Erhöhen Virus Infektionen das Risiko für Alzheimer?

Stand:
28. Juli 2023,
15:01 Uhr

Es dauert, bis sich der Körper von einer Virusinfektion erholt und regeneriert hat. Oft ist das eigene Immunsystem noch wochen- oder gar monatelang geschwächt. In seltenen Fällen kann sogar ein chronisches Erschöpfungssyndrom entstehen. Einer Datenanalyse zufolge steigert eine Infektion angeblich aber auch das Risiko von Demenz.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Virus- und Demenzerkrankungen? Ja, gibt es – zu diesem Schluss kamen Forschende des US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) anhand einer Datenanalyse von zwei Biodatenbanken aus Finnland und dem Vereinigten Königreich.

Über 15 Jahre hinweg wurden 800.000 Patientendaten ausgewertet. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal “Neuron” veröffentlicht. Demnach weisen Personen, die bestimmte Virusinfektionen durchmachen, ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Parkinson, Alzheimer oder Multiple Sklerose auf. 

Einen Haken hat die Datenanalyse jedoch: Zwar konnte ein Zusammenhang bestätigt werden, doch die Ursache ist noch unklar. Zwei Möglichkeiten stehen im Raum: 

  • Kann eine frühere Virusinfektion wirklich Demenz auslösen? Oder…
  • Sind Patienten mit beeinträchtigten Hirnfunktionen einfach insgesamt anfälliger für Virusinfektionen? 

Für beide Theorien gibt es Argumente. 

Theorie 1: Demenz-Patienten infizieren sich häufiger

Es kann sein, dass Patienten mit Demenz durchschnittlich häufiger an Virusinfektionen erkranken. Grund dafür ist ein insgesamt schwächeres Immunsystem. Beobachtungen während der Corona-Pandemie belegen, dass Alzheimer-Patienten häufiger mit Infektionen zu kämpfen haben und dementsprechend auch ein höheres Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben.

Bei der aktuellen Analyse der Fachzeitschrift “Neuron” ist zu beachten, dass Demenzerkrankungen wie Alzheimer bis zu 20 Jahre vor den ersten Symptomen im Körper ausbrechen können. So fand ein Bochumer Forschungsteam 2022 heraus, dass sich bereits 17 Jahre vor Ausbruch feststellen ließe, ob jemand an Alzheimer erkranken wird. 

Die aktuelle Analyse schaut aber nur auf die letzten 15 Jahre. Es könnte also sein, dass einige Patienten schon zum Zeitpunkt der Virusinfektion unbemerkt an Demenz oder Alzheimer erkrankt sind. 

Demenzpatienten haben ingesamt ein schwächeres Immunsystem. Stecken sie sich deswegen besonders häufig mit Virusinfektionen an?
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Theorie 2: Viren können Demenz auslösen

Viel spricht aber auch dafür, dass bestimmte Virusinfektionen tatsächlich das Gehirn schwächen können. Gleich mehrere Studien belegen diese Theorie, so der Neurobiologe Martin Korte von der TU Braunschweig gegenüber der Tagesschau. “Wir konnten bereits 2018 zeigen, dass insbesondere eine Grippeinfektion das Immunsystem im Gehirn aktiviert.” Der Verdacht des Neurobiologen: Mikrogliazellen, also die Immunzellen im Gehirn, könnten so das Nervensystem über Monate schädigen.

Dafür spricht auch eine Studie des Fachjournals “Nature”: Die Ergebnisse belegen, dass Alzheimer-Patienten nach einem schweren Covid-19-Verlauf ein besonders stark gealtertes Gehirn aufwiesen. Durch eine Infektion können degenerative Prozesse, die im Gehirn sowieso schon ablaufen, beschleunigt werden. Der geistige Verfall könnte neu angestoßen werden.

Das ist fatal, denn das größte Risiko bei Demenz oder Alzheimer ist das Alter. Nach dem 65. Lebensjahr verdoppeln sich alle fünf Jahre die Erkrankungen. In Deutschland leben zurzeit etwa 1,7 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Experten schätzen, dass 2050 bundesweit rund drei Millionen Menschen betroffen sein könnten

Schützen Impfungen bald auch gegen Demenz?

Wirksame Therapien gibt es nicht – noch nicht. Aber sollten frühere Virusinfektionen tatsächlich das Risiko von neurologischen Krankheiten erhöhen, könnten Impfungen wie gegen Influenza oder Gürtelrose noch wichtiger werden, schreibt das Forschungsteam in seiner Studie.

Falls es wirklich einen Zusammenhang zwischen Virusinfektionen und Demenz geben sollte, würden Impfungen noch wichtiger werden.
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Wie aussagekräftig ist die Datenanalyse? 

Die Autoren der Studie weisen selbst auf die zahlreichen Limitationen ihrer Analyse hin. Zwar konnte ein Zusammenhang zwischen Virusinfektionen und Demenzerkrankungen bemerkt werden, allerdings wurde (noch) keine Ursache gefunden oder geklärt. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass der Studienzeitraum mit 15 Jahren im Vergleich zu anderen Studien sehr gering sei. Ebenfalls merken die Autoren an, dass bereits bestehende, jedoch unbemerkte neurodegenerative Erkrankungen zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen könnten. Weitere Studien und Untersuchungen sind also dringend nötig.

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