Diablo 4 im Test: Der (zu) perfekte Nachfolger einer legendären Reihe

Vor 23 Jahren habe ich mich als Teenager in Diablo 2 verliebt. Nach einem für mich relativ enttäuschenden dritten Teil war die Freude auf Diablo 4 riesig. Stellenweise lässt es mich aber mit der Frage zurück: Bin ich schlecht gealtert oder das Spiel?

Ich kann mich noch daran erinnern, als sei es gestern gewesen. Morgens im Schulbus hatte ich genau zwei Hefter im Rucksack – einen mit leeren Blättern für die bevorstehenden Schulstunden und einen mit ausgedruckten Screenshots. Denn während der etwa einstündigen Fahrt zum Unterricht hatte ich jeden Morgen gerade genug Zeit, meinem besten Freund zu zeigen, was ich am Vorabend bei Diablo 2 gefunden habe. Das ging über Monate. Fast täglich haben wir uns begeistert erzählt, was die damals schon beachtlichen Gegnermassen für uns haben fallen lassen – mein erster bedeutungsvoller Kontakt mit “Loot”, also der Beute, die man in Videospielen finden kann. Ich habe Diablo 2 geliebt. Den ersten Teil habe ich nicht gespielt, mit damals zehn Jahren hatte ich andere Favoriten – und noch keinen Computer.

Diablo 4 – unser zweiter Frühling?

Als 2012 der dritte Teil kam, habe ich mich selbstverständlich darauf gefreut. Gemocht habe ich es aber nicht so richtig. Das hatte verschiedene Ursachen. Aufgehört habe ich, als ich feststellte, dass ich nach dem Sieg über Diablo einfach wieder von vorne anfange. Das ständige Wiederholen der immer gleichen Missionen wirkte auf mich damals wie Arbeit, nicht wie Spaß. Dazu kam ein Echtgeld-System, dem ich mit dem frühen Deinstallieren des Spiels symbolisch den Mittelfinger zeigen wollte.

Doch Dingen, die man geliebt hat, gibt man eine zweite Chance. So ist es bei mir auch mit Diablo 4. Sollte 23 (dreiundzwanzig!) Jahre später meine alte Liebe wieder aufflammen? Sollten Diablo und ich uns nach der herben Enttäuschung wieder zusammenraufen? Ich möchte behaupten, dass ich mich in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwas weiterentwickelt habe. Das hoffte ich dementsprechend auch von dem Spiel. 

Die kürzlich spielbare Beta-Version von Diablo 4 habe ich am ersten Wochenende gespielt – und nur ein einziges Mal. Damit wollte ich mir das Gefühl ersparen, zum offiziellen Start des Spiels am vergangenen Freitag erstmal ausschließlich Dinge tun zu müssen, die ich bereits zahlreiche Male erledigt hatte. Kurz dazu: Trotz neuer Klasse fühlte es sich dennoch so an. Deswegen mag ich Beta-Versionen nicht besonders gerne, wenn sich der Speicherstand nicht in die finale Version übertragen lässt. Doch die Lust auf mehr war trotzdem geweckt. 

Eine ganz düstere Erfahrung im besten Sinne

Dann war es endlich soweit: Release-Day für Vorbesteller der Ultimate sowie der Digital-Deluxe-Edition. Die durften ein paar Tage vor dem offensichtlich symbolischen 6. Juni schon ran. Also Totenbeschwörer erstellt und los. Die düstere Atmosphäre war mir bereits aus der Beta gut im Gedächtnis geblieben. Und das muss man einfach so sagen: Diablo 4 ist kein Vergleich zum dritten Teil. Was die Immersion, die Glaubwürdigkeit der Welt und die beklemmende Stimmung angeht, hat Entwickler Blizzard den Nagel mit voller Wucht auf den Kopf getroffen. Diese Welt ist so fertig, sie ist dem Abgrund so nahe, sie ist so bedrückend – wohin das Auge blickt. Klingt negativ? Aber nein! So muss Diablo sein und so ist der vierte Teil auch. Ganz toll!

Das gilt für mich auch für die Geschichte, die Diablo 4 trägt. Im Grunde dient sie auch der Wegfindung durch die riesige Karte, aber sie ist gut verpackt. Nach rund 20 Stunden mit der finalen Version weiß ich zwar immer noch nicht, wie die Story endet, aber ich will es wissen – und das zählt. Die bisherigen Zwischensequenzen, die Gespräche, die Sprachausgabe – on point. Zwar mangelt es an der eigenen Charakterentwicklung, aber ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, dass man in anderen Teilen der Reihe großartig mit sich selbst beschäftigt war. Wer sowas sucht, ist bei Titeln wie “Pillars of Eternity” besser aufgehoben.

Diablo 4 Szenerie

Die Kulissen in Diablo 4 sind wundervoll gestaltet. Anders als der dritte Teil ist Diablo 4 einheitlich düster und angemessen beklemmend.

