Interview: Können Totimpfstoffe Impfgegner wirklich überzeugen?

Gerade durchläuft der “Totimpfstoff” des Pharmaherstellers Valneva das Zulassungsverfahren der EMA. Im Frühling könnte er zugelassen werden. CEO Thomas Lingelbach hat mit dem stern über die Chancen des Vakzins und das Impfen in post-pandemischen Zeiten gesprochen.

Gegen das Coronavirus hilft nur impfen, heißt es. Knapp ein Virtel aller Deutschen ist laut aktuellem Stand aber noch nicht gegen das Coronavirus immunisiert. Das hat verschiedene Gründe. Wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Bundesregierung ergab, hält ungefähr ein Drittel der Ungeimpften die verfügbaren Covid-19-Impfstoffe für nicht ausreichend erprobt. 18 Prozent fürchten sich vor Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen (15 Prozent).

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen der Corona-Impfung gegenüber abgeneigt wären. Laut Umfrage würden sich 56 Prozent der befragten Ungeimpften immunisieren lassen, wenn “weitere Impfstoffe zugelassen würden, die im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Impfstoffen auf einem klassischen Wirkprinzip beruhen”. Dazu zählen beispielsweise die sogenannten “Totimpfstoffe”. Bieten diese Vakzine eine Chance, um die Impfquote zu erhöhen? Der stern hat mit dem Chef des Pharmaunternehmens Valneva, Thomas Lingelbach, gesprochen. Sein “Totimpfstoff” könnte im Frühjahr durch die EMA zugelassen werden.

Herr Lingelbach, Ihr Impfstoff steht kurz vor der Zulassung und trotzdem haben Sie dazu aufgerufen, nicht darauf zu warten. Warum?

Wir sollten nicht damit zögern, eine hohe Durchimpfungsrate zu erreichen. Impfstoffe müssen sicher, verträglich und wirksam sein, sonst würden sie nicht zugelassen werden. In diesem Sinne gibt es derzeit keine guten oder schlechten Impfstoffe. Was es gibt, sind zugelassene Vakzine. Deshalb ist es ethisch und moralisch nicht vertretbar dazu aufzurufen, auf einen Impfstoff zu warten, der noch nicht zugelassen ist. Ich arbeite seit 30 Jahren mit Impfstoffen und seitdem hat sich an dieser Überzeugung nichts geändert.

Ihr Impfstoff zählt zu den sogenannten Totimpfstoffen, die bereits seit Jahrzehnten eingesetzt werden. Warum gehörte Ihr Impfstoff trotzdem nicht zu den ersten, die zugelassen wurden?

Statt von Totimpfstoffen sollten wir lieber von inaktivierten  Ganzvirusimpfstoffen sprechen. Streng genommen haben auch andere Impfstoffe “tote” Bestandteile. Die konventionelle Technologie gibt es, je nach Land, seit ungefähr 50 bis 70 Jahren. Bisher haben sich alle diese Impfstoffe durch ein hervorragendes Verträglichkeitsprofilausgezeichnet, und zwar quer über alle Populationen hinweg. Außerdem beruht eine Vielzahl der Kinderimpfstoffe darauf, was wiederum für ihre Verträglichkeit spricht. Aber die Entwicklung solcher Impfstoffe ist sehr komplex.

Das bedeutet?

Organismen oder Viren, mit denen im Labor gearbeitet wird, werden in unterschiedliche biologische Sicherheitsstufen kategorisiert. Bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen arbeiten wir anfangs mit dem lebenden Virus. Sars-Cov-2 ist ein biologischer-Sicherheitsstufe-3-Organismus, das heißt die Labore und Produktionsstätten müssen erhöhte Schutzstandards aufweisen. Dafür haben wir acht Monate gebraucht. Dazu kam, dass wir für die prä-klinischen und klinischen Studien mehr Zeit gebraucht haben.

