Ukraine-Krieg: Keine Fluchtkorridore für Zivilisten in Mariupol – Raketeneinschläge in Lwiw

Die Lage in der Ostukraine spitzt sich weiter zu, nachdem die russische Armee ihre Angriffe dort intensiviert hat. Das neue Ziel Russland ist es, die Ostukraine in Besitz zu nehmen und vom Rest des Landes abzutrennen. Dazu haben sie sich kürzlich aus dem Norden des Landes zurückgezogen. Nun hat Russland nach Angaben des ukrainischen Generalstabs mit der erwarteten Offensive begonnen.

„Es werden Anzeichen des Beginns der Offensive in der Östlichen Operationszone festgestellt“, teilte der Generalstab am Montagabend in Kiew mit. Hervorgehoben wurden dabei die Gebiete Charkiw und Donezk. Von Isjum im Gebiet Charkiw aus werden demnach Vorstöße in Richtung Barwinkowe und Slowjansk im Donezker Gebiet erwartet.

Das russische Militär versuche derzeit, mit einzelnen Angriffen die Schwachstellen der ukrainischen Verteidigungslinien zu ertasten, so der Generalstab. Bereits in der vergangenen Nacht hätten die russischen Streitkräfte Angriffe auf Städte im Donbass gestartet.

„Die Hauptanstrengungen unternimmt der Feind im Bereich der Ortschaften Lyman, Kreminna, Popasna und Rubischne, zudem hat er versucht, die volle Kontrolle über Mariupol herzustellen“, berichtete der Generalstab. Außerdem habe das russische Militär versucht, einen Brückenkopf nördlich der von Ukrainern gehaltenen Großstadt Sjewjerodonezk zu bilden.

Kreminna: Keine Evakuierung mehr möglich

Die aktuellen Kämpfe konzentrierten sich vor allem auf die Kleinstadt Kreminna. Dort sei die russische Armee in der Nacht zum Montag „mit einer riesigen Menge an Kriegsmaterial einmarschiert“, teilte der ukrainische Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, am Montag auf Facebook mit. „In der Nacht konnte der Feind bis Kreminna vorstoßen, nur festsetzen konnte er sich dort nicht. Die Kämpfe direkt in der Stadt halten an.“

Später teilte Hajdaj mit: „Gerade ist die Kontrolle über die Stadt Kreminna verloren gegangen. Es finden Straßenkämpfe statt.“ Es sei keine Evakuierung der Kleinstadt mehr möglich. „Jede Stunde verschlechtert sich die Situation.“ In Kreminna sollen von 18.000 Einwohnern vor dem Krieg noch etwa 4000 ausharren.

Panzer der prorussischen Truppen in der Nähe des Hafens von Mariupol

Quelle: REUTERS

Kreminna liegt rund 50 Kilometer nordöstlich der Großstadt Kramatorsk und in der Nähe der derzeit heftig umkämpften Stadt Rubischne. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten am Montag von heftigen Explosionen in Rubischne, die zum Teil Brände auslösten. Über der Stadt stiegen riesige Rauchwolken auf.

Mariupol: Erneut keine Fluchtkorridore für Zivilisten

Auch Mariupol gehört weiter zu den Zielen der russischen Armee. Besonders in der Hafenstadt Mariupol sei die Lage „extrem schwierig“, sagt der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Olexander Motusjanyk am Montag. Die Hafenstadt sei aber noch nicht vollständig in der Hand der Russen – Widerstand leisten vor allem Soldaten, die sich auf dem Gelände des Stahlwerks Asowstal verschanzt haben. Weiter sagt er, dass die russischen Luftangriffe um über 50 Prozent zugenommen hätten. Immer öfter seien Teile der Infrastruktur Ziele der Attacken.

DWO_AP_Ukraine_Krieg_Gebiete_1804_1

Quelle: Infografik WELT

Die ukrainische stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk ruft Russland auf, Fluchtkorridore aus Mariupol und aus Gelände des Stahlwerks in der Hafenstadt zuzulassen. Dort haben sich die verbliebenen ukrainischen Soldaten verschanzt. Auch viele Zivilisten sollen auf das Gelände geflohen sein.

Es müsste schnell eine Passage für Frauen, Kinder und andere Zivilisten aus Asowstal heraus geschaffen werden, sagt Wereschtschuk. Bislang kam es jedoch zu keiner Einigung. „Aus Sicherheitsgründen wurde beschlossen, heute keine humanitären Korridore zu öffnen“, teilt die stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine, Iryna Wereschtschuk, auf Telegram mit.

