Ist der gemeinsame Gaseinkauf in der EU wirklich eine schlechte Idee? – EURACTIV.com

Anstatt bis zum gemeinsamen Gaseinkauf und strategischen Vorräten zu gehen, könnte ein europäischer Solidaritätsmechanismus schnell und relativ kostengünstig implementiert werden, um Europas aktuelle – und wahrscheinliche zukünftige – Energieversorgungsprobleme zu lösen, argumentieren Christian Egenhofer und Irina Kustova.

Christian Egenhofer ist Associate Senior Research Fellow am Center for European Policy Studies (CEPS) und Senior Research Associate an der School of Transnational Governance, die zum European University Institute in Florenz gehört. Irina Kustova ist Research Fellow am CEPS.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten kämpfen mit den wachsenden politischen Folgen dessen, was manche als „Energiepreiskrise“ bezeichnen. Verschiedene Regierungen reagieren mit Transfers, Steuerermäßigungen oder Steuerbefreiungen, um angeschlagenen Verbrauchern und Unternehmen zu helfen.

Bei der Suche nach längerfristigen Lösungen umfassten einige Vorschläge den gemeinsamen Einkauf von Gas (ähnlich der Beschaffung der COVID-19-Impfstoffe) und eine Form einer EU-weiten strategischen Gasreserve, die von Spanien und Italien vorgeschlagen wurde.

Anstatt sich sofort kopfüber in solche Bestrebungen zu stürzen, könnte ein lockererer „europäischer Solidaritätsmechanismus“ ein guter Ausgangspunkt sein, um die derzeitigen (und wahrscheinlichen zukünftigen) Energieversorgungsprobleme der EU anzugehen.

Rekordhohe Energiepreise: Ein Risiko für den Green Deal

Die Ursache für die aktuell hohen Energiepreise ist eine Kombination aus internationalen und europäischen Entwicklungen. Die globale Erholung nach der Pandemie in Kombination mit einem windarmen europäischen Sommer, einem langen und kalten Frühling und zusätzlichen Faktoren wie Dürren in Brasilien und der Türkei haben die Gasnachfrage angeheizt und die Speichereinspeisung erheblich verlangsamt.

Diese Effekte wurden durch Förderprobleme in Norwegen, Großbritannien und Russland verstärkt, wobei Gazprom wahrscheinlich nicht bereit ist, mehr Gas nach Europa über seine vertraglichen Verpflichtungen hinaus zu liefern. Auch in den asiatischen Märkten gab es eine starke Gasnachfrage, insbesondere aus China.

Auch Rekordgaspreise sind die Hauptursache für die höheren Strompreise. Das Emissionshandelssystem (ETS) der EU hat in gewisser Weise dazu beigetragen. Da Gas teuer ist, hat Kohle ein Comeback erlebt und das ETS (und damit auch die Strompreise) in die Höhe getrieben.

Aber ohne das ETS wäre der Anstieg der Kohleerzeugung noch größer gewesen. Diese Entwicklung widerspricht allerdings stark den Ambitionen des Green Deals der EU, der letztlich auf die vollständige Abschaffung der Kohleverstromung abzielt.

Die Preisvolatilität wird bleiben

Da gemeinsame Beschaffung und strategische Gasvorräte viele politische, rechtliche oder praktische Fragen aufwerfen, werden sie leider nicht zur Lösung unserer aktuellen Krise beitragen können.

Aber eine Art regierungsgeführter EU-„Back-up-Versicherungsansatz“ könnte gerechtfertigt sein. Mittel- bis langfristig werden mehr erneuerbare Energien und eine bessere Energieeffizienz die EU strukturell unabhängiger von globalen Rohstoffpreisen wie Gas machen. Parallel dazu wird ein immer höherer Anteil erneuerbarer Energien die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen volatiler und saisonaler machen.

