Long Covid: Ärztin und Psychologin geben Tipps für Betroffene

Von Erschöpfung bis Atemnot – viele Menschen sind nach ihrer überstandenen Corona-Infektion noch lange nicht gesund. Sie leiden an Long Covid. So auch die Psychologin Stefanie Nüßlein. Zusammen mit der Ärztin Cornelia Ott hat sie ein Programm für Long Covid-Patient:innen entwickelt. Ihre Tipps haben sie in einem Buch aufgeschrieben.

Frau Nüßlein, können Sie etwas zu Ihren Long Covid Beschwerden sagen? 

Stefanie Nüßlein: Etwa drei Monate nach meiner Corona-Infektion bemerkte ich Symptome, die ich zuvor nicht kannte: Zum Beispiel hatte ich immer wieder starke Schmerzen in Brust, Beinen und Gelenken. Außerdem war ich empfindlicher für Umweltreize – vor allem für Geräusche. Was mich aber vor allem beunruhigte war, dass die Beschwerden immer schlimmer wurden. Dafür war eines der Hauptsymptome von Long Covid verantwortlich, unter dem sehr viele Betroffene leiden: die sogenannte Belastungsintoleranz. Das bedeutet, dass ein “zu viel” an Belastung zu einer Verstärkung der Symptome führt – der Gesundheitszustand verschlechtert sich massiv und es kann dann Tage oder sogar Wochen dauern, bis Betroffene sich davon wieder erholen. Man spricht hier auch vom sogenannten “Crash”.
Was war das schwerste für Sie an der Situation und Ihren Symptomen?

Stefanie Nüßlein: Damals war für mich wohl das Schwerste, dass mir niemand so richtig sagen konnte, was helfen kann. Auch heute – gut ein Jahr nach meiner Erkrankung – gibt es noch keine zugelassenen Therapien oder Medikamente für Long Covid. Das ist für Betroffene natürlich sehr frustrierend und deshalb ist mir dieses Buch auch ein echtes Herzensprojekt! Damals wollte ich die monatelangen Wartezeiten für Arzttermine nicht einfach so verstreichen lassen und habe angefangen, mich selbst zu trainieren. Mein Wissen als Psychologin war dabei genauso hilfreich, wie meine täglichen Aha-Momente in meinem Krankheitsalltag. Aus diesem Fach- und Erfahrungswissen habe ich ein Long Covid-Selbstcoachingprogramm entwickelt, das nun auch andere Betroffene unterstützen soll, Schritt für Schritt mehr Energie und Lebensqualität zu erlangen.

Und wie funktioniert das Programm?

Stefanie Nüßlein: Betroffene werden in 6+2-Schritten durch verschiedene Phasen von Long Covid begleitet. Mir war es dabei sehr wichtig, wissenschaftlich fundierte Konzepte wie Achtsamkeit, Stressmanagement und Pacing so aufzubereiten, dass Betroffene durch konkrete Tipps und Übungen sofort in ihrem Alltag starten können. Pacing bedeutet, dass Betroffene schonend mit den eigenen Ressourcen umgehen und anerkennen, wo ihre eigenen Grenzen liegen. Wenn man so will, ist das Programm eine Soforthilfe, die an verschiedenen Ebenen anknüpft: mental, körperlich und kognitiv. Und ich nehme unsere Leser:innen an die Hand, indem ich auch meine eigenen Erfahrungen immer wieder einfließen lasse. Betroffene haben so das Gefühl, dass sie nicht allein sind und genau das macht Mut und motiviert dazu, auch gewohnte Verhaltensweisen zu verändern. 

Können Sie die wichtigsten Punkte erklären?

Stefanie Nüßlein: Es geht darum, auf Körpersignale zu achten und bewusst mit den eigenen Ressourcen umzugehen – und zwar mit einer Extraportion Entspannung und Achtsamkeit. Das ist jedoch einfacher gesagt, als getan, wenn man es gewohnt ist, dass der eigene Körper problemlos funktioniert. Viele Betroffene versuchen intuitiv, sich mit Sätzen wie “Streng dich an” oder “Reiß dich zusammen” aufzurappeln und übergehen somit immer wieder ihre aktuelle Belastungsgrenze. Doch das ist bei Long Covid leider genau die falsche Strategie. Deshalb lautet der erste Schritt des Programms: Annehmen, was ist. Nur so wird es gelingen, eigene Grenzen besser zu spüren und gewohnte Routinen so zu verändern, um auch an schlechten Tagen gut über den Tag zu kommen und sich an guten Tagen nicht völlig zu verausgaben. Und mit der richtigen Balance zwischen Ruhe und Aktivität geht es in dem Selbstcoaching-Programm auch darum, den Blick nach vorne zu richten und Körper und Geist ganz achtsam und bewusst zu trainieren.