Aber auch die Produktionszyklen bei unserer Impfstofftechnologie dauern länger. Die mRNA-Technologie ist darauf ausgerichtet, große Mengen in kurzer Zeit zu produzieren. Da können konventionelle Technologien nicht mithalten. Dazu kommt, dass sich die regulatorischen Prozesse seit Pandemiebeginn wieder verändert haben. Die Zulassungsverfahren dauern länger als anfangs. Das konnte man bereits bei dem Impfstoff von Novavax sehen.

Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Wir befinden uns nicht mehr in einer Notfall-Situation. Trotzdem ist das Verfahren schnell, auch wenn es wieder länger dauert. Bei anderen Impfstoffen muss man damit rechnen, dass solche Zulassungsverfahren ein Jahr dauern.

Wann haben Sie mit der Corona-Impfstoffentwicklung angefangen?

Den Beschluss, einen Corona-Impfstoff herzustellen, haben wir etwa drei Monate nach Biontech/Pfizer gefasst. Zuerst haben wir lange überlegt. Wir sind ein kleines Unternehmen und die wichtigste Frage war für uns: Finden wir jemanden, der uns finanziell bei der Entwicklung unterstützt?

Und hat sich jemand gefunden?

Die britische Regierung hat einen großen Anteil unserer Investitionen übernommen. Nachdem wir gemerkt haben, dass wir auf die Unterstützung von Staaten und Behörden zählen konnten, haben wir richtig losgelegt. Großbritannien war auch das Land in Europa, das pro Kopf die meisten Impfdosen vorbestellt hat. Kein anderes Land hat sich gemessen an der Einwohnerzahl so viele Dosen gesichert. Die Briten haben den Portfolio Approach gewählt, also früh Verträge mit verschiedenen Firmen mit unterschiedlichen Technologien abgeschlossen, die mit dem Coronavirus gearbeitet haben.

Thomas Lingelbach, CEO Valneva

Thomas Lingelbach, CEO des Pharmaunternehmens Valneva, ist seit 30 Jahren in der Impfstoffproduktion tätig.

© Valneva

Die Briten haben den Vertrag mit Valneva aber wieder gekündigt.

Wir hatten zwei Verträge mit der britischen Regierung. Einerseits für die klinische Entwicklung. Das heißt, wir haben Studien im Vereinigten Königreich durchgeführt und auch deren Institutionen, beispielsweise Studienzentren und Testlabore, genutzt. Dieser Vertrag wurde nie gekündigt und besteht bis heute. Der zweite Aspekt bezog sich auf die Menge der Impfdosen, die Großbritannien bestellt hatte. Astrazeneca und Biontech haben zuerst geliefert und Großbritannien hat weit mehr Impfdosen bekommen, als sie gebraucht haben. Und der Bau unserer Fabrik in Schottland, für den wir finanzielle Unterstützung von Großbritannien erhalten haben, hat sich verzögert. Das lag mit am Brexit. Es ist wahrscheinlich, dass die britische Regierung festgestellt hat, dass sie die Mengen unseres Impfstoffs zu diesem Zeitpunkt nicht mehr braucht. Daraufhin wurde der zweite Vertrag gekündigt.

Das war bestimmt eine Enttäuschung.

Ich persönlich hätte mich gefreut, wenn sie gesagt hätten, der Vertrag in dieser Form macht keinen Sinn, aber wir reduzieren die Mengen. Es gibt genug Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht mit Vakzinen der neuen Technologien impfen lassen möchten und wenn es uns gelingt, mit unserem Impfstoff die Durchimpfungsrate um ein paar Prozentpunkte zu steigern, dann haben wir unseren Job gemacht. Das wäre auch ein Argument für Großbritannien gewesen – was die Entscheidungsträger aber offensichtlich nicht so gesehen haben.

Die EU hat sich laut eigenen Angaben 60 Millionen Dosen des Valneva-Impfstoffs gesichert – sehr viel weniger als von den Konkurrenten. Wie bewerten Sie das?