Sie drohte den Verantwortlichen bei einer Ablehnung mit einer Verurteilung wegen Kriegsverbrechen. Tags zuvor hatten die russischen Streitkräfte nach eigenen Angaben für mehrere Stunden das Feuer um das Stahlwerk eingestellt und den verbliebenen Verteidigern angeboten, sich zu ergeben. Laut dem Polizeichef von Mariupol, Mychajlo Werschynin, befindet sich in den Bunkern der Fabrik weiterhin „eine große Zahl von Zivilisten“. „Sie glauben den Russen nicht“, sagte Werschynin.

Ein Mann durchstreift ein völlig zerstörtes Wohngebiet von Mariupol

Ein Mann durchstreift ein völlig zerstörtes Wohngebiet von Mariupol

Quelle: REUTERS

Der ukrainische Generalstab berichtete am Sonntagabend von russischen Raketen- und Bombenangriffen auf das belagerte Mariupol. Dabei kämen auch Überschallbomber vom Typ Tu-22M3 zum Einsatz.

Regierungschef Denys Schmyhal sagte dem US-Sender ABC, die Stadt sei nicht gefallen. Die ukrainischen Soldaten würden in Mariupol „bis zum Ende kämpfen“. Außenminister Dmytro Kuleba berichtete im US-Sender CBS, die eigenen Truppen seien „im Grunde eingekreist“ von russischen Truppen, die Mariupol dem Erdboden gleichmachen wollten. Wörtlich sagte Kuleba: „Die Stadt existiert nicht mehr.“

In Mariupol hielten sich noch rund 100.000 Einwohner auf, sagte Werschinin. Die russischen Truppen ließen sie für Essen Trümmer räumen sowie Leichen bergen und in Massengräbern beerdigen, behauptete er. Mariupol hatte vor dem Krieg rund 400.000 Einwohner. Nach der langen Belagerung und dem Dauerbeschuss werden Tausende Tote unter den Zivilisten befürchtet.

Charkiw: „Vorsätzlicher Terror“

Daneben wird vor allem Charkiw weiter bombardiert. Am Sonntag wurden in der zweitgrößten Stadt der Ukraine nach Behördenangaben sechs Menschen durch russischen Beschuss getötet, drei weitere Menschen starben demnach am Montag bei russischen Angriffen. Viele weitere wurden verletzt. AFP-Journalisten berichteten von mehreren Bränden, die sich infolge der Angriffe in Wohnvierteln im Zentrum Charkiws ausbreiteten und Dächer einstürzen ließen.

17. April 2022: Der siebenjährige Yehor lebt in den Trümmern einer Stadt unweit von Kiew. Auch die ukrainische Hauptstadt wurde wieder bombardiert

17. April 2022: Der siebenjährige Yehor lebt in den Trümmern einer Stadt unweit von Kiew. Auch die ukrainische Hauptstadt wurde wieder bombardiert

Quelle: dpa/Evgeniy Maloletka

Wie Präsident Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache erklärte, sind in der Stadt allein in den vergangenen vier Tagen 18 Menschen getötet und 106 Personen verletzt worden. „Dies ist nichts anderes als vorsätzlicher Terror. Mörser, Artillerie gegen gewöhnliche Wohnviertel, gegen gewöhnliche Zivilisten“, sagte er.

Selenskyj betonte in seiner Ansprache in der Nacht zum Montag erneut die Bedeutung der Waffenlieferungen von schwerem Gerät. Er kündigte zudem angesichts des befürchteten Großangriffs im Osten des Landes harte Gegenwehr an. „Wir werden unser Territorium nicht aufgeben“, sagte er dem Nachrichtensender CNN. Die Schlacht in der Region Donbass könne den Verlauf des gesamten Krieges beeinflussen.

Lwiw: Raketen treffen zivile Ziele

Zugleich startete die russische Armee am Montag auch einen Raketenangriff auf die westukrainische Stadt Lwiw. Dabei sind nach ukrainischen Angaben mindestens sieben Menschen getötet worden. Mindestens elf weitere Menschen seien bei den Angriffen verletzt worden, erklärte der Gouverneur der Region Lwiw, Maxym Kosyzky, im Messengerdienst Telegram. Unter den Opfern sollen auch Kinder sein.

Über die Anzahl der in Lwiw eingeschlagenen Raketen gibt es unterschiedliche Angaben. Lwiws Bürgermeister, Andrij Sadowyj, sprach auf seiner Facebook-Seite insgesamt von fünf Einschlägen, Gebietsgouverneur Maxym Kosyzkyj von vier Raketen. Drei davon hätten Militärobjekte getroffen, eine sei auf ein ziviles Objekt, einen Reifenservice, abgeschossen worden, teilte er mit. Daneben sollen auch ein Hotel und rund 40 Autos beschädigt worden sein.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Twitter

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du . Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

„Die Russen greifen weiterhin barbarisch ukrainische Städte aus der Luft an“, schrieb Podoljak. Rettungskräfte seien am Einsatzort, erklärte der Bürgermeister der Stadt, Andrij Sadowj, auf Telegram.

