Nabu-Experte zur Oder-Katastrophe: “Das wird die neue Normalität werden”

Bei der Umweltkatastrophe in der Oder kam es zu einem Massensterben von Fischen und anderen Lebewesen. Dr. Rocco Buchta, Leiter des NABU e.V. Institut für Fluss- und Auenökologie, nennt mögliche Gründe – und äußert eine düstere Prognose.

Als kleiner Junge versprach Dr. Rocco Buchta seinem Großvater am Ufer der Havel, dass er sich mal dafür einsetzen würde, dass der Fluss wieder sauber wird. Gesagt, getan: Heute ist Buchta Leiter des NABU e.V. Institut für Fluss- und Auenökologie.

Der Havel geht es inzwischen deutlich besser – doch ganz in der Nähe erlebte die Oder eine der schlimmsten Umweltkatastrophen ihrer Geschichte. Weit mehr als 140 Tonnen Fischkadaver haben Umweltschützer bereits aus der Oder gefischt.

Im Interview mit dem stern erklärt Buchta, was seine Vermutungen zur Ursache des großen Fischsterbens sind, wieso es wichtig ist, dass Deutschland jetzt mit Polen zusammenarbeitet und welche kleinen Maßnahmen jeder Bürger umsetzen kann, damit sich in Zukunft solche Katastrophen nicht wiederholen.

Herr Buchta, Sie sind schon lange im Gewässerschutz aktiv. Was hat Sie dazu gebracht?
Schon von klein auf hab ich die Havel geliebt. Mein Opa hat mir immer Geschichten erzählt aus einer Zeit, als die Havel noch naturnäher und sauber war. Weil das Wasser zu DDR-Zeiten nicht sauber war, hab ich ihm versprochen, dass ich das wieder in Ordnung bringe, wenn ich mal groß bin.

Nach der Wiedervereinigung wurden wir allerdings noch als “Bremsklötze am Siegeswagen angesehen. Jeder wollte endlich Wohlstand, und da war Naturschutz kontraproduktiv. Aus meinem Hobby wurde mein Beruf, als der NABU e.V. das Institut für Fluss und Auenökologie gegründet hat. Ich leite es vom ersten Tag an – und habe es aufgebaut.

Im Sommer kam es zu einer Katastrophe an der Oder, viele Fische starben. An welche Ursache dachten Sie dabei?
Meine erste Vermutung war, dass es zu viel Abwasser in der Oder gab und in diesem Jahr zu wenig sauberes Wasser, um alles zu verdünnen.

Die Oder ist kein sauberer Fluss. Es gibt seit Jahren ganz massive Abwassereinleitungen vor allem in Polen. Wir wissen von Kollegen vor Ort, dass Fischsterben dort regelmäßig auftritt. Das ging bisher nur nicht bis nach Deutschland, sondern erstreckte sich lokal auf 50 oder 100 Kilometer. Die polnischen Kollegen waren überhaupt nicht überrascht. Für sie war nur interessant, dass das jetzt plötzlich so weit reicht.

Und jetzt haben wir Niedrigwasser. Die Polen haben erste Staustufen in Betrieb genommen, wo das Abwasser tagelang drin steht, welches sonst einfach durch die Oder abgelaufen wäre. Das Wasser wurde dann auch noch warm und das führte zu der Reaktion mit den Algen. Irgendwann kamen die Fische alle hoch, sie haben Angst bekommen und das Wasser abgelassen. Das gelangte dann in die Oder.

Meine These ist, dass es zu viele Einleitungen waren – und die Entscheidende war vermutlich noch nicht einmal illegal.

Was für Einleitungen sind das?
Chemische Abwässer und Salze. Vor allem bei Salzen ist es so, dass die gar nicht alle meldepflichtig sind. Nun muss man auch dazu sagen, dass man da gar nicht so mit dem Finger auf Polen zeigen kann. Salzeinleitungen haben wir in Deutschland auch.