© Blizzard Entertainment

Die gefürchtete Warteschleife, die bei neuen Blizzard-Veröffentlichungen üblich sind, gab es nicht. Auch sonst habe ich technisch relativ wenig zu meckern. Die Grafik des Spiels ist angemessen. Kein Highlight, aber angemessen. Das mag auch der Perspektive geschuldet sein, aus der man einen Diablo-Teil spielt. Die Vogelperspektive gibt einfach nicht genug her, um aus dem Spiel ein monumentales Meisterwerk zu machen, bei dem einem der Mund offen stehenbleibt.

Die Steuerung von Diablo 4 ist wie gehabt, Musik und Sprachausgabe sind, wie bereits erwähnt, Teil der wirklich fantastischen Atmosphäre. Einziges Manko, was mich schon ein bisschen ärgert, ist die manchmal schlechte Internetverbindung. Ob das an mir liegt oder an Blizzard, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es nicht nur einmal passiert, dass mein Charakter im Spiel mehrere Hundert Meter zurückgesetzt wurde (das nennt man “Rubberbanding”), weil die letzten x Sekunden keine Verbindung zum Server bestand. An ähnlichen Situationen sind auch schon so genannte “Hardcore”-Charaktere gestorben, die nach einem einzigen Tod im Spiel für immer verloren sind. “Ein tragisches Ende”, schreibt zum Beispiel “Winfuture” über einen dieser Vorfälle. Kann man so sagen, wenn nach 82 Stunden Spielzeit alles für die Katz war, weil die Technik nicht wollte.

Soweit also alles eigentlich super. Irgendeinen Grund muss es ja auch haben, dass Diablo 4 in der Fachpresse schon jetzt zu den besten Spielen des Jahres gezählt wird und eine Top-Wertung nach der anderen absahnt. Bei “Opencritic” sind es bei 108 berücksichtigen Tests durchschnittlich 89 von 100 Punkten, der “Metacritic“-Score liegt mit 87 nicht weit darunter. 

Das böse “R”-Wort

Doch was ist das? 5.1 von 10 Punkten im “User Score”? Eine solche Diskrepanz zwischen Kritikern und Kunden gibt es eigentlich nur dann, wenn dahinter ein Motiv der Spielergemeinde steckt. Das war zum Beispiel beim Harry-Potter-Spiel “Hogwarts Legacy” der Fall. Entwickler Blizzard Entertainment steht auch wegen zig Dingen in der Kritik, aber eine laufende Kampagne in Verbindung mit “Review-Bombing” von Diablo ist mir nicht bekannt. Aber das ist ein anderes Thema. Liest man die Nutzerkommentare, die hinter den vielen negativen Bewertungen stecken, ergibt sich ein Muster, das auch ich leider feststellen musste – und wogegen ich aufgrund meiner emotionalen Bindung zu der Spielereihe noch ankämpfe.

Damit ist übrigens nicht der Shop gemeint, in dem man im Spiel für sehr viel Geld optische Veränderungen für seinen Charakter kaufen kann. Solange es nur um ein anderes Aussehen geht, zieht das an mir spurlos vorbei. Wenn jemand meint, 25 Euro für eine Rüstung sei angemessen, steht es mir nicht zu, darüber zu urteilen. Ich behalte mir eine Änderung dieser Meinung zu, sobald sich durch den Einsatz von echtem Geld Vorteile für den Spielablauf ergeben, wie es bei dem mobilen Ableger Diablo Immortal der Fall ist.

Mit dem Muster meinte ich eher folgendes: Diablo 4 ist, wenn man es ganz platt ausdrücken möchte, exakt das, was Diablo 2 schon war. Nur eben 23 Jahre später. Und es scheint, als reiche mir das heutzutage nicht mehr. Gemeint ist das Spielprinzip. Diablo 4 basiert darauf, in einer offenen Welt (das ist neu) Orte zu entdecken und Missionen zu erfüllen (das ist bekannt). Wie man das Ziel erreicht, hat sich nicht geändert. Jede, aber wirklich jede einzelne Mission, basiert darauf, Unmengen von Monstern, Mini-Bossen und großen Bossen zu erlegen. Jemand vermisst seinen Sohn? Ab in die Höhle und einmal durchfegen. Jemand sucht ein Buch? Auf in die Festung und räumen. Es werden Rohstoffe für ein Ritual gesucht? Nach 150 erlegten Skeletten hat man sie zusammen. 

Diablo 4 Gameplay

Diablo 4 ist exakt das, was man von einem Teil der Reihe erwartet: Hektischer, teils unübersichtlicher Dauerkampf gegen schier unendliche Monsterhorden.

© Blizzard Entertainment

Für diese endlose Aneinanderreihung von Gemetzeln stehen fünf Klassen zur Auswahl, mit denen man die Schlachten jeweils etwas anders erlebt. Auch innerhalb einer Klasse lässt sich der Charakter anders spielen. Beispiel Totenbeschwörer: Entweder setzt man voll auf seine Begleiter und lässt machen, oder man entwickelt die eigenen Fähigkeiten soweit, dass man solo für Chaos unter den Feinden sorgen kann. Am Ende des Tages, so hart es klingt, ändert das aber relativ wenig am Spiel. Bisher ist mir kein anderes Schema begegnet als: “Gehe von A nach B, töte C und bringe D zu E”. Und jetzt folgt das böse R-Wort: Das ist ungeheuer repetitiv. Und es hilft wenig, dass man sich nach Level 30 im Prinzip für ein festes Set an Zaubern oder Angriffen entschieden hat und nur noch daran feilt, sie im nächsten Gemetzel besser zu timen.

