Katholische Kirche – Warum Menschen im Pfarrgemeinderat aktiv sind – Landkreis München

In der katholischen Kirche ist vieles ins Wanken geraten. Erst vor Kurzem hat ein Gutachten offenbart, wie in der Erzdiözese München und Freising sexueller Missbrauch von knapp 500 Personen durch Geistliche und hauptamtlich Bedienstete der katholischen Kirche über Jahre vertuscht worden ist. Viele Menschen sind seither ausgetreten, auch weil sie Vorschriften wie Zölibat und das Verbot für Frauen, höhere Ämter zu bekleiden, nicht mehr mittragen wollen. Vor diesem Hintergrund haben die Pfarrgemeinderatswahlen, die am Sontag, 20. März, anstehen, besondere Bedeutung. Wer stellt sich für das Amt überhaupt noch zur Wahl? War es schwer, Kandidaten zu finden? Warum engagiert sich jemand in dem Gremium, das dem Pfarrer beratend zur Seite steht? Die SZ hat sich im Landkreis umgehört. Fazit: Jene, die sich engagieren, sagen: Jetzt erst recht. Jetzt ist die Zeit, etwas zu verändern.

Christine Salfer, 56, Inhaberin einer Werbeagentur, Vorsitzende des Pfarrgemeinderats von Heilig Geist Pullach: “Vom Pfarrgemeinderat in Heilig Geist Pullach kandidieren sieben von neun Mitgliedern wieder, zwei scheiden aus persönlichen Gründen aus. Zusätzlich haben wir vier neue Kandidatinnen und Kandidaten. Das ist sehr erfreulich. Ich denke, jede und jeder hat sich das diesmal besonders gründlich überlegt. Ein Mitglied sagte, er wolle gerade jetzt nicht aufhören in dieser Zeit, in der Reformen anstehen. Ich selbst bin seit zehn Jahren im Pfarrgemeinderat und kandidiere wieder. Warum? Ehrlich gesagt: Aus jedem anderen Verein, der Missbrauch zulässt und vertuscht, der Frauen diskriminiert und sich systematisch der Lebensrealität verweigert, wäre ich längst ausgetreten. Das ist aber kein Verein, sondern die Kirche, in der ich meinen Glauben lebe. Und dieser mein Glaube ist mir Hafen, Richtschnur und Anspruch. Ich bin froh, Teil einer lebendigen Pfarrgemeinde zu sein. Ich mache einen Unterschied zwischen der Amtskirche und der Kirche vor Ort. Als engagierte Christin erwarte ich, dass sich in den nächsten Jahren vieles ändern wird und ich hoffe, daran mitwirken zu können. Ich wünsche mir, dass Frauen Zugang zu allen Ämtern bekommen. Die Diakoninnenweihe wäre ein erster Schritt. Den Laien sollte mehr zugetraut werden. Es braucht mehr Transparenz und Kontrolle auf allen Ebenen. Und konkret: Wir haben bald nicht mehr genug Priester, wir müssen jetzt Formen einführen, die Gottesdienste auch 2030 noch möglich machen.”

Thomas Diessel, seit 2000 Mitglied im Pfarrgemeinderat der Pfarrei St. Otto Ottobrunn

(Foto: privat)

Thomas Diessel, 59, IT-Projektleiter, Pfarrgemeinderatsvorsitzender in St. Otto in Ottobrunn: “Weil sich nicht genügend Kandidaten gefunden haben, findet in St. Otto heuer keine Wahl eines neuen Pfarrgemeinderats statt und der alte bleibt im Amt. Es war nur ein junger Mann bereit, sich aufstellen zu lassen. Daher haben wir, der bisherige Pfarrgemeinderat, entschieden, für eine Übergangszeit weiter zu machen und den Kandidaten direkt nachzuberufen. Wir vier wollten eigentlich alle als Pfarrgemeinderäte aufhören, nicht um der Kirche den Rücken zu kehren, sondern um unsere Arbeitslast zu verringern. Wir sind ja noch an anderen Stellen in der Pfarrgemeinde aktiv. Nachdem der neue Pfarrverband Vier Brunnen – Ottobrunn gegründet war, wollten wir in St. Otto Aufbauarbeit leisten und Kandidaten für einen neuen Pfarrgemeinderat finden. Wegen Corona war das aber weitgehend nicht möglich. Es kommt hinzu, dass sich die Leute nicht mehr vier Jahre für ein Amt verpflichten wollen. Die Doppelstruktur aus der Kirchenverwaltung, die für Geld und Gebäude zuständig ist, und dem Pfarrgemeinderat ist nicht mehr zeitgemäß. Was das Missbrauchsgutachten darlegt, darüber sind wir alle erschrocken. Es ist aber nicht der Grund, warum sich nicht mehr so viele Menschen engagieren wollen. Vielmehr sagen die Leute, die aktiv sind: Jetzt erst recht. Sie wollen die Kirche verändern.”