Können Sie die Oder-Katastrophe einmal für uns in einen zeitlichen Kontext setzen – gab es ein solches Umweltproblem in einem großen deutschen Fluss schon einmal?
Es gibt ein Vorbild, nämlich als im Jahr 1986 in Baselein Unternehmen einen Großbrand hatte und das hochgiftige Löschwasser in den Rhein floss. Da ist ebenfalls über eine lange Strecke von 400 Kilometer ein Fischsterben aufgetreten, vergleichbaren Ausmaßes wie an der Oder. 

Das Ergebnis dieser Katastrophe war, dass man sich unter den Anrainerstaaten des Rheins auf ein Aktionsprogramm verständigt hat, um die Zukunft des Trinkwassers sicherzustellen. Das Wasser sollte wieder sauber werden. Die Abwassereinleitung sollte in den Griff bekommen werden und es sollte auch ökologisch besser werden. Auch ausgestorbene Fischarten sollten zurückkommen, wie der Lachs.

Das Programm wurde mit einem enormen Engagement vorangetrieben. Eine internationale Kommission zum Schutz des Rheins wurde gegründet. Nach deren Vorbild haben auch anderen Flüsse, auch die Oder, solche Kommissionen erhalten, die für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie sorgen.

Das ist der Beweis dafür, dass, wenn alle zusammenarbeiten, am Ende auch das Gewässer wieder in Ordnung kommt. Schiffe fahren ja bis heute auf dem Rhein und trotzdem ist der Fluss ökologisch. Er ist sauber, die Lachse sind auch zurückgekommen. Das könnte man auch an der Oder machen, ohne dass die Schifffahrt aufgeben müssen.

Hat man aus den Fehlern gelernt?
Es gab anschließend eine Auswertung und eine daraus erarbeitete Handlungsanleitung. Wenn wieder ein Hochwasser kommt, soll es kein Fischsterben mehr geben. Das müsste in Polen auch passieren, damit es zu einer solchen Katastrophe nicht noch einmal kommt.

Es geht bei der Katastrophe nicht nur um Fische..
Auf jeden Fall sind alle Fische betroffen. Auch Neunaugen, Muscheln, Krebse, Wasserflöhe, eine ganze Generation von Insekten im Larvenstadium.

Dazu kommen dann noch Wattvögel, die im Schlamm nach Futter stochern, wie zum Beispiel der Kiebitz oder der Brachvogel. Die ziehen zwei mal im Jahr durch die Region und sind auf die Insekten angewiesen, die sie aus dem Schlick herausstochern. Dieses Jahr werden sie dort nichts zum Fressen finden.

Abgeordnete aus Brandenburg, die während der Oder-Katastrophe in Polen waren, haben nicht ein negatives Wort dazu gesagt, wie dort mit der Oder umgegangen wurde.

Haben Sie das Gefühl, dass die Oder-Katastrophe auf deutscher Seite richtig ernst genommen wird?
Abgeordnete aus Brandenburg, die während der Oder-Katastrophe in Polen waren, haben nicht ein negatives Wort dazu gesagt, wie dort mit der Oder umgegangen wurde. Das heißt für mich, es gibt etwas, was man in Deutschland ganz offensichtlich für wichtiger hält als die Einhaltung europäischer Richtlinien und das Durchsetzen der eigenen Standards.



Brandenburg: Nabu-Experte zur Umweltkatastrophe in der Oder: "Dürre und Hochwasser sind zwei Seiten derselben Medaille"

Aber die Umweltministerin Steffi Lemke versucht mit sehr viel Feingefühl, die Polen dazu zu bringen, zu kooperieren und die deutschen Interessen bezüglich der Sanierung der Oder als Vorrangaufgabe zu bestimmen.

Ich sehe die Bemühungen hinter den Kulissen, ich sehe die Bemühungen auch vor der Kamera. Ob sie von Erfolg gekrönt sind, das weiß ich nicht. Ich denke mal, ohne Polen und Tschechien kann die Oder nicht in einen besseren Zustand gebracht werden.

