Lassen sich Korallen vor der aktuellen Hitzewelle retten? – Wissen

Seit Monaten sind die Wassertemperaturen in vielen Meeresregionen viel zu hoch. Wissenschaftler stehen vor einem Rätsel. Zwar baut sich gerade die Klima-Anomalie El Niño auf, die die Wassertemperaturen auch früher schon nach oben getrieben hat, aber das allein erklärt die aktuellen Hitzewellen nicht. Abkühlung ist nicht zu erwarten – im Gegenteil. Experten befürchten, dass die Temperaturen in den kommenden Monaten weiter steigen werden. Der Juli 2023 war schon der heißeste Monat, der je auf diesem Planeten gemessen wurde, dabei fängt El Niño gerade erst an.

Ein Ökosystem wird unter den Folgen besonders zu leiden haben, glaubt Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Der Klimaforscher prognostiziert ein “massives Korallensterben” in den kommenden zwei Jahren.

Dabei sind in den vergangenen 70 Jahren ohnehin schon rund die Hälfte aller Korallenriffe weltweit verschwunden. Den Hauptgrund dafür sehen Experten in den wegen des Klimawandels immer häufiger auftretenden Hitzewellen. Die winzigen Nesseltierchen, aus denen Korallen bestehen, reagieren darauf äußerst empfindlich. Der Grund dafür ist ihre Symbiose mit einzelligen Algen. Von diesen bekommt die Koralle nicht nur ihr farbenfrohes Aussehen, sie liefern ihr unter normalen Bedingungen auch lebenswichtige Nährstoffe. Wird es jedoch zu warm, sondern diese Algen Giftstoffe ab. Die Koralle bildet dann zunächst eine neonbunte Schicht, die wie eine Art Sonnencreme wirkt. Hilft das nichts, muss sie die Algen abstoßen und wird schneeweiß. Man spricht dann von einer Korallenbleiche. Eine gebleichte Koralle stirbt nicht sofort, sie kann einige Wochen von ihren Fettreserven leben und sich mit ihren Tentakeln vorbeitreibendes Plankton angeln. Wird das Wasser dann wieder kühler, erholt sie sich.

Dieses vor knapp zwei Wochen aufgenommene Foto zeigt eine Elchhornkoralle vor der Küste Floridas, die aufgrund der aktuell hohen Wassertemperaturen bereits ausgebleicht ist.

(Foto: Liv Williamson/AP)

Schon vor der aktuellen Hitzewelle in den Ozeanen, sah die Zukunft der Korallen düster aus: Die Autoren einer im Jahr 2022 im Fachjournal Plos Climate erschienenen Studie prognostizierten, dass 90 Prozent aller Korallenriffe innerhalb der nächsten Jahrzehnte unerträglichen Hitzestress erleiden werden. Und zwar selbst dann, wenn es gelänge, die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, so wie es das Pariser Klimaschutz-Abkommen vorsieht.

Das Verschwinden der Korallen hätte nicht nur katastrophale Folgen für Tiere und Pflanzen, die in den Korallenriffen leben. Auch rund eine Milliarde Menschen profitieren direkt von Korallenriffen – sei es als Nahrungsquelle, als Schutz vor Sturmfluten oder als Touristenmagnet. Rund um den Globus suchen Forscher deshalb nach Möglichkeiten, die Korallen zu retten.

Korallen an der Leine

Wer zum Beispiel vor der kleinen Insel Mo’orea in Französisch-Polynesien schnorcheln geht, stößt unter Wasser auf seltsame Gebilde: Wie Wäscheklammern hängen dort hunderte kleine Korallenstücke an langen Leinen. Schon lange weiß man, dass solche Fragmente bis zu 40-mal schneller wachsen als ganze Korallen. Die “Coral Gardeners” und viele andere Organisationen weltweit knipsen deshalb daumengroße Stücke von gesunden, im Idealfall bereits hitzeresistenteren Korallenarten ab, ziehen sie heran und bringen sie dann an einem geschädigten Riff wieder an.

Hitzewelle in den Ozeanen: Diese Korallenstücke sollen an der Leine wachsen und später ein geschwächtes Riff verstärken.

Diese Korallenstücke sollen an der Leine wachsen und später ein geschwächtes Riff verstärken.

(Foto: imago stock&people/imago/ZUMA Press)

Korallenzucht im Labor

Samuel Nietzer und seine Kollegen an der Universität Oldenburg verfolgen einen anderen Ansatz: Sie haben die Korallenpolypen dazu gebracht, sich im Labor auf natürliche Weise fortzupflanzen. Das ist gar nicht so einfach: “Wenn Tageslänge, Wasserchemie und vor allem der Mondzyklus nicht genau stimmen, produzieren die Korallen keine Nachkommen”, erklärt Nietzer. In ihren Aquarien in Wilhelmshaven haben die Forscher deshalb mit großem Aufwand die natürlichen Bedingungen des Pazifiks simuliert. Der Vorteil: Die so erzeugten Nachkommen sind genetisch vielfältiger und können sich deshalb besser an wärmeres Wasser anpassen als die geklonten Fragmente.

