Österreichs Gratwanderung – EURACTIV.de

Neutralität ist seit langem der Kern der Identität Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Land habe zwar Millionen zur Unterstützung der Ukraine zugesagt und die EU-Sanktionen gegen Russland unterstützt, wolle aber auch die Kommunikationskanäle zum Kreml offen halten, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner im Exklusiv-Interview mit EURACTIV Deutschland.

Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat Österreich der Ukraine mehr als 580 Millionen Euro zugesagt – überwiegend für humanitäre Hilfe. „Jede Anfrage, die aus der Ukraine kommt, alles was benötigt wird, wird von uns geprüft und dann auch geliefert“, betont Tanner.

Allerdings lässt die in der österreichischen Verfassung verankerte Neutralität keine Waffenlieferungen zu.

„Es ist wichtig zu betonen, dass wir zwar gemäß unserer Verfassung und gesetzlichen Bestimmungen militärisch neutral sind, aber sicherlich nicht politisch neutral, wenn es um die Ukraine geht“, sagte Tanner gegenüber EURACTIV. „Deshalb haben wir von Anfang an alle EU-Sanktionen unterstützt. Denn es geht darum, mit der Ukraine solidarisch zu sein“, fügte sie hinzu.

Trotz dieses politischen Bekenntnisses zur Ukraine versucht Österreich weiterhin, die Kanäle zu Russland offen zu halten.

Während die EU im Februar 2022 alle Mitglieder der russischen Duma auf ihre Sanktionsliste gesetzt hat, öffnet Österreich im Laufe dieses Monats, wenn die OSZE-Versammlung in Wien tagt, seine Tore für russische Parlamentarier.

Die Entscheidung wurde von EU-Verbündeten heftig kritisiert, zumal die parlamentarische Versammlung genau ein Jahr nach Kriegsbeginn Russlands gegen die Ukraine zusammentreten wird.

„Ich finde es wichtig, nicht nur zu helfen, sondern auch diplomatische Kanäle offen zu halten. Das passiert auf jeden Fall“, betonte Tanner und fügte hinzu: „Wir haben als Vermittler in Österreich eine große Geschichte.“

„Es ist einfach schwierig, solange die Waffen sprechen, wird die Diplomatie sozusagen in die zweite Reihe gestellt. Das heißt aber nicht, dass Sie sich nicht jeden Tag anstrengen müssen. Und das passiert auch“, betonte Tanner.

Migration

Österreich sei aufgrund seiner Nähe zur Ukraine ein bevorzugtes Ziel für ukrainische Flüchtlinge gewesen, nachdem Russland das Land angegriffen und „über 50.000 Kriegsflüchtlinge“ aufgenommen habe, betonte Tanner.

„Wir haben sie aufgenommen und betreut. Ich denke, das ist eine sehr wichtige Errungenschaft“, erklärte sie und fügte hinzu, dass die österreichische Regierung dafür gesorgt habe, dass die ukrainischen Flüchtlinge, hauptsächlich Frauen und Kinder, Zugang zu Kinderbetreuung und Schulbildung erhalten.

Gleichzeitig war Österreich auch auf der Empfängerseite eines Zustroms von Asylbewerbern, der mit dem während der Flüchtlingskrise von 2015 vergleichbar ist, was das System zusätzlich belastet. Im Jahr 2022 verdreifachten sich die Asylanträge auf mehr als 100.000, der größte in der EU registrierte Anstieg.

Unterdessen registrierte Ungarn, das kürzlich einen Migrationspakt mit Österreich und Serbien geschlossen hat, nur 46 Anträge innerhalb seiner Grenzen. „Das sagt meiner Meinung nach alles“, bemerkte Tanner und fügte hinzu, „das ist ein Grund zur Sorge, weil es zeigt, dass das europaweite System offensichtlich nicht funktioniert.“

Das sei der Grund dafür, dass der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner „dafür kämpfen, dieses Problem gemeinsam als Europäische Union anzugehen“, sagte sie.

Dafür hat die österreichische Regierung im Vorfeld eines Sondertreffens der Staats- und Regierungschefs der EU am Mittwoch (8. Februar) in Brüssel nach Verbündeten gesucht. „Das ist eine alltägliche Aufgabe“, betonte sie und fügte hinzu, Karner sei nach Italien gereist, um seinen Amtskollegen zu treffen und das Thema zu besprechen.

(Nikolaus Kurmayer | EURACTIV.de)


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