DFB-Kantersieg im Schnellcheck: Hansi Flick ist jetzt schon besser als Joachim Löw

Liechtenstein ist keine Herausforderung für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die entsprechend deutlich siegt. Ein früher Platzverweis hilft dabei ebenso wie lange vermisste Begeisterung auf den Rängen. Die Löw-Verabschiedung wirkt aber etwas wenig glamourös.

Was ist in der Arena in Wolfsburg passiert?

Dafür, dass es ein sportlich kaum relevantes Länderspiel ist, war der Vorlauf zum vorletzten Auftritt der DFB-Elf im Kalenderjahr 2021 ganz schön aufregend. Sportlich nahezu egal, weil die deutsche Auswahl als Gruppensieger schon für die WM qualifiziert ist. Liechtensteins Fußballer sind mit einem Punkt und -21 Toren (am Spielende dann -30) das statistisch drittschwächste Team der europäischen Qualirunde, nur die gänzlich punktlosen San Marino und Gibraltar stehen noch schlechter da. Und, weil im Kader des DFB-Teams wenige Stunden nach der Ankunft in Niedersachsen gleich acht Plätze freigeworden waren.

Die Ausfälle von Nico Schlotterbeck und Florian Wirtz erwiesen sich in Wolfsburg als geringste Überraschung, schließlich reisten beide schon angeschlagen an, außerdem verletzte sich Julian Draxler im Training. Für weitaus mehr öffentliches Interesse sorgte der positive Corona-Test von Niklas Süle, der dank doppelter Impfung einen bislang symptomlosen bis milden Krankheitsverlauf zu erleben scheint. Allerdings war Süle gemeinsam mit acht weiteren Profis im Flugzeug angereist.

Es folgte eine behördliche Quarantäne-Anordnung – allerdings nur für vier der acht Mitreisenden, nämlich für Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Serge Gnabry und Karim Adeyemi. Der Blick in die Corona-Verordnungen legt nahe, dass dieses Quartett bislang nicht gegen das Coronavirus geimpft ist. Nur bei Kimmich ist es öffentlich bekannt, aber: Wer geimpft ist, der muss auch als enge Kontaktperson eines Infizierten nicht in Quarantäne.

Etwas unter ging in all dem Trubel derweil die Verabschiedung von Joachim Löw. Der sagte am RTL-Mikrofon, dass er dem Ende seiner Zeit als Bundestrainer “ein bisschen Abstand gewinnen” musste, “ein bisschen verarbeiten” nach 15 Jahren als Chef der DFB-Auswahl, denn “das letzte Turnier war enttäuschend”. Und so stand Löw dann ein letztes Mal während der deutschen Nationalhymne am Spielfeldrand, eingehakt mit Weggefährten wie Per Mertesacker, Miroslav Klose und Lukas Podolski.

Zuvor hatte ihm das ausverkaufte Stadion applaudiert und Interimspräsident Peter Peters ein gerahmtes Bild mit der Überschrift “Jahrhunderttrainer” überreicht. So umstritten wie Löw in seinen letzten Jahren als Bundestrainer gewesen sein mag, etwas glamouröser als gegen Liechtenstein in Wolfsburg hätte seine Verabschiedung durchaus sein dürfen. 198 Länderspiele sind Rekord, 124 Siege ebenfalls, bei fünf seiner sieben WM- und WM-Turniere führte er die DFB-Elf mindestens ins Halbfinale. Da wirkte das Zeremoniell etwas dürftig angesichts von Löws Verdiensten.

