen – die Vergangenheit hat immer wieder Anlass zu Handelsstreitigkeiten, insbesondere zwischen Kenia, Tansania und Uganda, gegeben.

Ein weiterer Konfliktherd ist das im Oktober 2014 vereinbarte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der Europäischen Union (EU). Dieses soll nach langem Hin und Her nicht mehr als verbindliches Abkommen für die gesamte Region, sondern wird zunächst dem Prinzip der „variablen Geometrie“ folgen. Diese Änderung unterstreicht natürlich die verhärteten Fronten über das Für und Wider des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens zwischen den Ländern der Ostafrikanischen Gemeinschaft und birgt die Gefahr, dass das Gemeinschaftsgefühl noch weiter abgekühlt wird. Diese Entwicklung könnte jedoch über den bisher befürchteten internen Grabenkrieg um Ursprungsregeln und Zölle gegen Drittstaaten hinausgehen.

Seit Beginn der Verhandlungen im Jahr 2002 sind die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und den Ländern in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) ein Zankapfel. Um die formellen Handelsbeziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten nach den Regeln der Welthandelsorganisation zu reformieren, soll ein jahrzehntelanges unilaterales Handelspräferenzsystem durch regionale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abgelöst werden. Letztere gewährleisten zwar weiterhin den zollfreien Zugang zum EU-Markt für AKP-Exporte, erfordern aber auch eine schrittweise Marktöffnung für EU-Importe.

Während einige Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bereits vor Jahren in Kraft getreten sind, drohen andere zu hängen. Vor allem afrikanische Partnerländer sind von den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen wenig begeistert. Trotz vollständig ausgehandelter Abkommen stocken die Unterzeichnungs- und Ratifizierungsprozesse vielerorts. Die Ostafrikanische Gemeinschaft ist keine Ausnahme.

Da die Ostafrikanische Gemeinschaft bereits den Integrationsgrad eines gemeinsamen Marktes mit (formal) gemeinsamen Außenzöllen erreicht hat, verlangt ihre Satzung ein gemeinsames Vorgehen bei Handelsabkommen mit Drittstaaten. Auch die EU besteht bislang auf einer geschlossenen Umsetzung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens mit der gesamten Region, um die erreichte Integration nicht zu gefährden. Burundi, Ruanda, Südsudan, Tansania und Uganda haben jedoch bereits im Rahmen der Everything but Arms-Initiative einen zollfreien Marktzugang zur EU und haben daher wenig Interesse an einem gegenseitigen Handelsabkommen. Anders sieht es in Kenia aus. Das Land ist das einzige in der Ostafrikanischen Gemeinschaft, das bedeutende Handelsbeziehungen mit der EU unterhält. Da Kenia jedoch wirtschaftlich besser entwickelt ist als seine Nachbarn, droht ihm die Aufhebung seines noch übergangsweise versprochenen völlig zollfreien Zugangs zum EU-Markt. Kenia hat sich daher wiederholt um die Umsetzung eines bilateralen Wirtschaftspartnerschaftsabkommens mit der EU bemüht. Nach einem gemeinsamen Beschluss der Ostafrikanischen Gemeinschaft im Februar 2021 hat auch die EU diesem bilateralen Ansatz kürzlich zugestimmt.

Für die EU gibt es strategische Gründe, vom ursprünglichen regionalen Ansatz abzuweichen. Kenia ist nicht nur ein wichtiger Exporteur von Agrarprodukten, allen voran Blumen, sondern auch ein aufstrebender Technologiemarkt. Großbritannien hat mit Kenia bereits ein bilaterales Handelsabkommen geschlossen, die USA haben unter der Trump-Administration entsprechende Verhandlungen aufgenommen. Ein bilaterales Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Kenia würde es der EU ermöglichen, auch in Ostafrika im Handel Fuß zu fassen.

Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sind jedoch nicht nur Handelsabkommen. Im Gegenteil, beide Seiten verknüpfen sie auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung in den AKP-Staaten, unter anderem durch einen günstigeren Zugang zu industriellen Vor- und Zwischenprodukten und damit die Möglichkeit einer besseren Integration in europäische Wertschöpfungsketten. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gehen auch mit (mehr) Handelshilfe und einer engeren Zusammenarbeit bei Produktnormen einher, deren Einhaltung eines der größten Hindernisse für afrikanische Exporte in die EU ist. Diese positiven Aspekte könnten zwar auch durch einen erhöhten Wettbewerbsdruck kompensiert werden, dennoch würde das Land der Ostafrikanischen Gemeinschaft weiter „befördert“ bzw. von den positiven Aspekten des Abkommens profitieren, das bereits wirtschaftlich am weitesten entwickelt ist Region. Die Heterogenität innerhalb der Ostafrikanischen Gemeinschaft dürfte damit weiter zunehmen.

Gleiches gilt für das Konfliktpotential. Schon heute gönnen sich die Länder der Ostafrikanischen Gemeinschaft gegenseitigen wirtschaftlichen Erfolg und neigen allzu gerne zu einer Handelspolitik des beggar-thy-neighbours. Regionale nichttarifäre Handelshemmnisse dienen in wiederkehrender Routine dazu, der eigenen Wirtschaft einen Vorteil zu verschaffen. Ein bilaterales Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Kenia und der EU dürfte daher in Zukunft eher zu mehr als weniger Handelsstreitigkeiten führen.

Kenias bilaterales Abkommen mit der EU mag den Konflikt innerhalb der Ostafrikanischen Gemeinschaft um das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vorübergehend lösen, ist aber zu kurzsichtig. Letztlich könnte der Kurswechsel mehr Konfliktpotenzial befeuern als entschärfen. Langfristig besteht die Gefahr, dass sich die wirtschaftlichen Unterschiede in der Ostafrikanischen Gemeinschaft verschärfen. Es ist zu befürchten, dass dies strukturell die Divergenz wird sogar die der Zölle gegenüber der EU übersteigen.





Source link

Leave a Reply