Chips-Geopolitik und neue EU-Agenda für Halbleitersouveränität – EURACTIV.com

Das Technologische werde erschreckend zu geopolitisch, gerade angesichts der aktuellen globalen Halbleiterknappheit, schreibt Raluca Csernatoni.

Raluca Csernatoni ist Expertin für europäische Sicherheit und Verteidigung und konzentriert sich auf neue und disruptive Sicherheits- und Verteidigungstechnologien bei Carnegie Europe in Brüssel.

Halbleiter, auch Mikrochips genannt, sind das Rückgrat der heutigen vernetzten Welt. Von älteren Low-End-Chips, die von der Automobilindustrie verwendet werden, bis hin zu High-End-Chips, die für hochmoderne Produkte wie PCs und Smartphones benötigt werden, Halbleiter sind das „Gehirn“ in allen elektronischen Geräten.

Die anhaltende weltweite Knappheit gibt Anlass zu großer Sorge. Warum ist das passiert?

Die Krise ist mit einer Kombination verschiedener Ereignisse und Faktoren verbunden. Hauptursache war der Schneeballeffekt der COVID-19-Pandemie, der die Chipproduktion schloss, aber auch eine hohe Nachfrage nach persönlichen elektronischen Geräten durch Millionen von Menschen auslöste, die von zu Hause aus arbeiten.

Ein weiterer Faktor war der Tech-Handelskrieg zwischen den USA und China, bei dem Washington Handelsbeschränkungen für Chinas größten Chiphersteller (Semiconductor Manufacturing International Corporation – SMIC) auferlegte.

Dieses geopolitische Gerangel setzte nicht-chinesische Hersteller unter Druck, die bereits mit voller Kapazität arbeiteten.

Schließlich erlebte Taiwan, der größte Akteur in der Halbleiterindustrie, die schwerste Dürre seit mehr als einem Jahrhundert – für den Chip-Produktionsprozess wird eine große Menge Reinstwasser benötigt. Daher kamen Engpässe in die ohnehin schon schlimme Situation.

Heute konkurrieren die USA (Intel) in vielen Teilen der fortschrittlichen Produktionsprozesse, wie Chip-Design und -Fertigung. Die höchste Konzentration an hochmoderner Chipherstellung und -montage findet sich jedoch in Asien, hauptsächlich in Taiwan (Taiwan Semiconductor Manufacturing Co – TSMC), dann in Südkorea (Samsung Electronics), wobei Europa nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Aufgrund von Produktionsverzögerungen, die in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie verstärkt wurden, hat die Chipknappheit die Staaten dazu veranlasst, ihre Autonomie in diesem strategischen Sektor zu verfolgen und die Produktion zu stützen.

Die anhaltende globale Chipknappheit hat somit die geopolitischen Risiken der Technologieabhängigkeit und der Konzentration der Chipherstellung auf nur eine Handvoll Länder offengelegt.

Der Zugang zu High-End-Mikrochips ist nicht nur für die Industrie, sondern auch für die nationale und internationale Sicherheit unverzichtbar.

Die USA haben massive Investitionen und Anreize im Rahmen des überparteilichen American Chips Act diskutiert, um die heimische Fertigung, Forschung und Entwicklung sowie die Sicherheit der Lieferkette zu unterstützen.

Die Aufrechterhaltung eines Vorsprungs bei Halbleiterinnovationen und die Unterstützung der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten sind für Washington zu wichtigen strategischen Prioritäten geworden.

Dies unterstreicht die Tatsache, dass Halbleiter als „Grundlagentechnologien“ als Schlüssel sowohl für wirtschaftliche Leistungen im digitalen Zeitalter als auch für militärische Macht gelten.

Ebenso will die EU die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten stärken und die europäischen Beteiligungen erhöhen, um die Spitzengruppe der Chiphersteller zu erreichen, mit dem Ziel, bis 2030 20 % des Weltmarktes zu erobern.

In ihrer jüngsten Rede zur Lage der Union stellte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, eine weitere Initiative zur Stärkung der Technologiesouveränität der EU vor, den European Chips Act.