Haben Sie die Oder seit der Katastrophe selbst besucht?
Nein. Ich kenne nur die Berichte unserer Leute, die vor Ort waren. Ich weiß aber, was so ein Fischsterben bedeutet. Während der Hochwasserflut 2002 wurde Wasser in die Havelniederungen eingelasssen, um die Elbe zu entlasten.

Da hat man riesige Fehler begangen und das Ergebnis war, dass am Ende kein einziges sauerstoffbenötigendes Lebewesen mehr darin zu finden war. Ich habe damals Hunderte Tonnen toter Fische gesehen, Krabben, die versucht haben aus dem Wasser zu kommen. Krebse und tote Muscheln. Nicht mal mehr Wasserflöhe gab es.

Das ganze Gebiet musste neu besiedelt werden. Wir haben damals appelliert, neues Wasser dazu zu lassen, um das abgestandene Wasser zu verdünnen. Zu allem Überfluss wollten sie die landwirtschaftlichen Flächen schnell wieder nutzen. Allerdings waren dort bereits zu viele toxische Stoffe im Erdboden, von dem verseuchten Wasser. Dann wurde einfach frisches Wasser hinterhergespült, wie auf einem Klosett.

Denken Sie, dass der Klimawandel zu der Katastrophe beigetragen hat und sich deshalb so etwas in der Zukunft häufen könnte?
Das, was jetzt zur Katastrophe führte, ist, dass zu wenig Mischwasser zur Verfügung stand – aufgrund der Witterung. Dazu gehören fehlende Niederschläge, dadurch kam keine Verdünnung mehr zustande. Hätten wir diese Dürre nicht, dann wäre es vermutlich nicht zu der Katastrophe gekommen. Dann wäre es wieder nur ein begrenztes, lokales Ereignis gewesen.

Wenn sich meine Prognosen bewahrheiten, wird es wohl zukünftig so sein, dass wir generell niederschlagsreichere Winter haben und im Sommer große Trockenheit besteht. Das Verhältnis wird sich immer weiter verschieben.

Das, was wir jetzt an der Oder oder am Rhein verstärkt erleben, das wird wahrscheinlich die neue Normalität werden. Wenn dann Abwasser eingeleitet werden, dann wird es auch anderswo so dramatisch werden wie an der Oder. In Deutschland gibt es glücklicherweise sehr strenge Regeln dafür und deshalb glaube ich, dass man es dadurch hierzulande im Griff behalten kann. Aber die Wasserqualität wird leiden.

Was würden Sie den Menschen raten – damit wir alle besser auf unsere Flüsse und Gewässer achten können?
Jeder kann etwas dafür tun, dass unsere Landschaft wieder ihr Wasser zurückhalten kann: Landwirte müssen prüfen, ob wirklich jeder ihrer Gräben gebraucht wird. Alle Bürger sollten versuchen, so viel wie möglich Regenwasser auf ihren Grundstücken versickern zu lassen und es nicht einfach über den Gulli in die Kanalisation leiten. Wenn wir alle darauf achten, wenig Wasser zu verbrauchen und das, was da ist, möglichst vor Ort zu lassen, kann jeder einen Beitrag leisten.

Kommunen müssen sich darum kümmern, den Hochwasserschutz auf das zu konzentrieren, was wirklich kaputt gehen kann und nicht quadratkilometerweise Acker vor Hochwasser schützen, mit Deichen. Nur, wenn wir das machen, werden sich Hochwasser auch weiterhin auf die Landschaften ausdehnen können, und zwar flach und verteilt.

Dadurch wird auch wieder Wasser in die Auen kommen, was dann aufgespeichert wird und im nächsten Sommer zur Verfügung steht. Dafür muss man sich nicht mal groß einschränken. Dann bin ich auch optimistisch, dass wir einen ausgeglicheneren Landschafts-Wasserhaushalt hinbekommen. Dürre und Hochwasser sind zwei Seiten derselben Medaille.

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