Noch schlimmer ist die Tatsache, dass es bei normalen Gegnern (nicht den Bossen!) nahezu keine Abwechslung gibt, was deren Beseitigung angeht. Die sogenannten Mobs sind zwar allesamt grandios designed, aber es spielt keine Rolle, ob man auf Ziegenmenschen, Fledermäuse, Geister oder Spinnen trifft. Man drückt einfach so lange auf die Knöpfe, bis es wieder ruhig ist. Bei größeren Kämpfen muss man tatsächlich mitdenken, damit man nicht stirbt. Auf dem Weg dorthin ist das weniger gefragt.

Natürlich bestimmen die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade darüber, ob man es leicht oder gar fast unmöglich schwer hat – und auch die ständig fallende Beute motiviert zum Weitermachen, aber im Kern erwische zumindest ich mich dabei, wie ich mich schon fragen muss, ob ich dabei gerade Spaß habe.

Bei Metacritic finde ich ein Zitat, welches zwar recht bissig ist, aber doch verdeutlicht, was ich meine. Der Nutzer “gun661” schreibt dort: “Ein düsterer Dämonen-Cookie-Klicker, bei dem sich alles um Benutzerbindung und stumpfsinnige Beschäftigung dreht.”

Eine Reise mit Open End

Ich würde es nicht ganz so ausdrücken, da die Story und das Setting wirklich besser sind, als bei dem berühmt-berüchtigten Browser-Spiel mit den Keksen, aber ich sehe mich nicht mehr mit Screenshots in der Hand bei Freunden, um von meinen neuesten Items zu berichten. Das beschränkt sich maximal auf Personen, mit denen man in diesem Moment zusammen spielt. Diablo 4 kann man nämlich alleine spielen oder sich Gruppen suchen. Für Konsolen gibt es außerdem einen Couch-Koop-Modus, bei dem man auf einem Bildschirm zusammen spielen kann – das hätte ich mir damals auch gewünscht! 

Ich bin sicher, ich werde Diablo 4 in aller Ruhe beenden. Vielleicht sogar erst im Winter, wenn die Stimmung des Spiels zum Wetter vor der Tür passt (Diablo bei Sonnenschein ist merkwürdig). Sollte mir danach aber nichts neues geboten werden und es nur noch um Ausrüstung um der Ausrüstung Willen gehen, endet das Abenteuer dann für mich. Das war früher irgendwie aufregender.

Apropos Winter: Sofern es eine Option ist, mit dem Spiel zu warten, wäre der Spätherbst womöglich ohnehin der bessere Zeitpunkt, es zu kaufen. Aktuell liegen die Preise je nach Plattform und Version zwischen 70 und 100 Euro, was für das Gebotene schon recht viel ist – zumal Erweiterungen und sogenannte Battle-Passes noch hinzukommen, wenn man wirklich alles will. Ich könnte mir vorstellen, dass zu den bekannten Angebotstagen bessere Deals kommen.

Fazit: Diablo 4 im Test

War das jetzt mehr ein Text über mich oder über das Spiel? Wie dem auch sei – ein solcher Artikel ist ohnehin in der Regel höchst subjektiv. Kommen wir zu den wichtigen Fragen: Würde ich Diablo 4 empfehlen? Ein ganz klares ja. Wer auf düstere Spiele steht und dem Genre nicht gänzlich abgeneigt ist, bekommt mit Diablo 4 ein beispielhaftes Hack and Slay – oder Action-Rollenspiel. Mindestens der erste Durchlauf dürfte mächtig Spaß machen. Denn auch, wenn es Gegenstimmen gibt, halte ich die Story, gepaart mit ihren tollen Zwischensequenzen, für tragfähig. Wie gesagt, ohne großartige Charakterentwicklung der Spielfigur.

Und für eine ganze Weile macht auch das Gameplay großen Spaß, wenn man eine Klasse gefunden hat, die den eigenen Vorstellungen entspricht. Grafik und Technik – passt schon, sofern Blizzard die störenden Ruckler in den Griff kriegt.

Interessanter finde ich die Frage, ob das Spiel in der Lage ist, die Motivation über eine lange Zeit aufrecht zu erhalten. Für mich scheint es nicht darauf hinaus zu laufen. Dafür ist mir das bekannte Schema viel zu eintönig. Ich glaube auch nicht, dass ich Diablo 4 mit einer zweiten oder gar dritten Klasse nochmal spielen werde. Ein Langzeit-Projekt ist das Spiel wohl nur, wenn man Spaß an der gnadenlosen Selbstoptimierung hat und wachsende Schadenswerte mehr bedeuten, als Abwechslung.

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