Damit soll das politische Signal gesetzt werden, dass die EU in den weltweiten Chip-Wettlauf einsteigen und die Forschungs- und Fertigungskapazitäten im Inland ausbauen will.

Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission kürzlich auch die Europäische Allianz für Prozessoren und Halbleiter ins Leben gerufen, die EU-Mitgliedstaaten, Unternehmen, Forschungs- und Technologieorganisationen zusammenbringt.

Laut EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton ist mit dem „European Chips Act unsere Technologiesouveränität in greifbare Nähe gerückt“.

Oder ist es? Die Ambitionen der EU nach Chipsouveränität könnten in der Tat fehl am Platze sein, insbesondere wenn es um die Produktion von Spitzenchips geht, deren Entwicklung viel Zeit und Geld kostet.

Um dieses Ziel herum wimmelt es von politischer Rhetorik.

Die Kontrolle über die Produktion zu erlangen und in Lieferketten nach oben Fuß zu fassen, ist sehr schwierig. Die EU kommt zu spät zur Party.

Der Halbleitersektor ist hoch konzentriert, spezialisiert, innovationsgetrieben, extrem kapitalintensiv und wird vor allem von konsolidierten Akteuren in Asien und den USA kontrolliert.

Andere große Hindernisse für die EU sind ihre eigenen Binnenmarktregeln für den Wettbewerb und die Vergangenheit, öffentliche Subventionen auf ein Minimum zu beschränken.

Dennoch könnte das europäische Rahmenwerk der technologischen Souveränität nützlich sein, um die Mitgliedstaaten von den Vorzügen von „mehr EU“ bei der Koordinierung technischer Innovationen und industrieller Bemühungen zu überzeugen.

Auch der Alleingang im Streben nach strategischer Autonomie ist nicht immer der praktikabelste Ansatz. Partnerschaften mit vertrauenswürdigen Staaten und kommerziellen Akteuren sind ebenso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger.

Dies erklärt die jüngsten Besuche von Kommissar Breton in den USA, Japan und Südkorea, um die Produktion an Land zu fördern und die High-End-Fertigung nach Europa zu locken.

Um das Interesse von Chipherstellern zu wecken, kann der Block sein beträchtliches Forschungsökosystem, seine wissenschaftlichen und industriellen Fähigkeiten in wichtigen Technologiesektoren und seine qualifizierten Arbeitskräfte nutzen.

Zwei in Europa ansässige Erfolgsgeschichten sind es wert, hervorgehoben zu werden. Belgiens Interuniversitäres Mikroelektronikzentrum – IMED, eine internationale Forschungs- und Entwicklungsorganisation, ist führend in der Halbleiterforschung.

Und das niederländische multinationale Unternehmen ASML ist ein Innovationsführer in der Halbleiterindustrie und stellt komplexe Maschinen her, die für die Produktion von Mikrochips unerlässlich sind.

Ebenso wichtig sind strategische Technologieallianzen. Halbleiter und die Verpflichtung, die globalen Lieferketten wieder ins Gleichgewicht zu bringen, standen im September 2021 auch auf der Agenda des EU-US-Handels- und Technologierats von Pittsburgh.

Der Rat scheint das beste Forum zu sein, um gemeinsame Strategien zu erörtern und eine gemeinsame Grundlage zur Erhöhung der jeweiligen Versorgungssicherheit zu finden. Abgesehen von den Verpflichtungen bleibt abzuwarten, wie sich dies in der Praxis auswirken wird, beispielsweise bei dem Versuch, einen globalen „Subventionswettlauf“ für Halbleiter mit den USA und anderen Akteuren wie Südkorea und China zu vermeiden.

Während die Pläne der EU für die Chipsouveränität Gestalt annehmen, sollte sich der Block auf die Förderung eines innovationsfreundlichen Ökosystems in Europa konzentrieren, verbunden mit erheblichen europäischen Mitteln zur Unterstützung einheimischer Technologieinitiativen in Bezug auf Chipdesign und -herstellung.


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