Larven ansiedeln und beschützen per Roboter

Um die Korallenlarven dann wieder in den Riffen anzusiedeln, hat die Queensland University of Technology in Australien bereits eine autonome Unterwasserdrohne im Einsatz. Der LarvalBot, ein futuristisch anmutendes, knallgelbes Gerät in der Größe eines Rasenmähers, nimmt Korallenlarven auf und bringt sie eigenständig zu beschädigten Teilen des Great Barrier Reefs, wo sie sich dann ansiedeln können. Sein Kollege RangerBot sorgt dafür, dass die jungen Korallen nicht gleich wieder abgemurkst werden: Der Roboter erkennt korallenfressende Riesenseesterne automatisch und tötet sie per Essig-Injektion.

Unterwasser-Musik

Am selben Riff hat auch Steve Simpson geforscht. “In gesunden Korallenriffen bilden das Knistern der Garnelen und das Zischen und Grunzen von Fischen eine schillernde Geräuschkulisse”, erklärt der Experte für Bioakustik an der University of Exeter. Die Fische, so Simpson, leisten einen wichtigen Beitrag zum Ökosystem, indem sie das Riff von Algen säubern und Nährstoffe recyceln. An einem beschädigten und verlassenen Teil des Riffs spielte das Team deshalb mit Unterwasserlautsprechern die Klänge eines gesunden Ökosystems ab. Tatsächlich kehrten die Fische zurück und blieben. Die Wissenschaftler hoffen, so die Erholung wieder aufgeforsteter Riffe beschleunigen zu können.

Um noch intakte Riffe zu schützen, sei die Ausweisung von Schutzgebieten besonders wichtig, sagt Jordan Williams von der Organisation “Marine Conservation Philippines”https://www.sueddeutsche.de/wissen/.”Wenn andere Stressfaktoren wie Überfischung und Wasserverschmutzung wegfallen, kann sich ein Riff besser von Hitzewellen erholen.”

Impfung gegen Hitze

Erika Santoro und ihrem Team von der King Abdullah University of Science and Technology in Saudi-Arabien geht das nicht weit genug: Die Forschenden haben herausgefunden, dass man Korallen gegen Hitze sozusagen impfen kann. Dazu verabreichten die Forscher den Kolonien probiotische Bakterien und setzten sie danach Wassertemperaturen von 30°C aus. Zwar blichen die Korallen wie erwartet aus – doch als es wieder kühler wurde, erholten sie sich fast doppelt so gut wie ihre unbehandelten Artgenossen.

Künstliche Wolken

Und dann gibt es noch die Ideen, die das Maß der Verzweiflung erahnen lassen, mit dem Meeresschützer auf die kommenden Jahrzehnte blicken. Geforscht wird zum Beispiel an der künstlichen Aufhellung von Wolken, die dadurch mehr Sonnenlicht reflektieren und die darunter liegenden Riffe abkühlen sollen. Die Methode gehört in die Kategorie “Geoengineering”, also dem künstlichen Eingriff in klimatische Prozesse. Mit einer Art Schneekanone sprühen Daniel Harrison und sein Team von der australischen Southern Cross University dazu einen Nebel feiner Salzmoleküle in die Atmosphäre. Auch mit kleinen Bläschen an der Wasseroberfläche, als Sonnenschirm, und sogar dem Hochpumpen von kaltem Wasser aus tieferen Zonen wird experimentiert.

Hitzewelle in den Ozeanen: Ein Mitarbeiter der University of Miami platziert Baby-Korallen aus einer Nursery im offenen Meer in einem Labor-Tank. Im Ozean würden die Nesseltiere die aktuelle Hitzewelle wahrscheinlich nicht überleben.

Ein Mitarbeiter der University of Miami platziert Baby-Korallen aus einer Nursery im offenen Meer in einem Labor-Tank. Im Ozean würden die Nesseltiere die aktuelle Hitzewelle wahrscheinlich nicht überleben.

(Foto: Rebecca Blackwell/AP)

Mojib Latif hält wenig von solchen Versuchen, die Folgen des Klimawandels mit technischen Kniffen zu begrenzen. “Da wird sich davor gedrückt, Emissionen zu reduzieren”, meint er. Er warnt zudem vor unabsehbaren Konsequenzen, die künstliche Eingriffe in die Natur nach sich ziehen können. Madeleine van Oppen vom Australian Institute of Marine Science hingegen verteidigt die Bemühungen um die Korallen, bis hin zu Geoengineering-Ansätzen. “Der Mensch hat jahrzehntelang völlig unbekümmert in die Natur eingegriffen”, sagt die Ökogenetikerin. “Wir versuchen lediglich, den Schaden wiedergutzumachen.”

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