Kirche in der Krise: Helena Kronenberg kandidiert erstmals für den Pfarrgemeinderat

Helena Kronenberg kandidiert erstmals für den Pfarrgemeinderat

(Foto: privat)

Helena Kronenberg, 20, Studentin, kandidiert zum ersten Mal für den Pfarrgemeinderat von St. Stephan Putzbrunn: “Ich leite seit letztem Jahr bei den Pfadfindern eine Gruppe mit knapp zehn Kindern. In der Leiterrunde kam die Idee auf, dass sich noch jemand im Pfarrgemeinderat engagieren sollte als Bindeglied zwischen der Kirche und der Jugendarbeit, auch weil wir die Räume der Kirche nutzen. Daher habe ich mich aufstellen lassen. Ich möchte die Kirche jugendlicher gestalten, ein Sprachrohr für die Jugendlichen sein und Ideen umsetzen, die den jungen Leuten Spaß machen. Ich kann mir vorstellen, ein Treffen zu organisieren, bei dem jeder etwas zu essen mitbringt und wir nach dem Vorbild von Jesus gemeinsam essen, als er mit Freunden fünf Brote und zwei Fische teilte. Auf das Missbrauchsgutachten hat mich keiner aus meinem Freundeskreis angesprochen, als ich sagte, ich kandidiere für den Pfarrgemeinderat. Aber natürlich spricht man über das Thema. Ich kann nur sagen, dass ich für alles, was passiert ist, kein Verständnis habe und alles in meiner Macht stehende tun werde, dass so etwas nicht wieder vorkommt. An Reformen wünsche ich mir etwa die Abschaffung des Zölibats. Meiner Meinung nach resultieren die Missbrauchsfälle daraus und es ist nicht mehr zeitgemäß. Außerdem sollten Frauen auch hohe Ämter bekleiden dürfen, auch die Priesterweihe empfangen.”

Kirche in der Krise: Ilse Liebmann, Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Stephan Putzbrunn

Ilse Liebmann, Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Stephan Putzbrunn

(Foto: privat)

Ilse Liebmann, 68, Rentnerin, Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Stephan Putzbrunn: “Es war schon im Sommer klar, dass alle sechs bisherigen Pfarrgemeinderäte einschließlich mir wieder antreten werden. Wir haben drei Frauen dazugewonnen, die neu kandieren. Das Missbrauchsgutachten hat keinen abgehalten, alle sagten, dass sie sich gerade in dieser Zeit engagieren wollen. Mir ist bewusst, dass wir an der Weltkirche nicht viel ändern können. Aber wir können zeigen, dass wir hinter der Kirche stehen, dass wir den Glauben weiterbringen und vor Ort da sein wollen. Den Missbrauch verurteilt natürlich jeder. In den vergangenen vier Jahren haben wir einiges vorangebracht. Wir sind ein ökumenisches Pfarrzentrum, aber vor ein paar Jahren hat uns der damalige Pfarrer die ökumenischen Gottesdienste verboten. Wir waren damals überfordert und wussten nicht, an wen wir uns wenden können. Wir hatten dann ein Gespräch in der Diözese, unser jetziger Pfarrverbandsleiter Pfarrer Martin Ringhof war dabei. Wir haben gemerkt, dass die gesamte Pfarrgemeinde zusammensteht. Seitdem ist bei uns eine gute Stimmung. Die ökumenischen Gottesdienste dürfen wir wieder halten. Jetzt haben wir uns toll eingearbeitet. Deshalb kandidiere ich noch einmal. Außerdem ist die Arbeit erfüllend.”

Kirche in der Krise: Sebastian Meuer, Mitglied im Pfarrgemeinderat St. Birgitta, Unterhaching, tritt nicht mehr an.

Sebastian Meuer, Mitglied im Pfarrgemeinderat St. Birgitta, Unterhaching, tritt nicht mehr an.

(Foto: privat)

Sebastian Meuer, 45, Ingenieur, seit mehreren Jahren Mitglied im Pfarrgemeinderat von St. Birgitta in Unterhaching, tritt nicht mehr an: “Als Wahlausschussvorsitzender in unserem Pfarrgemeinderat habe ich mich um die Akquise von neuen Kandidaten gekümmert. Es war nicht leicht. Am Ende haben wir sechs Kandidaten gefunden, vier davon sind neu. Einer von ihnen ist ein junger Familienvater, ein anderer steht kurz vor der Rente. Das Missbrauchsgutachten war nicht relevant. Ich selbst trete aus familiären Gründen nicht mehr an. Aber eigentlich ist jetzt eine entscheidende Phase, etwas zu tun. Was mich immer angetrieben hat? Projekte mit motivierten netten Leuten machen und an einem Strang ziehen. Viele Sachen sind aber auch mühsam, wenn Dinge, die man angeleiert hat, nicht fortgeführt werden. Ich wünsche mir daher, dass die Hauptamtlichen eine gute Basis schaffen, dass die Ehrenamtlichen ihre Arbeit tun können und dass ihre Beratung gehört wird. Ich wünsche mir auch, dass sie mehr Vertrauen in die Ehrenamtlichen haben und bereit sind, sie spirituell anzuleiten.”

