Joe Biden in Kiew: So kommentiert die internationale Presse den Besuch

Die Welt blickte auf Kiew: Der Überraschungsbesuch von US-Präsident Joe Biden in der ukrainischen Hauptstadt war ein echter Coup. Die Bewertung der Visite im Kriegsland fällt in den internationalen Medien fast einmütig aus. Die Presseschau.

Der Besuch von US-Präsident Joe Biden in Kiew war der Ukraine zufolge auch eine deutliche Botschaft an den Kriegsgegner Russland. Die Visite sei ein Signal an den Kreml gewesen, “dass die USA so lange an der Seite der Ukraine stehen werden, bis diese den Krieg gewinnt. Der Kreml wiederum hat keine Chance zu gewinnen”, sagte der Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Andrij Jermak, örtlichen Medien zufolge in Kiew. “Der Besuch ist ein weiterer Schritt, um zu zeigen, dass wir nicht nur heute, sondern auch nach dem Sieg Freunde und Partner sind: beim Wiederaufbau und bei der Wiederherstellung unseres Staates”, sagte Jermak. Bidens Aufenthalt in Kiew habe viele Prozesse beschleunigt, von denen die Bereitstellung notwendiger Waffen der wichtigste sei.

Auch die Kommentarspalten der Zeitungen rund um die Welt beschäftigen sich mit dem Überraschungsbesuch des US-Präsidenten – und die Bewertung fällt überwiegend ähnlich aus. Die internationalen Pressestimmen zur Biden-Visite im Überblick:

Internationale Presse kommentiert Joe Bidens Kiew-Besuch

“Der Standard” (Wien, Österreich): “Mit dem Besuch in Kiew ist US-Präsident Joe Biden ein politischer Coup gelungen. (…) Biden brachte Waffenhilfe mit. Aber fast noch wichtiger war die symbolische Bedeutung, die sein Auftritt mitten in einem Kriegsgebiet vermittelte: Ein US-Präsident zeigt sich quasi als personalisierte Lebensversicherung des Landes. Das richtete sich natürlich an Moskau und an Peking, vor allem an Putin persönlich, der für den Fortgang des Krieges bzw. einen Waffenstillstand verantwortlich ist. Alle Spekulationen, wonach der Westen einknicken, die Ukraine aufgeben und Russland große Teile des Landes überlassen könnte, sind Wunschvorstellung.”

“Tages-Anzeiger” (Zürich, Schweiz): “Die riskante Reise bestätigt, dass die USA nicht lockerlassen und die Ukraine weiterhin mit Waffen und Geld unterstützen, um die russischen Eindringlinge zu vertreiben. Und Biden ist nicht mit leeren Händen gekommen: Das Weiße Haus kündigte an, noch mehr Artilleriemunition, Panzerabwehrwaffen und Radare für die Luftüberwachung zu liefern. Auch wenn nicht die Rede war von modernen Kampfjets, die die Ukraine will: Weit wichtiger war, dass der US-Präsident ganz viel Zuversicht für die Ukrainerinnen und Ukrainer mitgebracht hat. (…) Offensichtlich ist Biden bereit, sein außenpolitisches Kapital für die Ukraine einzusetzen. Dies ist auch ein deutliches Signal an seine Gegner in der Republikanischen Partei, die der Ukraine-Hilfe skeptisch gegenüberstehen. Die uneigennützige Hilfe für die Ukraine dürfte deshalb sein politisches Vermächtnis prägen. Die gewagte Reise über Land nach Kiew ist gleichzeitig eine Ansage an all jene, die in Washington hinter und vor den Kulissen raunen, er sei zu alt für den Job. Nach dem Kiew-Trip ist es wohl nur noch eine Formsache, dass Joe Biden seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit ankündigt. Und darüber dürfte sich nicht nur Wolodymyr Selenskyj freuen.”

“Neue Zürcher Zeitung” (Zürich, Schweiz): “Eindrücklicher könnte das Signal kaum sein, das Biden nach Moskau sendet: Egal, wie viele Soldaten und wie viele Artilleriegeschütze ihr in die Ukraine entsendet. Ich traue mich, in das Land zu reisen, wann immer es mir passt. Die Ukraine gehört nicht zum russischen Einzugsgebiet, wie ihr immer behauptet. Sie gehört zur Interessensphäre des Westens, weil ihre Bevölkerung das so wünscht und weil wir sie willkommen heißen. (…) Biden rückt damit auch einen der größten Erfolge seiner bisherigen Amtszeit ins Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit: Auf die gewaltige geopolitische Herausforderung des Angriffs Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr hat seine Administration besonnen, zielstrebig und machtvoll reagiert. Ohne Bidens entschlossene Führung im Verteidigungsdispositiv des Westens wäre Kiew heute wohl bereits in russischer Hand und eine solche Reise des amerikanischen Präsidenten nicht mehr möglich. Doch den Krieg entscheiden nicht Worte, sondern Taten. Oder bezogen auf die westlichen Alliierten der Ukraine: Unterstützung in Form von Kriegsmaterial, Munition, Geheimdienstinformationen, Logistik und Hilfeleistungen an die Zivilbevölkerung und den Staatshaushalt der Ukraine.”