Teams und Tore

Deutschland: Neuer/FC Bayern (35 Jahre/108 Länderspiele) – Hofmann/Gladbach (29/9) ab 46. Minute Nmecha/Wolfsburg (22/1), Kehrer/Paris (25/15) ab 72. Ginter/Gladbach (27/45), Rüdiger/Chelsea (28/49), Günter/Freiburg (28/4) – Goretzka/FC Bayern (26/41) ab 46. Neuhaus/Gladbach (24/8) – Baku/Wolfsburg (23/3), Müller/FC Bayern (32/109), Gündoğan/Manchester City (31/53) ab 64. Minute Arnold/Wolfsburg (27/2), Sané/FC Bayern (25/39) ab 64. Volland/Monaco (29/13) – Reus/Dortmund (32/48); Trainer: Flick
Liechtenstein: Benjamin Büchel – Sandro Wolfinger/ab 83. Brändle, Malin, Kaufmann, Hofer, Göppel – Sele ab 83. Martin Büchel, Frommelt, Hasler – Salanovic/ab 69. Grünenfelder – Frick/ab 29. Fabio Wolfinger/ab 69. Meier; Trainer: Stocklasa
Schiedsrichterin: Ivana Martincic (Kroatien)
Tore: 1:0 Gündoğan (11., Foulelfmeter), 2:0 Kaufmann (20., Eigentor), 3:0 Sané (22.), 4:0 Reus (23.), 5:0 Sané (49., nach Videobeweis), 6:0 Müller (76.), 7:0 Baku (80.), 8:0 Müller (86.), 9:0 Göppel (89., Eigentor)
Zuschauer: 25.984 ausverkauft (in Wolfsburg)
Gelbe Karte: Rüdiger –
Rote Karte: Hofer wegen groben Foulspiels (10.)

Die 90 Minuten im Spielfilm

8. Minute, Elfmeter für Deutschland, Platzverweis für Liechtenstein: Die wichtigste Nachricht ist, dass Leon Goretzka nach kurzer Behandlung wieder steht. Liechtensteins Verteidiger Jens Hofer geht im Strafraum mit viel zu hohem Fuß in den Zweikampf und erwischt Goretzka mit der Fußsohle am Hals. Der sinkt vor Schmerzen zu Boden, der Abdruck der Stollen auf der Haut ist gut sichtbar. Schiedsrichterin Ivana Martincic entscheidet sofort auf Strafstoß und auf Rot für Hofer. Dem tut sein Tritt sichtbar Leid, Goretzka scheint die Entschuldigung immerhin anzunehmen.

11. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Es dauert nach dem harten Foul ein bisschen, bis alles wieder sortiert ist, bis İlkay Gündoğan zur Ausführung bereitsteht. Wenige Sekunden später liegt der Ball aus Sicht des Schützen im rechten unteren Toreck und es steht 1:0 für Deutschland.

20. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Wenig überraschend ist die DFB-Elf komplett überlegen, erst prüfen Ridle Baku und Jonas Hofmann die Reflexe von Torwart Benjamin Büchel, dann köpft Gündoğan an die Latte, wenn auch aus leichter Abseitsposition. Eine missglückte liechtensteinische Klärungsaktion landet dann über wenige Stationen bei Christian Günter, der von links scharf und flach vors Tor flankt. Da will Daniel Kaufmann klären, grätscht jedoch den Ball ins eigene Tor.

22. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Das 2:0 ist noch nicht fertig aufgeschrieben, da fällt schon das 3:0. Goretzka schickt Leroy Sané steil in den Strafraum, der vollendet souverän ins lange Eck.

Mit aller Ruhe zum 4:0.

(Foto: imago images/Matthias Koch)

23. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Das 2:0 ist noch nicht fertig aufgeschrieben, da fällt schon das 4:0. Eine Flanke aus dem Halbfeld erreicht Sané zwar nicht, aber er irritiert Keeper Büchel, der den Ball abprallen lässt. Marco Reus hat dann keine Mühe, einzuschieben. Mutige Prognose: Hansi Flick holt sich heute den Rekord für den besten Start eines Bundestrainers, den bisher Joachim Löw mit fünf Siegen in den ersten fünf Spielen hält. Um Flicks sechsten Erfolg seit Amtsantritt noch zu verhindern, müsste das Spiel wohl abgebrochen und neu angesetzt worden.

38. Minute: Für Antonio Rüdiger ist die WM-Qualifikation mit Abpfiff in Wolfsburg beendet. Im Luftduell räumt er Fabio Wolfinger mit seinem Ellenbogen ab, der zwar einen Moment lang ärztlichen Rat auf dem Feld bekommt, dann aber weiterspielt. Weil Rüdiger damit gelb gesperrt ist, dürfte er sich die Reise nach Armenien durchaus sparen können.