In der EU gibt es viele Lösungen, wie Demand-Response-, Speicher- und Peaking-Anlagen, um mit dieser Volatilität umzugehen. Aber alle basieren auf dem Spitzenpreis-Geschäftsmodell, oft Gas. Daher muss die EU Instrumente schaffen, um einer stärkeren Volatilität, dh mehr Perioden mit sehr hohen und sehr niedrigen Preisen, entgegenzuwirken. Europäische und nationale Regulierungsrahmen müssen die Preisvolatilität mildern (und nicht verstärken).

Gemeinsamer Einkauf als echte Lösung?

2014 kam CEPS zu dem Schluss, dass ein gemeinsamer Gaseinkauf für Mittel- und Südosteuropa sinnvoll sein könnte. Gilt das auch für die EU insgesamt? Womöglich. Aber wir sind noch nicht überzeugt.

Das aktuelle Geschäftsmodell der saisonalen Gasspeicherung besteht darin, das ganze Jahr über Gas durch bestehende Pipelines mit nahezu voller Kapazität zu transportieren. Das im Sommer angelieferte Gas, wenn kein Heizbedarf besteht, wird logischerweise so gespeichert, dass es im Winter genutzt werden kann. Zu Beginn der Heizperiode waren die Speicher im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts typischerweise zu 85 % ausgelastet.

Während diese Zahl im letzten Jahr auf 94 % gestiegen ist, sind es derzeit nur 72 %. Eine solche Fehlmenge könnte theoretisch durch gemeinsame Beschaffung und Lagerhaltung oder durch eine koordinierte staatliche Reaktion einschließlich Lagerverpflichtungen gedeckt werden. Es ist eine ausreichende Importinfrastruktur vorhanden, um die Gasversorgung in Zeiten, in denen die Speicherraten zu niedrig sind, um uns sicher durch den Winter zu bringen, hochfahren zu können.

Der Teufel steckt wie immer im Detail. Bislang gibt es in der EU keine harmonisierte Regelung zur Gasspeicherung. Einige Mitgliedstaaten haben eine strategische Lagerung (Ungarn, Italien), während andere Verpflichtungen zur Lagerung haben (Spanien, Polen). Frankreich hat einen Rabattmechanismus, um die Füllstände der Speicher zu gewährleisten, andere überlassen es einfach dem Markt (Österreich, Deutschland, Niederlande).

Durch gemeinsame Einkäufe beschaffte Lieferungen müssen auch zielortfrei bleiben, damit sichergestellt ist, dass das Gas in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen genutzt werden kann.

Dann sind da noch die Kosten. Das muss jemand bezahlen. Derzeit ist es der durchschnittliche EU-Verbraucher, der das Gefühl hat, die Hauptlast der höheren Energiepreise zu tragen und daher nicht noch mehr ausgeben möchte, auch wenn es in seinem längerfristigen Interesse liegt. Dies bringt die Regierungen in eine politische Zwickmühle.

Schließlich hängt die Gasspeicherung stark von der Geologie, der Verfügbarkeit erschöpfter Felder/Aquifere oder Salzstrukturen ab. Nur wenige Mitgliedstaaten können Speicherstandorte in ausreichendem Umfang anbieten, was wiederum die schwierige Frage nach der Kostenverteilung zwischen ihnen aufwirft.

Anstatt bis hin zu gemeinsamen Einkäufen und strategischen Vorräten zu gehen, könnte ein europäischer Solidaritätsmechanismus schnell und relativ kostengünstig umgesetzt werden. Es bedarf nur einer Harmonisierung der Gasspeicheranforderungen und der Einführung einer Mindestvorrathaltung für Situationen wie wir uns derzeit befinden. Die EU könnte sich eine EU-weite Verpflichtung zur Befüllung von 85 -90 % der Speicherkapazität setzen .

Die EU wird Energiekrisen erst dann wirksam bewältigen können, wenn weitreichendere Pläne ausgereift sind. Dies wird einige Zeit dauern. Der „Solidaritätsmechanismus“, den wir realistischerweise vorschlagen, wäre nicht vorhanden, um die aktuelle Krise zu bewältigen, aber er könnte ausreichen, um uns durch die nächste zu bringen – die, wie wir alle wissen sollten, höchstwahrscheinlich eher kommen wird als später.


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