Es ist an der Zeit, dass Deutschland seine Außenpolitik la-la land – POLITICO – aufgibt

Andreas Umland ist Analyst am Stockholm Centre for Eastern European Studies am Swedish Institute of International Affairs und außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Kiew-Mohyla-Akademie.

In einer historischen Rede vor dem Bundestag kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar a Zeitenwendeein Wendepunkt der europäischen Nachkriegsgeschichte und der deutschen Außenpolitik.

Der Beginn der russischen Militärinvasion und der Bombardierung der Ukraine drei Tage zuvor hatte nicht nur alle Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der Ost-West-Kooperation nachdrücklich zunichte gemacht, sondern auch viele hochgehaltene deutsche Überzeugungen in Frage gestellt – Überzeugungen in Bezug auf die internationalen Beziehungen im Allgemeinen und Berlins Osteuropa Ostpolitik speziell.

Trotz der Waffenlieferungen an die Ukraine und der jüngsten Wende in der deutschen Unterstützung eines EU-Ölembargos gegen Russland bedarf die deutsche Außenpolitik noch immer eines längst überfälligen Neustarts.

Bis vor zwei Monaten war ein Großteil des zeitgenössischen deutschen Denkens über Geopolitik auf einer rosigen Sicht auf das Weltgeschehen aufgebaut. Jahrzehntelang lebten große Teile der deutschen Bevölkerung in a Wolkenkuckucksheim – ein Wolkenkuckucksheim – mit dem vorherrschenden außenpolitischen Paradigma, dass sich die bewaffnete Konfrontation aus Missverständnissen und mangelnder Kommunikation ausbreitet. Die Idee war, dass politischer Dialog, kultureller Austausch, Entwicklungshilfe, Wirtschaftsbeziehungen und diplomatische Verhandlungen nachhaltige Sicherheit und Frieden schaffen – nicht Militärbündnisse und Verteidigungsbereitschaft.

Der Aufstieg des westdeutschen Pazifismus beruhte weniger auf Lehren aus der Vergangenheit als auf einem Luxus, der durch den Schutz Westeuropas durch amerikanische Truppen und den Schirm der Atomwaffen der NATO gewährt wurde.

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Erweiterung der Europäischen Union und der NATO in den 1990er Jahren nährten das nur Wolkenkuckucksheim. Die glückliche geografische Lage Deutschlands, umgeben von zuverlässigen Verbündeten, bot die Voraussetzungen für eine introvertierte Außenpolitik, die Hochmoral, unreflektierten Pazifismus und unpraktischen Idealismus feierte.

Westdeutsche Überhöhung des sog Neue Ostpolitik, die neue Ostpolitik, bleibt ein Paradebeispiel für dieses schiefe deutsche Denken. Ein neuer Ansatz gegenüber dem Sowjetblock durch die friedlichen Koalitionsregierungen der Sozialdemokraten und Liberalen in den 1970er Jahren soll das Ende des Kalten Krieges 20 Jahre später vorbereitet haben.

Diese selbstgefällige Erzählung ignoriert jedoch das Folgende Neue Ostpolitik, marschierte die Sowjetunion 1979 in Afghanistan ein. Anfang der 1980er Jahre kam es zu einer raschen Eskalation der Ost-West-Spannungen. Die Sowjetunion hatte bereits während des Krieges mit der Planung, Entwicklung und dem Bau ihrer berüchtigten SS-20-Mittelstreckenraketen begonnen Neue Ostpolitik“In ihrer Blütezeit, und schlimmer noch, wurde Moskaus Aufrüstungsbemühungen teilweise durch die großangelegte sowjetisch-deutsche Energiekooperation finanziell machbar.

Das problematische Endergebnis der Annäherung an den Kreml in den 1970er Jahren hätte der deutschen politischen Elite und der breiten Öffentlichkeit eine nachhaltige Lektion erteilen müssen. Doch die ambivalenten Ergebnisse von Neue Ostpolitik wurden nie kritisch reflektiert, und sein spektakulärer Zusammenbruch im Jahr 1979 wurde schnell vergessen, was nur wenige Jahrzehnte später zu einer seltsamen Wiederholung der westdeutschen Außenannäherung an Moskau durch ein vereintes Deutschland führte.

2005 wurde mit dem Bau der ersten Nord-Stream-Gaspipeline von Russland nach Deutschland – dem bis dahin größten europäischen Energieinvestitionsprojekt – begonnen, dem neun Jahre später die Annexion der Krim durch Moskau und die Anzettelung eines Pseudo-Bürgerkriegs folgten in der Ostukraine. 2015 schlossen Berlin und Moskau den Auftrag für Nord Stream 2, nur sieben Jahre später folgte die russische Invasion in der Ukraine.

Vor diesem Hintergrund die von Scholtz Zeitenwende Rede sowie zahlreiche ähnliche Äußerungen anderer deutscher Mainstream-Politiker waren ermutigend. Doch die jüngsten Ankündigungen einer neuen Berliner Außenpolitikdoktrin bleiben in Umfang und Tiefe begrenzt. Und die deutsche Wende hat zu wenig Selbstreflexion über die Ursachen vergangener Fehltritte ausgelöst.

Sie hat auch noch nicht zu einer vollständigen Neukalibrierung der außenpolitischen Vorrechte geführt.

Auf lästige Ambivalenzen in der 50-jährigen Geschichte Bonns und Berlins hinweisen Ostpolitik wird in vielen deutschen öffentlichen Debatten immer noch als Tabu angesehen, und der ehemalige Bundeskanzler und heutige Rosneft-Mitarbeiter Gerhard Schröder ist weiterhin Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Die Kluft zwischen Berlins lautstarken pro-ukrainischen Äußerungen einerseits und seinen zögerlichen Entscheidungen zu Militärhilfe und Wirtschaftssanktionen andererseits irritiert Deutschlands Verbündete in West und Ost nach wie vor. Und um seine Außenpolitik komplett neu zu starten, braucht Deutschland mehr als ein paar politische Reden. Es bedarf einer tieferen Untersuchung und einer breiteren Debatte, die die gesamte Bandbreite vergangener Pannen durchläuft und dazu beiträgt, die Geopolitik endgültig zu demontieren Wolkenkucksheim viele leben noch darin.


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