43. Minute: Wenn Rüdiger hier mit Gelb-Rot fliegt, darf er sich nicht beschweren. Ecke für Deutschland, der Chelsea-Profi gerät erneut mit Wolfinger aneinander, drückt dessen Kopf weg. Sein Glück, dass Schiedsrichterin Martincic nicht die zweite Gelbe zückt.

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Thomas Müller hat jetzt mehr Länderspiele absolviert als Jürgen Klinsmann.

(Foto: imago images/Matthias Koch)

Halbzeit: Für Liechtenstein geht es nur darum, das Schlimmste zu verhindern. Also sowas wie ein 0:12, was angesichts der Phase zwischen 20. und 23. Minute und der Unterzahl durchaus droht. Allerdings ließ die DFB-Elf nach dem vierten Treffer auch etwas locker.

49. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: So gerne wie in dieser Szene hat sich Thomas Müller in seiner Karriere wohl selten tunneln lassen. Im Strafraum geht es etwas durcheinander, ein geblockter Schuss landet bei Reus, der von der Grundlinie in den Rücken der Abwehr spielt. Sané hat viel Zeit, viel Platz und schließt durch Müllers Beine zum 5:0 ab.

58. Minute: La-Ola-Welle auf den Rängen. Vermutlich eher nicht für Liechtensteins Torwart Büchel, der sich aber mindestens Applaus verdient hätte. Klar, fünf Stück hat er schon kassiert, beim vierten auch unglücklich ausgesehen, aber trotzdem zeigt er über weite Strecken eine starke Leistung.

76. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Mittlerweile mehr Tore als “O” in “TOOOOR”. Thomas Müller ist schuld daran, nach einer Ecke ein Kopfball von Matthias Ginter noch nicht den Weg ins Tor findet, anschließend Florian Neuhaus den Abpraller zurück aufs Tor köpft und Müller eben vor selbigem steht, um aus einem Meter ohne große Mühe seinen 41. Länderspieltreffer im 109. Länderspiel macht.

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Für so ein Tor kann man sich schon mal feiern lassen.

(Foto: AP)

80. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Das schönste Tor des Abends. Baku hat auf der rechten Strafraumseite zu viel Platz, legt sich den Ball auf den linken Fuß und schlenzt. Über Buchel hinweg, genau ins lange Eck, an den Innenpfosten im Winkel und von da ins Tor.

86. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Reus schießt, Büchel hält, Müller staubt ab. Mit links, sein Schuss wird abgefälscht, und fällt von der Latte zum 8:0 ins Tor. Irgendwie ein typisches Müller-Tor. 42 in 109. Mehr DFB-Einsätze haben nur Lothar Matthäus (150), Miroslav Klose (137), Lukas Podolski (130), Bastian Schweinsteiger (121) und Philipp Lahm (113) absolviert.

89. Minute, TOOOOR FÜR DEUTSCHLAND: Kein Doppelpack für Baku, stattdessen zweites Eigentor für Liechtenstein. Der Wolfsburger flankt und Maximilian Göppel versucht, mit dem Kopf dazwischenzugehen. Das gelingt ihm auch – nur leider mit der Folge, dass der Ball erst steil nach oben steigt und sich die Flugkurve danach hinter Torwart Büchel ebenso rapide sinkt und ihren tiefsten Punkt da findet, wo es “Tor für Deutschland” heißt.

Was war gut?

Die Stimmung im Stadion, und das ist ja längst nicht mehr selbstverständlich. Bisweilen verschenkte der Deutsche Fußball-Bund ja die Tickets für die Partien seiner wichtigsten Mannschaft und natürlich ist die Entfremdung längst nicht vergessen. Aber La-Ola-Wellen und “Oh wie ist das schön”-Gesänge sind sicherlich Zeichen des Aufschwungs, den die DFB-Elf gerade einzuleiten scheint. Im sportlichen Sinne, weil sie die teils lähmenden Auftritte der letzten Löw-Jahre offenbar hinter sich lässt und auch, was das Verhältnis zum Publikum angeht.

