Afghanistan: Livestream und G7- Merkel äußert sich – Politik


Nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan haben die islamistischen Taliban die Macht im Land übernommen – und gestalten es nach ihren Vorstellungen um. Die wichtigsten Entwicklungen im Newsblog.

Die Staats- und Regierungschefs der führenden westlichen Industrienationen (G7) haben sich per Videoschalte zu Gesprächen über die Lage in Afghanistan getroffen. In diesen Minuten tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Statement vor die Kameras.

Es sei ein sehr wichtiger Austausch gewesen, sagte Merkel. US-Präsident Joe Biden habe auf die sich verschärfende Sicherheitslage hingewiesen. Es brauche eine “sehr sehr enge Zusammenarbeit” der G7-Staaten und der Nato-Verbündeten, so Merkel. Jeder helfe bei diesem Einsatz jedem. Die Konferenz habe “keine neuen Daten ergeben”, was das Ende des Evakuierungseinsatzes angeht. Auch über die Frage, ob der Flughafen weiter zivil betrieben werden könne, sei noch nicht abschließend geklärt. Das US-Militär hat für den Einsatz derzeit etwa 5800 Soldaten am Flughafen in Kabul. Eine Fortsetzung der Evakuierungsflüge ohne die Unterstützung der USA gilt als undenkbar. Auch Merkel unterstrich, dass eine Fortführung der Aktion ohne die USA nicht weiterführen könne. Außerdem sagte sie, dass die G7 den Taliban gegenüber einheitlich auftreten wollen würden.

Der Fokus der Bundesregierung liege darauf, eigene Staatsbürger aus dem Land zu bringen. Diese Bemühungen würden auch fortgeführt, sagte Merkel auf die Frage, ob ein Abschluss der Evakuierungsmission vor September noch möglich sei. Deutschland dürfe seine Soldaten keinem “unangemessenen Risiko” aussetzen. Es sei auch über langfristige Fragen gegangen, die jedoch nicht im Mittelpunkt der Gespräche gestanden hätten, sagte Merkel. Dazu zähle zum Beispiel die Frage, wie die Taliban so schnell hätten die Macht übernehmen können. Darüber müsse jedoch später auch im Rahmen der Nato gesprochen werden.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte sich für eine Evakuierungs-Vereinbarung mit den Taliban für die Zeit nach der laufenden Bundeswehr-Mission ausgesprochen – unabhängig davon, wie lange diese noch läuft. Damit solle gewährleistet werden, dass auch dann noch ehemalige Helfer von Bundeswehr und Bundesministerien ausgeflogen werden könnten, die zurzeit gar nicht zum Flughafen Kabul kommen könnten, sagte die CDU-Politikerin in Berlin. “Wir brauchen auf jeden Fall auch in der Sache sicheres Geleit eine Lösung und eine Vereinbarung mit den Taliban, die über die eigentliche Evakuierungsmission hinausgeht.” Die Bundeswehr hat bisher rund 3800 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen.

Taliban wollen Afghanen nicht mehr ausreisen lassen

Die Taliban schließen eine Verlängerung des Evakuierungseinsatzes internationaler Truppen am Flughafen von Kabul aus. Die vereinbarte Frist laufe am 31. August ab, sagte Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid in Kabul bei einer von BBC übertragenen und übersetzten Pressekonferenz. Eine Verlängerung verstoße gegen die Absprachen. Zugleich kündigte er an, Afghaninnen und Afghanen würden nicht mehr zu Flughafen gelassen. “Wir werden ihnen nicht erlauben, das Land zu verlassen.”

Das US-Verteidigungsministerium erklärt, bislang gebe es keine Änderungen an den Plänen, die Evakuierungen am 31. August abzuschließen. Kritiker monieren, bis dahin könnten nicht alle Menschen, denen von den Taliban Gefahren drohten, außer Landes gebracht werden. Die Islamisten haben allerdings mit Konsequenzen gedroht, sollten ausländische Truppen über den August hinaus in Afghanistan bleiben. US-Präsident Joe Biden habe sich entsprechenden Empfehlungen des US-Verteidigungsministeriums angeschlossen, sagt ein Regierungsvertreter Reuters. Das Verteidigungsministerium stützt seine Ratschläge auf eine Analyse der Sicherheitslage.

Seit der Machtübernahme der Taliban vor gut einer Woche bringen westliche Länder ihre Staatsangehörigen und weitere schutzbedürftige Menschen über den Flughafen Kabul außer Landes. Den USA warf Mudschahid vor, gut ausgebildete Afghaninnen und Afghanen zur Ausreise zu überreden. Er rief die Bevölkerung zum Bleiben auf. Das Land brauche gut ausgebildete Ärzte und Ingenieure, sagte er. Zugleich kündigte er an, dass die Taliban die Menschenmenge am Flughafen reduzieren wollen. Es seien zu viele Menschen dort, sie könnten ihr Leben verlieren. Die Menschen sollten in ihre Häuser zurückkehren und ihrem Alltag nachgehen.

