Technologiesektor warnt vor Politisierung der EU-Halbleiterindustrie – EURACTIV.com

Die digitale Industrie begrüßte die Ankündigung des Chips-Gesetzes der Europäischen Kommission, das darauf abzielt, Europa widerstandsfähiger gegen externe Angebotsschocks zu machen, warnte jedoch davor, dass die Strategie nicht allein von politischen Imperativen getrieben werden sollte.

In einem neuen Diskussionspapier des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) am Donnerstag (4. November) heißt es, dass die Rückkehr der Halbleiterfertigung nach Europa für die technologische Souveränität Deutschlands und Europas entscheidend sei.

„Wir müssen die Produktionskapazitäten für Chips aller Strukturgrößen entsprechend der Marktdynamik ausbauen“, sagte der Vorstandsvorsitzende des ZVEI, Wolfgang Weber. Er fügte hinzu, dass Europas nachgelagerte Industrien sowohl Hochleistungschips kleinerer Größe als auch größere Leistungselektronik, Sensoren und mikroelektromechanische Systeme benötigen werden.

Europas Industrien waren in den letzten Monaten aufgrund einer weltweiten Lieferengpässe bei Halbleitern von Produktionsengpässen betroffen. Deutschland ist am stärksten betroffen: Über 40% der Unternehmen gaben in einer Umfrage im August an, dass sie aufgrund der Angebotsknappheit Umsätze verloren haben.

Vor allem die Automobilhersteller erleiden historische Verluste, deren Produktion im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 38 % zurückgegangen ist.

Um diese Engpässe in Zukunft zu vermeiden, enthält das Diskussionspapier mehrere Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung einer leistungsfähigen Halbleiterindustrie in Europa.

Vor allem betont der Bericht, dass die derzeit bestehenden öffentlichen Finanzierungsmechanismen verbessert und Projektgenehmigungen beschleunigt werden sollten.

Dies ist ein Hinweis auf den Chips Act, eine im nächsten Jahr erwartete EU-Initiative, die laut Studie auch auf die Schaffung günstigerer Rahmenbedingungen für Investitionen wie steuerliche Anreize oder die Förderung von Qualifikationen abzielen soll.

DigitalEurope, ein europäischer Handelsverband, erklärte auch, dass der Ausbau der Produktionskapazitäten hauptsächlich durch die Marktnachfrage und nicht durch politische Zwänge getrieben werden sollte.

Einstieg ins Hightech-Rennen?

Die Europäische Kommission hat es sich zu einer ihrer obersten Prioritäten gemacht, die Halbleiterproduktion zurück nach Europa zu bringen. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will den Anteil Europas an der weltweiten Chipproduktion von 9 auf 20 Prozent verdoppeln und die Investitionen bis 2030 um 20 bis 30 Milliarden Euro steigern.

Die Pläne sind bereits im EU-Digitalkompass skizziert und sollen im kommenden EU-Chipgesetz weiter ausgearbeitet werden.

Die Kommission will auch die Produktion von hochmodernen Halbleitern in Europa bis 2030 fördern. Während die meisten der derzeit in der EU hergestellten Chips 14 Nanometer oder größer sind, will Breton die Abhängigkeit von Asien verringern, indem die Chipherstellung von 2 Nanometern finanziert wird.

Einige Kritiker sind jedoch der Ansicht, dass dieser Ansatz keine greifbaren Ergebnisse bringen wird, da Europa in diesem Sektor bereits den Boden verloren hat.

„Es gibt keinen guten Hebel, um wieder eine wettbewerbsfähige oder gar führende Position zu erreichen“, sagte Stefan Mengel, Referatsleiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung, bei einer Veranstaltung am Dienstag (2. November).

Auch die Branchenverbände selbst haben Zweifel. Ein Sprecher von DigitalEurope sagte gegenüber EURACTIV, man sei „ein wenig besorgt, dass die Kommission aus politischen Gründen nur die kleinsten Chips (2nm) jagen wird“, während nachgeschaltete Anwender auch in den kommenden Jahren größere Chips benötigen werden.

Kämpfe einen harten Kampf

Auch die anvisierten 20-30 Milliarden Euro an Investitionen bis 2030 verblassen im Vergleich zu Europas globalen Wettbewerbern. Südkorea, einer der Marktführer in der Chipproduktion, plant im gleichen Zeitraum Investitionen von über 400 (346) Milliarden US-Dollar.

Der Bundesverband der Elektroindustrie schätzt, dass jedes Jahr mindestens 25 Milliarden Euro investiert werden müssen, um Europa wieder auf Kurs zu bringen. Um mehr Fördermittel zur Verfügung zu stellen, empfiehlt das ZVEI-Papier, den 800 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederherstellungsfonds der EU mit dem Namen „Next Generation EU“ anzuzapfen.

Mehrere Stimmen stehen der Strategie der EU jedoch sehr skeptisch gegenüber und warnen davor, dass die Kosten den Nutzen am Ende überwiegen könnten.

Ein Bericht der International Data Corporation (IDC) wies sogar darauf hin, dass bis 2023 eine Überkapazität bei Halbleitern bestehen könnte, was die Notwendigkeit riesiger öffentlicher Investitionen in Frage stellt.

Da sich der Halbleitermarkt bis 2030 voraussichtlich verdoppeln wird, müsste die Produktionskapazität des Blocks um den Faktor vier erhöht werden, um das Ziel von 20 % der weltweiten Produktion in Europa zu erreichen, bemerkt IDC.

Und selbst wenn Europa das 20-Prozent-Ziel bis 2030 erreichen würde, würde die Abhängigkeit von Asien nicht verringert, da die globalen Wertschöpfungsketten zu verflochten und zu stark von Produzenten in Ostasien abhängig sind.

„Ich denke, wir sollten diesen allgemeinen Traum von Autonomie aufgeben und mehr darüber nachdenken, wie wir Einfluss gewinnen und sicherstellen können, dass unsere Interdependenz nicht gegen uns ausgenutzt wird“, sagte Nicolas Poitiers, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wirtschafts-Thinktank Bruegel in Brüssel.

[Edited by Luca Bertuzzi and Frédéric Simon]


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