Für ein grünes Europa, gehen Sie global oder gehen Sie nach Hause – POLITICO

Nathalie Tocci ist Pierre Keller Gastprofessorin an der Harvard Kennedy School, Direktorin des Istituto Affari Internazionali, Vorstandsmitglied von ENI und Autorin von POLITIK‘s World View-Spalte.

Nach fast zwei Jahrzehnten anhaltender Krise hat die Europäische Union eine neue Daseinsberechtigung: ein grünes Europa.

Als normative Zukunftsvision stellt sie sowohl eine klare Wachstumsstrategie als auch einen Weg zu einer politischen Union für den Block dar. Doch wie auf der UN-Klimakonferenz (COP26) diese Woche in Glasgow deutlich wurde, ist die EU – verantwortlich für nur etwa 8 Prozent der weltweiten Emissionen – nur ein kleiner Teil des globalen Bildes. Und ein grünes Europa lässt sich nur realisieren, wenn es auch global ist.

Heute ist die EU der grünen Kurve deutlich voraus. Der europäische Grüne Deal, insbesondere das Paket Fit for 55, ist derzeit der einzige konkrete Plan zur Erreichung der Klimaneutralität. Und während sowohl China als auch die Vereinigten Staaten – um zwei der größten Emittenten der Welt zu nennen – ihre Zusagen mutig erfüllen, hinken sie bei den notwendigen Gesetzen, Vorschriften und Mitteln weit hinterher.

Dennoch ist die Klimaführerschaft der EU kein Grund zur Freude. Ein grünes Europa kann nur dann einen gangbaren Weg darstellen, wenn es sowohl intern eine Netto-Null-Kohlenstoffneutralität erreicht als auch extern durch die Außenpolitik sowie durch seine führende Rolle bei der globalen Governance der Klima- und Energiewende zum gleichen Ziel beiträgt – eine Dimension, für die es ist weit weniger vorbereitet.

Würde die EU dekarbonisieren, ohne den Rest der Welt mitzunehmen, würde ihre globale Wettbewerbsfähigkeit leiden, ihre industrielle Basis würde ausgehöhlt und die potenziell regressiven sozioökonomischen Auswirkungen des Übergangs würden verschärft. Der Block würde auch riskieren, unbeabsichtigt zur Entkopplung der globalen Lieferketten zwischen grünen und braunen Volkswirtschaften mit höheren Kosten für alle beizutragen.

Die EU wird nur dann erfolgreich Emissionen und Wohlstand in Europa entwirren, wenn sie den Rest der Welt mitzieht. Und dafür muss sie hohe geopolitische Hürden überwinden.

Heute hat China einen klaren Vorsprung bei grünen Technologien, insbesondere bei Solar und Speicher. Europa treibt auch den Aufbau grüner Kapazitäten voran und entspricht damit auch dem Ziel einer europäischen strategischen Autonomie angesichts des diffuseren und dezentraleren Charakters der erneuerbaren Energien. Während sich also die Abhängigkeiten alter fossiler Brennstoffe allmählich verwässern können, besteht die Gefahr, dass andere Abhängigkeiten zunehmen.

Ein dekarbonisiertes Europa ohne China wäre unerschwinglich und wahrscheinlich nicht machbar. Selbst wenn Europa selbst in großem Umfang grüne Industriekapazitäten auf den Weg bringen und fördern würde, würde es bei einer Aussperrung Chinas dauern, bis diese wettbewerbsfähig werden und die Angebotslücke schließen. Und da die Beziehungen zwischen dem Westen und China sauer sind, stellen sich schwierige Fragen, denen sich die EU – und die USA – stellen müssen.

In der Vergangenheit zum Beispiel wurden in der Debatte um die Zusammenarbeit mit autoritären Ländern oft Interessen gegen Werte ausgespielt und Fragen aufgeworfen wie: Sollen Werte wie die Menschenrechte die Verfolgung strategischer oder wirtschaftlicher Interessen übertrumpfen? Jetzt, da sich die Energiewende vollzieht, werden unweigerlich zwei Wertegruppen miteinander konkurrieren, was Fragen aufwirft, wie zum Beispiel, ob die Klimaführerschaft auf Kosten der Menschenrechte gehen sollte. Oder genauer gesagt, ob die EU ihre Ziele für erneuerbare Energien erreichen sollte, wenn dies nur in Xinjiang möglich ist.

Die Quadratur dieses Kreises erfordert zweifellos stärkere transatlantische Beziehungen. Aber auch hier ist das Glas nur halb voll. Unter Präsident Joe Biden haben die EU und die USA eine neue Seite aufgeschlagen und die grüne Agenda zu einem Hauptthema für verstärkte transatlantische Beziehungen erhoben. Und bei einigen Themen hat dies zu einer gemeinsamen Führung geführt, wie zum Beispiel die globale Methanverpflichtung, die diese Woche auf der COP26 diskutiert wurde.

In anderen Bereichen bleibt die transatlantische Kluft jedoch beträchtlich. Hier stechen insbesondere die CO2-Bepreisung sowie unterschiedliche Ansichten zu grünen Taxonomien hervor. Da die EU bereits damit begonnen hat, ihre Standards festzulegen, in der Hoffnung, bei Klimainvestitionen führend zu sein, werden die USA sie wahrscheinlich nicht so schnell übernehmen. Und wenn es um die CO2-Bepreisung geht, ist die transatlantische Konvergenz angesichts des künftigen CO2-Grenzanpassungsmechanismus der EU umso schwieriger, aber notwendig – ein entscheidender externer Schritt, wenn sich das Europäische Emissionshandelssystem intern so entwickeln soll, wie es sein sollte.

Schließlich ist ein grünes und globales Europa auch eines, in dem es sowohl seine Klimafinanzierungszusagen einhält als auch dafür sorgt, dass andere dies auch tun. EU-Institutionen und Mitgliedsländer sind derzeit weltweit führend bei der Klimafinanzierung, und wenn die globale Schwelle von 100 Milliarden US-Dollar allmählich in Reichweite gerät, wird dies größtenteils den Bemühungen der EU in dieser Hinsicht zu verdanken sein. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail.

Es wird nicht einfach sein, 30 Prozent des Budgets, das Europa für das Klima in seinen umliegenden Regionen bereitstellt, zu operationalisieren – zumal der Löwenanteil auf bestimmte Regionen gelenkt wurde und nicht nach thematischen Prioritäten. Dies wird jedoch entscheidend sein, damit der grüne Übergang über die Grenzen der EU hinaus an Fahrt gewinnt.

Europas neues Narrativ ist und sollte das einer grünen Union sein. Daran besteht kein Zweifel. Bei der Verfolgung seiner neuen Ambitionen kann sein Fokus jedoch nicht hauptsächlich intern bleiben. Für jede Chance auf Wachstum und Erfolg muss die europäische Klimaagenda auch eine globale sein.

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