Was sind Ihre Tipps, wenn Long Covid-Patient:innen nicht wissen, wo und wie sie Hilfe finden?

Stefanie Nüßlein: Das ist eine sehr gute Frage, denn die richtige Anlaufstelle zu finden, ist für viele Betroffene eine wirkliche Herausforderung. Zum einen, weil die Symptome so vielfältig sind, dass man zunächst gar nicht weiß, an welche Fachärzt:innen man sich eigentlich wenden muss. Zum anderen, weil nicht alle Ärzt:innen die beschriebenen Beschwerden richtig einzuordnen wissen. Betroffene beklagen oft, dass ihre Symptome abgetan und ignoriert oder aus Unwissenheit auf psychiatrische oder andere psychosoziale Belastungen geschoben werden. Wir empfehlen, sich zunächst an seinen Hausarzt zu wenden und Fachärzte und -Therapeuten aufzusuchen, die bereits Erfahrungen in der Behandlung von Long Covid oder dem chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) haben. Darüber hinaus gibt es tolle Betroffenen-Netzwerke, wie zum Beispiel die Long Covid Selbsthilfegruppe bei Facebook. Neben wertvollen Erfahrungen und Insiderwissen über Therapiemöglichkeiten erhalten Betroffene dort auch Zuspruch und Hoffnung, dass es besser werden kann.

Was sind Ihre wichtigsten Tipps für Long Covid-Patient:innen?

Stefanie Nüßlein: In unserem Buch beschreiben mit mir auch weitere Betroffene ihre Erfahrungen, um Stolpersteine im Umgang mit Long Covid zu vermeiden. Meine drei wichtigsten Tipps lauten:

1. Auffälligkeiten ernst nehmen

Wenn jemand das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt, dann sollte er oder sie der Sache unbedingt auf den Grund gehen. Wichtig ist dabei auch, auf eine ausführliche Diagnostik zu bestehen, um alle Symptome abzuklären. Ich möchte Betroffene in solchen Situationen ermutigen, der eigenen Intuition zu vertrauen und für die eigenen Bedürfnisse einzustehen.

2. Das Umfeld miteinbeziehen

Es ist wichtig, das Umfeld so früh wie möglich über die Krankheitssituation aufklären – zum einen, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden, weil Partner:in, Familie, Freunde oder Kolleg:innen das eigene Verhalten aufgrund der Symptome womöglich falsch interpretieren könnten. Zum anderen, um Hilfe und Unterstützung zu erhalten, wenn sie benötigt wird.

3. Stolz auf sich sein

Tag für Tag sind Betroffene gezwungen, einen Weg zu finden, um irgendwie mit Long Covid zurechtzukommen. Sie können stolz auf jeden einzelnen Tag sein, den sie trotz Schmerzen und Einschränkungen gemeistert haben. Das zeigt wahre Stärke und verdient vollen Respekt und Anerkennung. Für mich ist es jedes Mal bewundernswert, wie Menschen mit Krisen im Leben umgehen und sich dadurch weiterentwickeln.

Wie schwierig ist es für Ärzt:innen, Long Covid zu diagnostizieren? 

Dr. Cornelia Ott: Herausfordernd ist, dass die Beschwerden allein oder in Kombination auftreten können und nicht nur einem Krankheitsbild zugeordnet werden können. Zu den am häufigsten genannten Problemen gehören Atembeschwerden, Konzentrationsstörungen und die sogenannte Fatigue. Hierunter wird eine Erschöpfung verstanden, die sich nicht durch viel Schlaf beseitigen lässt. Diese Symptome reichen in verschiedene Fachbereiche rein. Je nach Beschwerdebild sollten deshalb Kardiologen, Pulmologen, Neurologen oder auch andere zur Beurteilung mit einbezogen werden, um andere Ursachen auszuschließen. Dies dauert leider einige Zeit, ist jedoch für die Diagnose wichtig. Man spricht nämlich erst vom Post Covid Syndrom, wenn die Symptome länger als drei Monate bestehen und nicht durch andere Erkrankungen ausreichend erklärt werden können.

Was können Sie aus ernährungsmedizinischer Sicht berichten?