Antje Wabnitz, 54, kandidiert für den Pfarrgemeinderat der Gemeinde Rosenkranzkönigin in Neubiberg. Sie engagiert sich bei der Reformgruppe “Maria 2.0”: “Jetzt ist die Zeit, etwas zu verändern. Ich kandidiere, um dafür Sorge zu tragen, dass jeder seine Meinung sagen kann. Auch möchte ich, dass die Kirche geöffnet wird für Frauen, die eine Predigt halten, wie es in der Jesuitenkirche St. Michael in München bereits der Fall ist. Als die Pastoralreferentin Heidrun Oberleitner-Reitinger vor Jahren in der Rosenkranzkirche einmal die Messe gelesen hat, gab es hinterher Beschwerden. Sie durfte es nicht erneut tun. Solche Sachen dürfen nicht aufkommen. Glaube hat viele Gesichter. Ich möchte jeden, der kommt, einladen einzutreten, egal ob Wiederverheiratete, Homosexuelle oder Transgender-Personen. Maria 2.0 fordert im Grunde banale Dinge wie gleiche Würde, gleiche Rechte, Respekt, Abschaffung des Pflichtzölibats, nachhaltig leben. Ich muss daran denken, dass in meinen Kindertagen in meiner Frankfurter Gemeinde Ministrantinnen zugelassen wurden und ihren Dienst weiter verrichten konnten, obwohl es kurz darauf von oben verboten wurde.”

Kirche in der Krise: Martina Dettweiler, bis vor kurzem Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Peter und Paul in Aschheim

Martina Dettweiler, bis vor kurzem Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Peter und Paul in Aschheim

(Foto: privat)

Martina Dettweiler, bis Anfang 2022 Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Peter und Paul Aschheim: “Wir haben neun Kandidaten für unsere Liste gefunden, aber es hat Mühe gekostet. Aus dem bisherigen Gremium hören fünf auf, aber der Missbrauchsskandal war nicht der Auslöser dafür, sondern persönliche Gründe oder Altersgründe. Ich selbst kandidiere heuer nicht mehr, das habe ich aber schon vor zwei Jahren angekündigt. Ich bin jetzt 16 Jahre lang im Pfarrgemeinderat, zwölf davon als Vorsitzende, ich finde, da sollten neue Ideen Raum bekommen. Unsere Kandidaten haben sich von dem Missbrauchsskandal nicht abhalten lassen. Was die Kirchenoberen machen, finden viele nicht gut, aber ihnen ist es umso wichtiger, jetzt Kirche vor Ort zu gestalten. Natürlich beschäftigen uns die Missbrauchsvorwürfe – aber es betrifft nicht meinen persönlichen Glauben, mein persönliches Engagement.”

Kirche in der Krise: Martin Ringhof, Leiter des Pfarrverbandes Vier Brunnen

Martin Ringhof, Leiter des Pfarrverbandes Vier Brunnen

(Foto: privat)

Pfarrer Martin Ringhof, Leiter des Pfarrverbands Vier Brunnen-Ottobrunn: “Das Gremium Pfarrgemeinderat hat derzeit keine Rechts- oder Weisungskraft. Ich finde, der Pfarrgemeinderat sollte bei Stellenbesetzungen mitentscheiden können. Auch bei der Entwicklung des Kirchenrechts sollten die Gläubigen mehr Gehör finden. Jetzt ist es eine gewisse Kaste aus einem gewissem Milieu, die alles unter sich ausmacht. Wenn man beim Staat sagt, eine breite Mitbestimmung ist gut, dann gilt das für die Kirchen doch ebenso. Frauen müssen mehr Mitwirkungsrechte bekommen. Um den Kern, den Glauben und seine Verkündigung, zu schützen, muss man an der Schale etwas ändern. Die Befürworter der Reform wollen nicht den Glauben ändern, aber um ihn erhalten zu können, müssen gesellschaftliche Änderungen stattfinden. Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist schon halb eins: Nicht nur Gläubige, auch Mitarbeiter sind auf dem Absprung, weil sie diese Kirche nicht mehr mittragen wollen. Es wird die Zeit kommen, in der wir dringend Laien brauchen, um die normalen Wortgottesdienste anbieten zu können, weil es immer weniger Geistliche gibt. Beide christliche Kirchen müssen Verkündigungsformen finden, die den heutigen Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Das können auch digitale Wege sein. Bei solchen Entscheidungen ist auch der Pfarrgemeinderat gefragt. Aber: Wenn Gremien mehr Macht bekommen, dann müssen sie auch mehr Verantwortung tragen.”

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