Man muss immer sehen, wie das Produkt in der Impfstrategie der Länder positioniert wird. Unser Impfstoff war nie für eine Massenimpfung in großen Mengen gedacht, sondern als komplementärer Impfstoff für bestimmte Zielgruppen. Insofern können wir sehr zufrieden sein mit dem, was wir in der EU erreicht haben. Die Kommission hat sich ungefähr 30 Millionen Dosen für 2022 gesichert, die zweite Hälfte folgt dann im Jahr darauf. Und natürlich hoffen wir, dass wir auch in einer post-pandemischen Lage ein wichtiger Partner bleiben.

Wir werden uns weiterhin impfen müssen?

Ich denke, die Notwendigkeit wird bleiben.

Sie hatten bereits gesagt, dass Ihr Impfstoff jedes Jahr aufgefrischt werden muss. Wäre das optional oder zwingend notwendig?

Es ist ein Fakt, dass der Antikörperspiegel wieder sinkt, egal ob Sie geimpft sind oder sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Immunologisch sind Auffrischungsimpfungen notwendig. Die Frage ist, wie häufig das passieren muss. Hierfür müsste man sich erst die globalen Daten ansehen, um zu entscheiden, wie häufig eine Auffrischungsimpfung notwendig sein wird. Bei anderen inaktivierten Ganzvirusimpfstoffen braucht man sechs bis zwölf Monate nach einer Primärimpfung eine Auffrischung. Aber wie das genau bei Corona sein wird, weiß derzeit keiner so genau, weil keine Daten über einen längeren Zeitraum vorliegen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wenn wir in einer post-pandemischen Phase ähnlich wie bei der Grippe die Impfung regelmäßig auffrischen. Vielleicht gilt das dann aber auch nur noch für bestimmte Gruppen.

Es gibt eine Studie, die die Booster-Wirkung von sieben Impfstoffen verglichen hat, die Sie unterstützt haben. Der Valneva-Impfstoff hat aber am schlechtesten abgeschnitten. Sie haben nun eine eigene Studie durchgeführt, die bessere Daten ergeben hat. Können Sie das erklären?

Die Studie wurde  von der britischen Regierung und nicht durch einen klassischen klinischen Sponsor durchgeführt, deshalb sind die Studienergebnisse auch nicht geeignet um damit eine Zulassung zu beantragen. Wer das Label für einen sogenannten heterologen Booster haben möchte, muss als Unternehmen einen eigenen Datensatz generieren. Das hat nichts mit Valneva zu tun, das gilt auch für jedes andere Unternehmen. Die britische Regierung wollte mit der Untersuchung eine Impfstrategie für die Booster-Impfung in älteren Altersgruppen für den Winter 2021/22 entwickeln.

Aber die Ergebnisse fielen trotzdem sehr unterschiedlich aus. Warum?

Das Studien-Setting war für unseren Impfstoff in vielerei Hinsicht suboptimal. Die Probanden waren im Schnitt 73,5 Jahre alt und sind ca. drei Monate nach der Grundimmunisierung geboostert worden – ein Zeitpunkt an dem der Booster immunologisch noch nicht sinnvoll war, da die Antikörperspiegel noch sehr hoch waren. Deshalb  haben wir in unserer eigenen Booster-Studie zwei Dinge getan: Wir haben gezeigt, dass Teilnehmer, die mit unserem Vakzin grundimmunisiert und anschließend nach sechs bis acht Monaten geboostert wurden, danach einen höheren Antispiegel aufwiesen.

Unser Impfstoff generiert also so wie alle anderen Impfstoffe ein immunologisches Gedächtnis und lässt sich gut auffrischen. In einem zweiten Schritt testen wir die Immunreaktionen bei Personen, die mit dem Wirkstoff von AstraZeneca grundimmunisiert worden waren und dann den Booster von Valneva erhielten. Diesen Datensatz generieren wir gerade noch. Und in einem dritten Schritt wollen wir diese Untersuchung auch noch mit mRNA-Geimpften oder Genesenen durchführen.