Wie bereits vor einer Woche machte der Sprecher der Bevölkerung umfassende Sicherheitsversprechen. Internationale Organisationen könnten weiterarbeiten und auch Frauen dürften ihrer Arbeit nachgehen, wenn sich die Sicherheitslage entspannt habe. Niemand werde verfolgt und es gebe keine Liste, sagte Mudschahid. Damit spielte er auf Berichte an, nach denen die Islamisten systematisch nach Gegnern und ihren Angehörigen suchen und sie bedrohen.

Mit Blick auf das Pandschir-Tal, der letzten nicht von den Taliban kontrollierten Provinz, sagte Mudschahid, die Taliban strebten eine Verhandlungslösung an. Er sei sicher, dass die Kontrolle über das Gebiet ohne Kämpfe wiederhergestellt werde. “Wir wollen keinen Krieg mehr in Afghanistan.” (24.08.2021)

Taliban stellen neue Regierung zusammen

Die Taliban stellen eine neue Regierung zusammen und haben einem Medienbericht zufolge erste Minister bestimmt. Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok meldete, dass unter anderem Gul Agha als Finanzminister und Sadr Ibrahim als Innenminister ernannt worden seien. Neuer Gouverneur der Provinz Kabul sei Mullah Schirin, Bürgermeister der gleichnamigen Hauptstadt sei Hamdullah Nomani. Auch der Geheimdienst habe eine neue Spitze erhalten. Weitere Details wurden zunächst nicht bekannt. Bereits am Montag hatten die Taliban die Spitze der Zentralbank neu besetzt. Seit der Machtübernahme der Islamisten sind die Banken geschlossen und viele Amtsstuben leer. Der Zentralbankchef des Landes ist aus Kabul geflüchtet.

Eine Anerkennung einer Taliban-Regierung durch andere Länder hätte schwerwiegende Konsequenzen. So könnten die Extremisten Zugang zu ausländischen Hilfen erhalten, von denen frühere Regierungen des verarmten Landes abhängig waren. Bereits vergangene Woche hat sich der britische Premierminister Boris Johnson gegen eine bilaterale Anerkennung einer Taliban-Regierung durch einzelne Länder ausgesprochen. “Wir wollen eine einheitliche Position unter allen Gleichgesinnten, soweit wir eine bekommen können”, sagte er. Die sieben führenden Industriestaaten beraten in einer Video-Konferenz über die Lage in Afghanistan.

Die Anführer der Taliban, die sich um ein gemäßigtes Auftreten bemühen, peilen eine rasche Regierungsbildung an. So wurden bereits Gespräche aufgenommen, an denen auch einstige Gegner wie der frühere Präsident Hamid Karsai teilnahmen. (24.08.2021)

UN-Menschenrechtshochkommissarin befürchtet “Rückkehr zu früheren Mustern von Menschenrechtsverletzungen”

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat in einer Sondersitzung über die Lage in Afghanistan beraten. Gegenstand waren “ernste Besorgnisse über die Menschenrechtslage”, wie das UN-Gremium mitteilte. Menschenrechtshochkommissarin Michelle Bachelet rief die Staatengemeinschaft zu einem “geeinten und unmissverständlichen Handeln” als Signal an die Taliban, dass sie nicht zu früheren Praktiken zurückkehren könnten. China hingegen warf den USA und Großbritannien Menschenrechtsverletzungen während ihrer militärischen Präsenz in Afghanistan vor und kündigte an, ein freundschaftliches Verhältnis zur künftigen Regierung in Kabul aufbauen zu wollen.

Bachelet sprach von “schweren Befürchtungen einer Rückkehr zu früheren Mustern von Menschenrechtsverletzungen”. Es gebe glaubwürdige Berichte über Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in den von Taliban kontrollierten Gebieten, darunter kollektive Hinrichtungen, Beschränkungen für Frauen und Mädchen, Rekrutierung von Kindersoldaten und Unterdrückung von Protesten. Besorgnis äußerte sie auch mit Blick auf ethnische und religiöse Minderheiten. Die Taliban müssten Zusicherungen ihrer Sprecher umsetzen, Rechte von Frauen und Mädchen zu respektieren. Mit der Eroberung des Landes seien sie für die Wahrung der internationalen Menschenrechte verantwortlich, betonte Bachelet.

Die Menschenrechtskommissarin verwies auf die Präsenz von Frauen in öffentlichen Ämtern und Medien Afghanistans. Frauen stellten 27 Prozent der Parlamentsabgeordneten und ein Fünftel der öffentlichen Angestellten. Bis zum Einmarsch der Taliban hätten 3,5 Millionen Mädchen eine Schule besucht, verglichen mit 9000 Schülerinnen der Elementarstufe im Jahr 1999. Bachelet nannte die Behandlung von Frauen und Mädchen eine “grundlegende Rote Linie”. Neben dem Respekt vor deren Freiheitsrechten, ihrem Recht auf Meinungsäußerung und Berufstätigkeit sei vor allem der Zugang zu solider höherer Schulbildung ein wesentlicher Indikator für die Menschenrechte unter den Taliban.

Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen rief Bachelet auf, sichere Wege für afghanische Flüchtlinge und Migranten zu schaffen. Asyl und Umsiedlungsprogramme müssten ausgeweitet, Abschiebungen von Schutzsuchenden sofort gestoppt werden. Vor allem Länder mit islamischer Bevölkerungsmehrheit sollten positive Erfahrungen mit der Einbindung internationaler Menschenrechtsnormen in ihre kulturellen und religiöse Kontexte teilen. (24.08.2021)

Von der Leyen kündigt mehr als 200 Millionen Euro Hilfe an

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zum G-7-Sondergipfel eine deutliche Erhöhung der humanitären Hilfe für notleidende Afghanen angekündigt. In diesem Jahr sollen aus dem EU-Haushalt mehr als 200 Millionen Euro für Unterstützungsleistungen zur Verfügung gestellt werden. Das ist etwa vier Mal so viel Geld wie ursprünglich geplant. Die Hilfen werden laut von der Leyen sowohl Menschen innerhalb Afghanistans als auch Flüchtlingen zugutekommen.

Ein EU-Vertreter fügte hinzu, zur Bedingung für die Auszahlung werde die Achtung der Menschenrechte und insbesondere der Rechte von Frauen gemacht. Anschließend werde entschieden, ob das Geld direkt nach Afghanistan oder in benachbarte Regionen fließe.

Angesichts der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan wollen die Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten an diesem Dienstagnachmittag bei einer Videokonferenz über das weitere Vorgehen und über Hilfen für die Bevölkerung beraten. Zu der Gruppe der wichtigen Industrieländer gehören die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada. Die Spitzenvertreter der EU sind zudem auch immer mit dabei. (24.08.2021)

Maas: “Ich gehe nicht davon aus, dass wir alle ausfliegen können, die wir ausfliegen wollen”

Bundesaußenminister Heiko Maas rechnet damit, dass die USA noch an diesem Dienstag entscheiden werden, ob sie ihr Militär zum 31. August abziehen werden. Sollte die Operation tatsächlich Ende des Monats auslaufen, würden die Amerikaner alleine ein bis zwei Tage brauchen, um ihre eigenen Soldaten auszufliegen. Deutschland habe bislang etwa 3800 Personen evakuiert, sagte der SPD-Politiker bei Bild TV. Darunter seien 351 deutsche Staatsbürger. In den kommenden Tagen müssten noch weitere 100 Deutsche mit ihren Familien in Sicherheit gebracht werden.

Sollten die USA Kabul wie vorgesehen verlassen, befürchtet Maas, dass nicht alle Ortskräfte der Deutschen und Amerikaner rechtzeitig aus dem Land gebracht werden können. “Ich gehe nicht davon aus, dass wir alle ausfliegen können, die wir ausfliegen wollen.” (24.08.2021)

Johnson will Biden um Verlängerung des Rettungseinsatzes bitten

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will sich bei US-Präsident Joe Biden für eine Verlängerung des Evakuierungseinsatzes in Afghanistan über die bisherige Deadline Ende August hinaus einsetzen. Das sagte Verteidigungs-Staatssekretär James Heappey dem Nachrichtensender Sky News am Montag. Johnson werde das Thema an diesem Dienstag bei einem Sondergipfel der G-7-Staats- und Regierungschefs ansprechen.

Heappey machte auch deutlich, dass eine Fortsetzung des Evakuierungseinsatzes ohne die USA nicht denkbar ist. Das liege nicht nur an den US-Truppen, die den Einsatz sicherten, sondern auch am Betrieb des Flughafens. “Die harte Realität ist, dass es ohne die Unterstützung der USA keine internationale Luftbrücke geben würde.” In Großbritannien hatte es Forderungen gegeben, die eigene Evakuierungsmission notfalls auch ohne US-Unterstützung fortzusetzen.

Es müsse jedoch klar sein, dass auch die Taliban in die Gespräche einbezogen werden müssen, fuhr Heappey fort. Die militant-islamistische Gruppe habe die Wahl, entweder mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, oder sich auf den Standpunkt zu stellen, dass es keine Möglichkeit für eine Verlängerung gebe.

Ein Sprecher der Taliban in der Hauptstadt Katars Doha sagte Sky News, eine Verlängerung der Frist zu Evakuierung käme einer Verlängerung der militärischen Besatzung seines Landes gleich. Das sei weder notwendig noch werde man sich darauf einlassen. Sollten sich die USA dazu entscheiden, werde das Konsequenzen haben, so der Sprecher weiter.

Pentagon-Sprecher John Kirby sagte am Montag in Washington, Ziel sei, den Evakuierungseinsatz bis Ende August abzuschließen. Darauf seien derzeit alle Kräfte konzentriert. Zu der Ankündigung der Taliban, sie würden einer potenziellen Verlängerung der Evakuierungsmission keinesfalls zustimmen, sagte Kirby, man habe die öffentlichen Äußerungen der Taliban gesehen und sei sich bewusst, dass dies ihr Wunsch sei.(23.08.2021)

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