“The Times” (London, Vereinigtes Königreich): “Der Überraschungsbesuch des amerikanischen Präsidenten in Kiew anlässlich des bevorstehenden Jahrestages (des Kriegsbeginns) war nicht nur ein Symbol dafür, dass die Ukraine trotzig ungeschlagen bleibt und dass Putins Ambitionen durchkreuzt wurden. Er war auch ein Symbol für die anhaltende Unterstützung des Westens für den tapferen Kampf der Ukraine zur Verteidigung ihrer Souveränität und territorialen Integrität angesichts eines grausamen imperialen Eroberungskrieges durch eine kriminelle Diktatur. Dennoch muss der Westen mehrere dringende Herausforderungen angehen, wenn er Kiew die bestmögliche Chance auf einen Sieg zu den geringstmöglichen Kosten eröffnen will. An erster Stelle steht dabei, die Lieferung der versprochenen Waffen zu beschleunigen. Sie müssen rechtzeitig eintreffen, um der Ukraine eine neue Offensive noch vor dem Sommer zu ermöglichen. Es ist besorgniserregend, dass Deutschland, das die Entscheidung über die Lieferung von Leopard-2-Panzern hinausgezögert hatte, nun seine Verbündeten auffordern muss, ihre Zusagen einzuhalten.”

“Libération” (Paris, Frankreich): “Ein Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf die USA. Das ist die Botschaft, die Joe Biden Wladimir Putin übermitteln wollte, während dieser an der Rede feilte, die seinen Krieg am Dienstag rechtfertigen soll. (…) Manche halten Bidens Besuch für eine unnötige Provokation. Doch gerade diese Woche ist es, in der der Westen entschlossen und geeint auftreten muss. Mehr als je zuvor. Diese Woche, in der Gerüchte über ein russisch-chinesisches Bündnis laut werden. Diese Woche, die an zwei starke Kippmomente in Europa zwischen Anti- und Pro-Demokratie erinnert. Mit den Höhepunkten der Reden von Putin in Moskau und Biden in Warschau am Dienstag.”

“Corriere della Sera” (Rom, Italien): “Herz, kalkuliertes Risiko, Ehrgeiz. Dies sind die drei Elemente, die Joe Biden nach Kiew getrieben haben, um die ganze US-amerikanische Entschlossenheit zu zeigen, die Ukraine zu unterstützen: eine Mission, die zum Symbol für einen vom ganzen Westen geführten Kampf um die Freiheit wird. Mit dem US-amerikanischen Präsidenten, der Putin herausfordert, indem er seine Reise in die von den Raketen des Kremls unter Beschuss genommene Stadt einem Führer ankündigt, den er in der Vergangenheit als “seelenlosen Killer” bezeichnet hatte: zwei Männer aus der Zeit des Kalten Krieges, die sich hassen, aber verstehen. Für Biden ist die Ukraine mehr als nur ein Land, das zu Unrecht angegriffen wurde und das es auf der Basis der ethischen und juristischen allgemeinen Prinzipien der UN-Charta zu verteidigen gilt. Kiew ist für ihn ein Herzensort, und das hat er klar gesagt, als er gestern überraschend in der gemarterten Hauptstadt eintraf.”

“Público” (Lissabon, Portugal): “In einem Augenblick großer Unsicherheit an der Kriegsfront, in dem der Verlust Bachmuts droht und Russland leichte Fortschritte erzielen kann, kommt Joe Biden zu einem Überraschungsbesuch nach Kiew zu Selenskyj. Es ist schwierig zu sagen, wer sich nach Selenskyj mit mehr Mut und Entschlossenheit dem Kreml-Imperialismus entgegengestellt hat. Bekannt ist das Engagement der Präsidenten und Regierungschefs der baltischen Staaten oder Polens, die natürlich nicht vergessen haben, welchen Preis sie zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert für die territorialen Ambitionen Russlands zahlen mussten. Ursula von der Leyen verdient zweifellos einen Spitzenplatz auf dieser Liste für ihre Fähigkeit, ein ängstliches Europa (und Deutschland) zu mobilisieren. Aber wenn Selenskyj der Anführer ist, der sich der Zwangsläufigkeit der Niederlage widersetzt, ist Joe Biden die zentrale Persönlichkeit in dem internationalen Bündnis, das Selenskyj die Mittel zum Widerstand liefert. Ohne das Beispiel Joe Bidens wäre es schwierig gewesen, Europa zu mobilisieren. Ohne seine Überzeugung (und seine Macht) wäre die ukrainische Sache vielleicht schon verloren.”