Ihr Impfstoff ist immer noch auf den Wildtyp ausgerichtet. Warum sollten sich die Menschen damit impfen lassen?

Genau, das Virus, mit dem wir arbeiten, ist ein Wildtyp Wuhan der ersten Generation. Unsere Laborexperimente haben eine 100-prozentige Neutralisierung vorhergehender Varianten, etwa Delta, Beta oder Alpha gezeigt. Omikron wird immerhin noch zu 83 Prozent neutralisiert. Jetzt muss man sich anschauen, ob es überhaupt notwendig ist, diesen Impfstoff anzupassen. Es gibt die Hypothese, dass Delta wieder zurückkommt. Aber würde ein Omikron-spezifischer Impfstoff dagegen schützen? Ich habe da meine Zweifel. Das Design des Next-Generationen-Impfstoffs muss man sich sehr gut überlegen.

Wie könnten denn künftige Impfstoffe aussehen?

Denkbar wäre ein multivalenter Impfstoff, in dem mehrere Varianten vermischt werden. Oder es wird ein monovalenter Impfstoff, speziell für eine Virusvariante. Dann stellt sich aber die Frage, welche es sein soll. Muss es ein Omikron-spezifischer Impfstoff sein oder wäre Delta besser?

Noch einmal zurück zum Thema Totimpfstoff und Impfgegner: Haben Sie die Sorge, dass die Impfgegner-Fangemeinde dem Image des Impfstoffes schaden könnte?

Ich persönlich hoffe, dass es uns gelingt ein paar von ihnen von der Impfung zu überzeugen. Dass der Impfstoff dadurch in Verruf gerät, glaube ich nicht. Es gibt keinen Grund dafür.

Ist abschätzbar um wie viel Prozent der Bevölkerung man mit Ihrem Vakzin von der Corona-Impfung überzeugen könnte?

Deutschland ist das einzige mir bekannte Land, das in dieser Hinsicht Zahlen veröffentlicht hat. Laut einer Statistik des RKI aus dem vergangenen Jahr fürchten sich etwa neun Prozent der Bevölkerung vor der neuen Impfstoff-Technologie. Da ist aber nicht ganz klar, wie viele der Befragten das nur als Ausrede nutzen und wie viele wirklich Angst haben. Schätzungen aus Frankreich zufolge könnte man fünf Prozent mit dem Impfstoff überzeugen. Und das wäre schon eine ganze Menge.

Sie haben Verträge mit der EU und mit Bahrain. Sind noch andere Länder in Planung?

Aktuell sind wir mit vielen Ländern im Nahen Osten in Kontakt. Das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es dort viele Länder, die große Mengen der chinesischen Impfstoffe verimpft haben. Das sind auch inaktiverte Ganzvirusimpfstoffe. Insofern es sehr wahrscheinlich, dass ein Booster mit unserem Vakzin sehr gut funktionieren sollte. Außerdem gibt es dort eine relativ große Anzahl an Menschen, die lieber auf konventionelle Technologien setzen. Viele haben Angst, dass die nächsten Generationen des mRNA-Impfstoffs ein ganz anderes Sicherheitsprofil haben könnten. . Verträge haben wir aber noch keine abgeschlossen.

Also besteht nicht die Gefahr, dass die vergleichsweise “alte” Technologie demnächst beispielsweise durch die modernere mRNA-Technologie abgelöst werden könnte?

Ich glaube, dass es immer einen Platz für unseren Impfstoff geben wird. Unser erklärtes Ziel ist es unter anderem einen Kinderimpfstoff gegen Corona zu entwickeln. Mit den Behörden überlegen wir gerade, ab welchem Alter man so ein Vakzin zulassen könnte. Unser Impfstoff gegen Japanische Enzephalitis ist beispielsweise schon für Säuglinge ab dem zweiten Lebensmonat zugelassen. Mit einem Corona-Impfstoff, der für Kinder ideal ist, rechnen wir aber erst im kommenden Jahr.

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