18. April 2022: In Lwiw sind mehrere Raketen eingeschlagen

18. April 2022: In Lwiw sind mehrere Raketen eingeschlagen

Quelle: pa/AA/Ozge Elif Kizil

Wie der Chef der ukrainischen Bahngesellschaft, Alexander Kamyschin, mitteilte, wurde bei dem Angriff auch Bahn-Infrastruktur beschädigt. Er verbreitete in den Online-Netzwerken ein Foto, auf dem Feuer und Rauch über einem kleinen Gebäude neben einem Eisenbahngleis zu sehen sind. Fahrgäste oder Bahn-Angestellte wurden seinen Angaben zufolge bei dem Angriff nicht verletzt. „Sowohl die Bahnhofsbelegschaft als auch die Zugbrigaden haben angemessen reagiert“, schrieb er auf dem Telegram-Kanal der ukrainischen Eisenbahn.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Twitter

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du . Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Lwiw liegt weit von der Front entfernt in der Westukraine und wurde seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar nur selten bombardiert. Am 26. März wurde die Stadt von einer Reihe russischer Luftangriffe getroffen. Unter anderem wurde ein Treibstofflager angegriffen, fünf Menschen wurden nach Behördenangaben dabei verletzt.

Bei den Angriffen vom 18. April 2022 wurden auch zivile Ziele in Lwiw getroffen

Bei den Angriffen vom 18. April 2022 wurden auch zivile Ziele in Lwiw getroffen

Quelle: Getty Images/Joe Raedle

Bei einem weiteren Angriff wenige Tage zuvor wurde die Stadt Ziel eines Luftangriffs, bei dem eine Flugzeugreparaturfabrik in der Nähe des Flughafens getroffen wurde. Am 13. März hatten russische Marschflugkörper einen wichtigen Militärstützpunkt etwa 40 Kilometer nordwestlich von Lwiw ins Visier genommen, wobei mindestens 35 Menschen getötet und 134 verletzt wurden.

Lwiw, das nahe der polnischen Grenze liegt, hat sich zu einem Zufluchtsort für Geflohene entwickelt. Auch westliche Botschaften wurden zu Beginn des Krieges aus Kiew nach Lwiw verlegt.

Ausblick: Ist der russische Plan gescheitert?

„Das Ziel der militärischen Aggression ist dasselbe geblieben: Dies ist eine Operation, um die Staatlichkeit der Ukraine zu vernichten“, sagte der Geheimdienstchef Kyrylo Budanow dem „Spiegel“. Die Ukraine solle nach dem Willen Russlands „aufhören als Staat zu existieren“.

Auf die Frage, warum Russland entschieden habe, seine Truppen aus der Region um die Hauptstadt Kiew abzuziehen, sagte Budanow: „Sie haben sich nicht einfach so zurückgezogen – wir haben sie aus der Region Kiew vertrieben. Es begann damit, dass wir die Stadt Irpin zurückeroberten. Damit drohten ihre Kräfte im Kiewer Gebiet in zwei Teile zerschnitten zu werden.“

Lesen Sie auch

Ukraine-Krieg - «Moskwa»

Russischer Lenkwaffenkreuzer

Über das Scheitern des russischen Plans, Kiew zu erobern, wundere er sich nicht, sagte Budanow. Er wundere sich aber über etwas anderes: „Wie inkompetent und fahrlässig die russischen Befehlshaber an die Durchführung einer so großen Operation herangegangen sind. Wenn sie wirklich glaubten, dass sie in drei Tagen damit fertig sind – und nach unseren Erkenntnissen waren sie felsenfest davon überzeugt – dann muss die russische Führung sich fragen, wie kompetent ihre Generäle sind.“

Budanow wiederholte auch die Forderung der ukrainischen Regierung nach Waffen aus Deutschland: „Wir brauchen Artilleriesysteme – darin ist die deutsche Armee besonders stark“, sagte der Generalmajor. „Und leider brauchen wir Panzer, weil wir sehr große Verluste an gepanzerten Fahrzeugen hatten.“

Mit den Waffen wolle die ukrainische Armee die besetzten Gebiete befreien, sagte Budanow. Dazu zähle er auch die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim. Ein Problem mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten etwa am Kampfpanzer Leopard sieht Budanow nicht: „Das lernen wir schnell. Mit Verlaub, das ist keine höhere Mathematik.“

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du . Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.


source site