Deutsche Parteien vertreten widersprüchliche Ansichten zur digitalen Zukunft der EU – EURACTIV.com


Die Digitalisierung ist eines der heißen Themen der bevorstehenden Bundestagswahl in Deutschland und die Parteien bieten unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Rolle Deutschland in der EU-Digitalpolitik spielen sollte und wie digitale Souveränität und strategische Autonomie gefördert werden können.

Nachdem die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland 2017 als „digitales Entwicklungsland“ bezeichnete, hat die letzte Koalitionsregierung damit begonnen, die Digitalisierung zu einer ihrer obersten Prioritäten zu machen und zahlreiche Gesetze und Verordnungen verabschiedet.

Im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September hat EURACTIV die deutschen Parteien aufgefordert, ihre Haltung zur künftigen Rolle Deutschlands in der EU-Digitalpolitik und zur europäischen digitalen Souveränität zu klären.

Nationaler vs. europäischer Ansatz

Die aktuelle CDU-SPD-Regierung hat sich konsequent als Vorreiter in der europäischen Digitalpolitik dargestellt und nationale Regelungen mit ähnlichem Umfang erlassen wie einige der derzeit auf EU-Ebene diskutierten Regulierungsvorschläge – wie das Digital Services Act (DSA) und das Digitale Marktgesetz (DMA).

Gesetzgeber von CDU/CSU und SPD betonen die Vorreiterrolle der deutschen Digitalgesetzgebung und bezeichnen den deutschen Ansatz als den Maßstab für die gesamte EU-Digitalpolitik.

„Die Diskussion um die Gesetzesvorschläge von DSA und DMA folgt weitestgehend dem Vorbild der deutschen Regelungen“, sagte ein SPD-Vertreter gegenüber EURACTIV.

Die CDU achtet besonders darauf, dass die Regelungen von DMA und DSA das Schutzniveau ihrer deutschen Kollegen nicht unterschreiten und will nun ihre Erfahrungen auf nationaler Ebene in die europäische Debatte einbringen.

Die Grünen, die liberale FDP und die Linkspartei stehen diesem „Vorläufer-Ansatz“ jedoch kritisch gegenüber und behandeln digitalpolitische Fragen lieber auf europäischer als auf nationaler Ebene.

Die Grünen definieren den aktuellen Politikansatz der amtierenden SPD-CDU-Koalition als „unkoordiniert“ und betonen, dass die Digitalpolitik in einen breiteren europäischen Kontext eingebettet werden muss, anstatt nationale Gesetze vorzulegen.

„Die nationalen Versuche, den digitalen Raum zu regulieren, würden für Unternehmen nur Rechtsunsicherheit schaffen, da diese Regeln früher oder später an den europäischen Rechtsrahmen angepasst werden müssen“, sagte die Grüne gegenüber EURACTIV.

Die liberale FDP, die laut Umfragen nach der Wahl eine Königsmacherrolle spielen könnte, verfolgt eine ähnliche Kritik. „Disparitäten zwischen nationaler und europäischer Gesetzgebung erschweren die Rechtsanwendung und schaffen mehr bürokratische Hürden für Unternehmen, was insbesondere KMU betrifft“, sagte die FDP gegenüber EURACTIV.

Der Fahrplan zur digitalen Souveränität

Eine der obersten Prioritäten der Europäischen Kommission besteht darin, die Souveränität und strategische Autonomie Europas zu stärken und den Block weniger abhängig von Technologien aus anderen Teilen der Welt zu machen.

Bereits während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 hatte die Regierung dieses Ziel ganz oben auf ihre Agenda gesetzt.

Während sich alle deutschen Parteien einig sind, dass das Streben nach europäischer digitaler Souveränität von größter Bedeutung ist und Deutschland seine internationale Position nur in enger Zusammenarbeit mit der EU und ihren Mitgliedstaaten erhalten und weiterentwickeln kann, ist die Antwort auf die Frage, wie dies erreicht werden kann, unterschiedlich zwischen den Parteien erheblich.

Für die SPD ist digitale Souveränität nur als gemeinsamer europäischer „Kraftakt“ machbar.

Ihr Hauptziel ist der Erhalt und Ausbau der europäischen digitalen Souveränität durch die finanzielle Unterstützung europäischer und deutscher Digitalunternehmen in allen Technologiebereichen – von der Quantentechnologie bis zur Halbleiterproduktion – und entlang der gesamten Lieferkette.

In ähnlicher Weise betont die CDU die Notwendigkeit massiver Investitionen in den Technologiesektor, indem Anreize für private Akteure durch öffentliche Subventionen und Förderprogramme geschaffen werden. Für die Christdemokraten sollten Europa und Deutschland jedoch ein isolationistisches Verhalten vermeiden, da dies die Entwicklung einer lebendigen digitalen Marktwirtschaft behindern würde.

Die Grünen sind sich einig, dass digitale Souveränität keinen technologischen Protektionismus mit sich bringen sollte, aber sie betonen, dass es nicht nur um Investitionen geht, sondern auch darum, internationale Standards zu setzen, um europäische Werte auf globaler Ebene zu exportieren.

Darüber hinaus plädieren die Grünen dafür, dass Investitionsprogramme im Digitalbereich stärker europäisiert und die Potenziale der Digitalisierung für den sozial-ökologischen Wandel voll ausgeschöpft werden müssen.

Die FDP setzt hingegen auf die Einführung eines Bundesministeriums für digitale Transformation, um die Digitalisierungsbemühungen des öffentlichen und privaten Sektors in Deutschland zu beschleunigen und einen koordinierteren Umgang mit der Digitalisierung zu gewährleisten.

Die Liberalen betonen auch, dass die digitale Souveränität eng mit dem Internetzugang verknüpft ist. Die Breitbandinfrastruktur müsse über ein nachfrageorientiertes Anreizsystem und den Bürokratieabbau massiv ausgebaut werden, um die digitale Souveränität Deutschlands zu gewährleisten.

Die Linkspartei ihrerseits sorgt sich vor allem um die Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von Big-Tech-Diensten und plädiert für einen Umstieg auf Open-Source-Software, die ihrer Meinung nach neue Maßstäbe in der Privatwirtschaft setzen und die Widerstandsfähigkeit der IT Infrastruktur.

[Edited by Luca Bertuzzi/Zoran Radosavljevic]





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