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Vierter Debütant unter Löw: Lukas Nmecha.

(Foto: imago images/Matthias Koch)

Dass Flick beim Gastspiel in Wolfsburg alle drei VfL-Profis im Kader einsetzt, hilft dabei. Zumal Baku sogar das schönste Tor des Abends erzielt, Nmecha als vierter Debütant unter Flick seine ersten Minuten in der A-Nationalmannschaft erlebt und der nachnominierte Arnold endlich sein zweites Länderspiel macht.

Was natürlich auch gut war und ist: Bundestrainer Hans-Dieter Flick. Sogar besser als Joachim Löw, mit 198 Länderspielen immerhin Rekordhalter in dieser Statistik, auch seine 124 Siege sind übertreffen. Einen Rekord aber hat Flick seinem Vorgänger in Wolfsburg abgenommen – denn sechs Siege in den ersten sechs Partien, das hat vorher keiner geschafft.

Was war schlecht?

Rat und Nothilfe bei Suizid-Gefahr und Depressionen

Ein Vergleich von Oliver Bierhoff. Der ehemalige Nationaltorwart Robert Enke hatte sich am 10. November 2009 wegen seiner Depressionen das Leben genommen, anlässlich des zwölften Todestags verlieh die nach Enke benannte Stiftung einen Preis. Bierhoff, damals wie heute Manager der DFB-Auswahl, erinnerte sich an den “einschneidenden Tag”.

Und sagte dann: “Natürlich habe ich während der letzten Monate auch an solche Situationen gedacht. Wenn man dann überlegt, wie auf Jogi (Löw, Anm. d. Red.) eingeprügelt wurde, wie viel Druck auf ihm lastet, wie er an den Pranger gestellt wird. Zuletzt auch mit Joshua Kimmich. Natürlich passiert medial immer wieder das Gleiche: Druck wird aufgebaut, es wird polarisiert. Es kommt enorm viel auf die Menschen zu.”

Am Tag danach bat Bierhoff zwar um Verzeihung (“Nichts liegt mir ferner, als die tragischen Umstände rund um die Erkrankung von Robert Enke gleichzusetzen mit aktuellen Diskussionen um den Impfstatus von Nationalspielern”), doch genau diesen Vergleich hatten viele in seinen Aussagen erkannt und harsch kritisiert.

Stellvertretend für die berechtigte, wichtige und richtige Kritik folgen daher die Worte von Sportkommentator Florian Schmidt-Sommerfeld: “Robert Enke hatte eine grauenhafte Krankheit, die die meisten von uns null (be)greifen können. Joshua Kimmich hat eine ganz bescheidene Entscheidung ganz ganz schlecht ‘begründet’. Und ist dafür zu Recht kritisiert worden. Das zu vermischen verbietet sich komplett.”

Das sagen die Beteiligten

Hansi Flick: “Natürlich bin ich zufrieden. Mich freut, dass Jogi bei seinem Abschied neun Tore gesehen hat, die Stimmung war einfach fantastisch. Das war das dritte Heimspiel, das wir hatten in der Art. Die Mannschaft und die Fans, das ist eine gute Kombination. Wir freuen uns über die Qualität, jeder einzelne will in diese Mannschaft rein, das macht es uns einfach. Es ist enorm wichtig, dass jeder die Art und Weise wie wir spielen wollen mitgeht, und den Eindruck haben wir.”

Thomas Müller: “Man muss immer ein bisschen relativieren, dass wir keine extrem schwierigen Gegner in der Gruppe hatten. Es ist aktuell bei Heimspielen eine super Atmosphäre, wir wollten immer das nächste und das nächste Tor. Die Spieler, die reingekommen sind, haben sich gezeigt, man kann von einem tollen und harmonischen Abend sprechen.”

Marco Reus: “Es war einfach schön. Aber wie nah wir an der Weltspitze sind, kann man jetzt nicht sagen, die Gegner waren nicht auf dem Niveau, auf dem wir gefordert sein werden. Solche Spiele sind trotzdem gut, weil du Automatismen einstudieren kannst, so wie heute hat es Spaß gemacht.”

Der Tweet zum Spiel

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