Dr. Cornelia Ott: Neben der bereits erwähnten und sehr belastenden Fatigue gesellen sich häufig auch Verdauungsbeschwerden bis hin zu allergieähnlichen Symptomen mit Herzklopfen, laufender Nase oder Juckreiz dazu. Nach einer Coronainfektion scheint es neben einer Fehlbesiedlung im Darm auch nicht selten zu einer Überempfindlichkeit bestimmter Zellen unseres Immunsystems zu kommen – den Mastzellen. Das äußert sich dann in einer Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln, die Betroffene schlecht zuordnen können. Beispielsweise können so allein aufgrund der Zubereitungsart von Nahrungsmitteln dieselben Produkte gut oder überhaupt nicht vertragen werden. Hier kann nach einer ausführlichen Anamnese mit Ernährungsprotokoll der Verdacht eines Mastzellaktivierungssyndroms (MCAS) erhoben werden. Mittels einer zeitweise durchgeführten histaminarmen Diät sowie eines antiallergischen Managements kann es zu einer Besserung der Beschwerden kommen.

Wie können Betroffene damit umgehen, dass sie gar nicht wissen, warum sie diese Symptome haben?

Dr. Cornelia Ott: In der Medizin gibt es häufig Erkrankungen, die nicht nur von einer Ursache bedingt werden. Das wird dann multifaktoriell genannt. Ähnlich scheint es bei Long Covid zu sein. Letztlich können sämtliche Organsysteme mehr oder weniger betroffen sein, was die teilweise sehr unterschiedlichen Beschwerden erklärbar macht. Neben der allgemeinen Verbesserung des Gesundheitszustandes ist es wichtig für die Betroffenen, die richtigen Anlaufstellen für ihre Probleme zu kennen, um möglichst zeitnah mit Maßnahmen starten zu können. So kann es durchaus sein, dass eine Gruppe von Patienten sowohl von einer gezielten Atemtherapie, Physiotherapie, Entspannungsübungen und ernährungstherapeutischen Maßnahmen gleichzeitig profitiert. Für eine andere Gruppe kann das jedoch nicht das optimale Vorgehen darstellen. Es müssen also gerade bei lang andauernden und schwerwiegenden Verläufen individuelle Lösungen gefunden werden.

Was sollten Betroffene wissen?

Dr. Cornelia Ott:  Zunächst ist wie bereits gesagt der Ausschluss anderer Erkrankungen wichtig. Es könnte nämlich durchaus sein, dass bereits vor der Infektion beispielsweise Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder eine Autoimmunerkrankung vorlagen, sich jedoch erst durch die Coronainfektion mit dem nicht zur Ruhe kommenden Immunsystem bemerkbar gemacht haben. Je nach Grunderkrankungen würden dann die entsprechenden Therapien begonnen werden.

Buchcover

Stefanie Nüßlein, Cornelia Ott: “Mit Long Covid zurück ins Leben.
Eine Anleitung für mehr Energie, Gesundheit und Lebensqualität”, Südwest Verlag, 208 Seiten, 20 Euro.

© Südwest Verlag

In unserem Buch erklären wir vielmehr die praktische Umsetzung gesundheitsfördernder und sich auf das Immunsystem modulierend auswirkende Strategien für Betroffene mit Long Covid – und zwar so, dass jede:r sofort damit beginnen kann. Die Wartezeiten bis zu den Fachärzt:innen oder Versorgungszentren können nämlich nach wie vor mehrere Wochen oder sogar Monate dauern.

Dazu gehören zum einen eine antientzündliche Ernährung, die Förderung der Darmgesundheit sowie der gezielte Einsatz von Mikronährstoffen. Neben der Struktur (wie oft und wieviel esse ich am besten?) gilt es nicht nur Dinge neu einzuführen (beispielsweise mehr antioxidantien- und ballaststoffreiches Gemüse zu essen und strikt einem guten Schlaf die Priorität einzuräumen). Es geht auch darum, Gewohnheiten zu verändern (Reduktion von Transfetten, Zucker, Alkohol und Stimulantien wie Kaffee). Bei all diesen Maßnahmen gibt es kleine Helfer wie Mikronährstoffe, Adaptogene aus der Pflanzenwelt und Prä- und Probiotika für die Stabilisierung der Darmflora. Das Ganze haben wir dann eingebettet in Form vieler hilfreicher Tipps und einer einfachen Dokumentation zur Selbstkontrolle über Fortschritte oder Rückschläge. So fällt es allen leichter, langfristig dran zu bleiben. Darüber hinaus biete ich in meiner ernährungsmedizinischen Sprechstunde hilfreiche Labormessungen an, um die Therapiemaßnahmen zu individualisieren und gegebenenfalls zu erweitern.

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