“De Standaard” (Brüssel, Belgien): “Dass US-Präsident Joe Biden auf den Straßen von Kiew erschien, während im Hintergrund die Sirenen des Luftalarms heulten, ist ein Akt von großer Bedeutung. Das Signal könnte nicht deutlicher sein: Die Amerikaner, und mit ihnen der gesamte Westen, stehen geschlossen hinter dem ukrainischen Volk und seinem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. (…) Die Russen, die natürlich vorab informiert wurden, damit nicht versehentlich der Dritte Weltkrieg ausgelöst wird, dürften sich durch den Besuch noch mehr in ihrer Überzeugung bestärkt fühlen, dass das Ziel des Westens der Untergang Russlands ist. Für sie ist der Konflikt mit der Ukraine Teil eines Stellvertreterkrieges. Russland befindet sich demnach im Krieg mit dem Westen und kämpft um sein Überleben. Nicht mehr und nicht weniger.”


Blitzbesuch in der Ukraine: Presse lobt US-Präsidenten: "Herz, kalkuliertes Risiko, Ehrgeiz – drei Elemente, die Joe Biden nach Kiew getrieben haben"

“Sydsvenskan” (Malmö, Schweden): Es sind schon jetzt historische Bilder: Biden und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spazieren durch das Zentrum von Kiew, zum Geräusch des Luftalarms, den die Einwohner seit nunmehr bald einem Jahr hören müssen. Dass Biden sich nicht damit zufrieden gab, Selenskyj wie vom Secret Service und Pentagon empfohlen auf polnischem Boden zu treffen, ist selbstverständlich unerhört wichtig. Für den ukrainischen Kampfwillen. Und als Zeichen gegen Wladimir Putin. Biden und Selenskyj scheinen in all den Gesprächen, die sie seit Kriegsausbruch geführt haben, eine Freundschaft entwickelt zu haben, aber dass ein US-Präsident tatsächlich auch vor Ort seine Unterstützung zeigt, das kann nicht unterschätzt werden. Ein Augenblick, der trotz der Bedrohung durch Luftangriffe gerade in Kiew verewigt wurde, nur knapp 800 Kilometer von Putins Moskau entfernt.”

“Lidove noviny” (Prag, Tschechien): “Bidens Besuche in Kiew und in Warschau werfen indirekt auch ein Schlaglicht auf die Differenzen unter den westlichen Unterstützern der Ukraine. In Kiew hat Biden weitere Waffenlieferungen zum Beispiel von Artilleriemunition zugesagt, aber weder Raketen mit größerer Reichweite noch Kampfflugzeuge, wie es sich die Ukrainer und manche ihrer europäischen Partner wünschen würden. Der Westen als Ganzes ist unsicher, wie sehr er die Ukraine in ihrem Bemühen unterstützen soll, den Krieg zuerst auf die Krim und dann auf russisches Gebiet zu tragen. Würde das Russland zu Friedensverhandlungen bewegen oder im Gegenteil zu einer Ausweitung des Krieges führen und Moskau gar zu einem Atomschlag verleiten?”

“Sydney Morning Herald” (Sydney, Australien): “Eine lange Liste von Spitzenpolitikern hat im vergangenen Jahr die lange Zugfahrt nach Kiew unternommen – vom britischen Premierminister über den französischen Präsidenten, von Rockstars bis hin zu Hollywood-Größen und sogar (dem australischen Premierminister) Anthony Albanese. (…) Aber die Szenen des 80-jährigen Joe Biden, Präsident der Vereinigten Staaten, wie er Seite an Seite mit Wolodymyr Selenskyj an den glitzernden goldenen Kuppeln des St. Michaelsklosters vorbeiging, erinnerten zum richtigen Zeitpunkt daran, was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Der Besuch ist ein Symbol amerikanischer Entschlossenheit. (…) Vor dem ersten Jahrestag der russischen Invasion am Freitag führt das westliche Bündnis hinter der Ukraine schwierige Debatten. Auch Biden steht zu Hause unter Druck, die Militärhilfe aufrechtzuerhalten, während auch Europa – das sich auf eine Weise vereint hat, die der russische Präsident Wladimir Putin für unmöglich gehalten hatte – Anzeichen von Kriegsmüdigkeit zeigt.”

“Magyar Nemzet” (Budapest, Ungarn): “Die USA (…) lassen an ihrer Stelle die Ukrainer die “schmutzige Arbeit” verrichten, die Schwächung Russlands. Das ist ihr Ziel, dem haben sie alles untergeordnet. Es zählt nicht, wie viele dabei sterben. (…) Die ganzen Provokationen der letzten zwei Jahrzehnte –  die orangenen “Revolutionen”, der US-gelenkte Maidan-Putsch, die systematische Verfolgung der Minderheiten, der Bandera-Kult, die Drohung mit der Aufnahme in die Nato und alles weitere – hatten nur dieses eine Ziel. Dass es zum Krieg kommt. Und es kam zum Krieg. Den alten Herrn (Biden) schickte man deshalb zum Handschlag mit dem nackten Pianisten (Selenskyj, der in seiner Zeit als Komödiant einmal in einem Sketch so tat, als würde er mit dem Penis Klavier spielen), weil die Show, weil der Krieg weitergehen muss.”

wue
DPA
AFP

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