Vier Jahreszeiten, sechs Kinder in Fotografien
Die neue Fotosammlung von Jesse Lenz, Die Seraphim, beginnt mit einem beeindruckenden Bild: Ein Kind steht mit dem Gesicht von der Kamera abgewandt, die Haare im Wind verweht, und blickt in eine bedrohliche Landschaft. Das Bild bleibt stehen – es läuft gerade weiter, als würde ein Film ablaufen; es verspricht einen sich entfaltenden Moment. Dieser Anfang fängt das übergreifende Thema des Buches ein, das aus der Perspektive der Kindheit die Wunder des Lebens und die Rhythmen der Natur erforscht.
Lenz verbrachte vier Jahre damit, seine sechs Kinder vor dem Hintergrund ihrer Farm im ländlichen Ohio zu dokumentieren. Das sind keine süßen Bilder von Kindern in der Natur: „Ich halte Kinder (oder Kindheit) nicht für unschuldig“, sagte er mir. „Wenn man sechs hat, weiß man sicher, dass das nicht der Fall ist.“ Lenz betrachtet die Natur als einen Ort, an dem Kinder ein Gefühl für Wunder und Geheimnisse entdecken können – und das wesentliche Element der Gefahr: „Die Natur war schon immer das, was den Menschen zuerst über den Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt lehrt. Hier werden wir auf die Probe gestellt, dort erleben wir das Numinose und werden verwirrt.“
Lenz, der Sohn eines Predigers, hatte Kindheitsträume voller „Prophezeiungen, Engel und Dämonen sowie Sünde und Erlösung“. Im Laufe des Buches werden die Kreaturen der Farm sowohl zu unheilvollen Gestalten als auch zu mystischen Begleitern. In einem Bild starren ein Kind und eine Eule direkt in die Kamera; in einem anderen Fall umklammert dasselbe Kind eine ausgestopfte Eule und verwischt so die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. „Wenn ich Bilder bearbeite, suche ich nach Momenten, die das Gefühl haben, über diese Zeit oder Ebene der Existenz hinauszugehen. Kleine Momente, die eine Kritik an der menschlichen Rationalität bieten und uns ermutigen, uns dem Transzendenten und Geheimnisvollen zu öffnen“, erklärte Lenz. Er interessiert sich für den Grenzraum zwischen dem Mythischen und dem Realen, dem Verborgenen und dem Sichtbaren.
Das Buch endet mit dem Abdruck von Flügeln, die in den Schnee geätzt sind. Die Fotografien fangen die Flüchtigkeit der Kindheit und ihre Verzauberungen ein, die so schnell verschwinden, wie der Schnee schmilzt.