Explosiver Job: Maik Klingenberg ist Sprengstoffentschärfer – München

Wenn der Mann kein Fingerspitzengefühl braucht, bitte, wer dann! Ein Sprengstoffentschärfer, bei dem unerbittlich der Countdown läuft, während er schwitzend die Zange im Anschlag hat, und sich zwischen dem blauen und roten Draht entscheiden muss. Ja gut, lösche Countdown, schwitzen, Zange und Draht, den ganzen Action-Kram, den man aus dem Fernsehen kennt. Bei Hauptkommissar Maik Klingenberg vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) besteht das Fingerspitzengefühl eher darin, zu wissen, wo er seine Finger eben nicht dranhaben sollte. “Ich weiß genau, was ich mache”, sagt er ziemlich tiefenentspannt.

Jetzt ist er gerade doch am Schwitzen, der Mann, der natürlich nicht Maik Klingenberg heißt. Das Pseudonym hat er sich selbst ausgesucht, nach einem der Hauptdarsteller des Romans “Tschick” von Wolfgang Herrndorf, den er gerade gelesen hat, ein zunächst ruhiger Charakter. Wo die Technische Sondergruppe (TSG) genau sitzt, wie viele sie sind, das soll ebenso geheim bleiben wie ihre Namen. Denn explosiv ist oft nicht nur ihr Job, sondern auch ihr Gegenüber.

Klingenberg schwitzt, weil er gerade in den 36 Kilo schweren Schutzanzug geschlüpft ist, dazu noch der Spezialhelm, der etwa fünf Kilo wiegt. Eine spezielle Unterwäsche soll Hitze abführen, eine eingebaute Lüftung den Helm kühlen. “Vergnügungssteuerpflichtig ist es trotzdem nicht”, witzelt der 53-Jährige. Der ganze Körper ist geschützt, der Anzug kann eine gewisse Menge an TNT ab, “aber eine Garantie ist er auch nicht”, sagt Klingenberg. Nur die Hände, die bleiben frei.

Feingliedrige Hände, die mit Hochexplosivem arbeiten.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Klingenbergs Hände sind feingliedrig, elegant. Und wenn sich der Entschärfer etwa einem Koffer am Stachusbrunnen nähert, der laut Zeugen bewusst dort abgestellt wurde und aus dem Drähte herausragen, dann lässt er ganz sicher die Finger davon. “Das klassische Entschärfen ist berührungsfrei”, sagt der Experte. Manchmal fährt der Roboter zur Untersuchung voran, manchmal nähert sich Klingenberg und checkt die Lage. Mit diversen technischen Mitteln kann er herausfinden, ob etwa Munition, ein Zünder oder ein Auslöser im Corpus Delicti stecken. Aber alles mit: Finger weg! Erst wenn er sich sicher sein kann, dass von dem Objekt keine Gefahr ausgeht, dann öffnet er den Koffer. Dazu trägt er dann Gummihandschuhe, “die meisten Sachen, die man drin findet, mag man nicht mit Händen anfassen”, sagt er und lacht.

SZ-Serie: Alles im Griff, Folge 1: Stehengelassene Koffer, verdächtige Chemielabore: ein Fall für die Sprengstoffentschärfer.

Stehengelassene Koffer, verdächtige Chemielabore: ein Fall für die Sprengstoffentschärfer.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Die TSG wird in ganz Bayern gerufen, wenn etwa die Polizei auf ein illegales Chemielabor stößt, wenn selbstgebastelte Spreng- und Brandvorrichtungen gefunden werden, wenn im Wald eine Granate auftaucht oder wenn ein verdächtiger Brief im Postkasten landet. Drogendealer etwa sichern ihr Depot gerne mit Sprengfallen. Die TSG war auch 2016 am Olympia-Einkaufszentrum im Einsatz, um den Rucksack des Attentäters auf Sprengsätze zu untersuchen. Am selben Wochenende zündete ein islamistischer Attentäter in Ansbach eine Rucksackbombe. Er verletzte 15 Menschen und kam selbst dabei ums Leben. Was in der auseinanderstiebenden Menge an Handtaschen oder sonstigen Behältern übrig blieb, war ein Fall für die TSG.

SZ-Serie: Alles im Griff, Folge 1: Wie aus Kathryn Bigelows Film "The Hurt Locker": Gut 40 Kilo wiegen Schutzanzug und Helm.

Wie aus Kathryn Bigelows Film “The Hurt Locker”: Gut 40 Kilo wiegen Schutzanzug und Helm.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

“Man geht jeden Morgen in die Arbeit und weiß nicht, was passiert”, das mag Maik Klingenberg an seinem Job. Er ist studierter Ingenieur und kam über seine Arbeit im Rettungsdienst zur Polizei. Wenn Klingenberg ausrückt, bleibt der Puls im Ruhebereich. Häufig liegt schon Bildmaterial von dem Gegenstand vor, er kann sich mental vorbereiten. “Der Vorlauf ist wichtig”, meint er, die Strategie stehe fest. “Für Gegenstände”, sagt er, “gibt es immer eine technische Lösung.” Widrig seien oft die Umstände: etwa ein dunkles, staubiges Kellerloch, oder ein Tatort, an dem sich gerade ein junger Bastler die Finger weggesprengt hat.

In Corona-Zeiten, erzählt er, hätten viele Leute ihre Keller entrümpelt und seien auf alte Munition, teils von ihren Vorfahren, gestoßen. Da hatte die TSG alle Hände voll zu tun. “Aber man kam locker mit dem Einsatzauto durch”, grinst der Hauptkommissar, die Straßen seien wie leer gefegt gewesen.

SZ-Serie: Alles im Griff, Folge 1: Fundobjekt Granate.

Fundobjekt Granate.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Die Geschichte mit dem Mann aus dem Regionalzug, daran erinnert sich der Entschärfer noch recht gut: Die Bundespolizei kontrollierte den Mann bei Mühldorf, er hatte keinen Fahrschein dabei. Als sie ihn mitnehmen wollten, sagte er, er werde seine beiden riesigen Sporttaschen im Zug stehen lassen, sie seien so schwer. Tatsächlich befanden sich Rohrbomben und Sprengstoff darin. Die selbstgebauten Sprengsätze waren so empfindlich, dass sie allein schon durch elektrostatische Ladungen hätten in die Luft fliegen können. Die TSG transportierte die Taschen ab, als sie später den Inhalt kontrolliert in die Luft jagten, “hat es den Bunker verschoben”. Und der Schwarzfahrer entpuppte sich als der “Bombenleger von Waldkraiburg”, der dort mehrere türkische Geschäfte attackiert hatte.

“Wenn’s mir nicht gefällt, dann mach’ ich es kaputt.” Was wie der Satz eines verzogenen Kindes klingt, ist das Credo bei den Entschärfern. Soll heißen, wenn das Objekt zu undurchsichtig oder unkontrollierbar erscheint, wird es zerstört. Unfälle habe es noch nie gegeben, sagt der Entschärfer, “die Anfahrt zum Einsatz ist meist gefährlicher”. Etwa 300 Mal im Jahr rückt die TSG aus. Und wenn gerade mal nichts los ist, wird geübt. Etwa, mit dem 40-Kilo-Schutzanzug die Treppen rauf und runter zu laufen. Oder Geräte zu checken, deren Bedienung zu üben, seltene Munition zu studieren. Denn am Ende des Tages sollen ja nicht nur die Hände heil vom Einsatz zurückkommen.

Jede(r) braucht in seinem Beruf den Kopf zum Arbeiten. Manche benötigen darüber hinaus aber auch noch eine sehr spezielle Fingerfertigkeit. In unserer neuen Serie stellen wir in loser Folge Menschen in München vor, die einer besonderen Hand-Arbeit nachgehen.

source site