Zwei Theater, verschiedene Welten – The New York Times

MÜNCHEN — In diesem Monat versammelten sich Hunderte von eleganten Bayern, viele davon in der traditionellen Tracht der Region aus Lederhose und Dirndl, zur festlichen Eröffnung des neuen Volkstheaters, einem beeindruckenden und luxuriösen Komplex für darstellende Künste, der in die gepflasterten Innenhöfe eines 19. Jahrhunderts gebaut wurde Schlachthof.

Dass das Volkstheater eine Woche nach der Eröffnung der Isarphilharmonie eingeweiht wurde, ein Konzerthaus von Weltrang, schien ein weiteres Signal dafür zu sein, dass München seinen provinziellen Ruf abwirft und zu einer globalen kulturellen Kraftquelle heranwächst.

Dennoch bleiben Spannungen zwischen lokalen und weltoffenen Impulsen in der Kunstszene der Stadt bestehen und werden nirgendwo deutlicher als in den unterschiedlichen Ansätzen des Volkstheaters und eines anderen staatlich geförderten Schauspielhauses, den Münchner Kammerspielen. Einst als Münchens „ungeliebtes Kind“ bezeichnet, wurde das Volkstheater 1983 von einem konservativen Bürgermeister gewollt, der eine traditionellere Alternative zu den künstlerisch und politisch provokanten Kammerspielen wollte.

Die 150 Millionen Dollar teure Spielstätte des Volkstheaters bestätigt den künstlerischen Weg, den sein langjähriger Leiter Christian Stückl für das Haus eingeschlagen hat. 2002 kam Stückl als künstlerischer Leiter und machte sich daran, ein Ensemble junger Schauspieler aufzubauen, darunter viele frisch von der Schauspielschule. Fast zwei Jahrzehnte später ist das Theater als Inkubator für Talente weithin bekannt. Das 2005 gegründete Festival „Radical Young“ zeigt Inszenierungen von Nachwuchsregisseuren aus Theatern im gesamten deutschsprachigen Raum.

Auch die Kammerspiele, deren Geschichte mehr als ein Jahrhundert zurückreicht und Uraufführungen der dramatischen Titanen Bertolt Brecht und Frank Wedekind umfasst, befinden sich mitten in einem Neuanfang. Kürzlich startete die zweite Spielzeit unter ihrer künstlerischen Leiterin Barbara Mundel, die ein größtenteils neues (und stark erweitertes) Schauspielensemble und ein vielfältiges Team von künstlerischen Mitarbeitern mitgebracht hat.

Der Start mitten in einer Pandemie war jedoch nicht einfach, und die Kammerspiele hatten oft Mühe, ihre Vision zu definieren oder zu artikulieren. Es würde mich also nicht wundern, wenn das Theater das Volkstheater, dessen spritziger Auftakt hier noch für Schlagzeilen und Aufregung sorgt, mit so etwas wie Neid beäugt.

Mit einem mondänen Zuhause für sein bewährtes Modell des traditionellen Theaters junger Spieler scheint das Volkstheater im Aufwind zu sein. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob das Unternehmen eine Öffentlichkeit über seine meist lokale Basis hinaus ansprechen kann.

Stückls Inszenierung von Christopher Marlowes „Edward II“, mit der die Bühne eingeweiht wurde, scheint eine stilvolle und zugleich konventionelle Inszenierung zu sein, die ein breiteres Publikum ansprechen könnte. Die Inszenierung ist einfühlsam gespielt und illustriert eindringlich die leidenschaftliche und rücksichtslose Liebe des mittelalterlichen englischen Königs zu Gaveston, dem Earl of Cornwall, die der Monarch verfolgt, während sein Hof gegen ihn plant.

„Edward II“ bietet mit seinen ansehnlichen dramatis personae eine gute Gelegenheit, das frische Ensemble des Volkstheaters sowie die technischen Fähigkeiten der Bühne zu zeigen. Die Kostüme und die minimalistischen Requisiten – darunter eine Badewanne und ein Thron – vibrieren mit elektrischen Rosa- und Purpurtönen gegen die schwarze Weite der neonbeleuchteten Bühne, deren häufige Rotationen über zwei Stunden ohne Unterbrechung ein nahtloses Ein- und Aussteigen ermöglichen.

„Edward II“ ist die erste von 15 Premieren, die das Haus für diese Saison geplant hat, zusammen mit Werken von George Orwell und Oscar Wilde und mehreren neuen Stücken. Das Repertoire der Kompanie orientiert sich jedoch stark an den Klassikern, von Shakespeare bis hin zu grundlegenden deutschen Werken.

Eine brillant gespielte Kammerfassung von Thomas Manns „Die Bekenntnisse des Felix Krull, der Mann des Vertrauens“ ist die erste Wiederaufnahme des Volkstheaters in seiner neuen Heimat. Die 2011 im zweiten, kleineren Theater des Hauses präsentierte Inszenierung nach dem Roman von Bastian Kraft, dem Regisseur der Show, wirkt für ihr Alter bemerkenswert frisch. Kraft gelingt es, mit begrenzten Mitteln das bunte Leben und die weltumspannenden Abenteuer von Manns charmantem Vertrauensmann heraufzubeschwören.

Die Besetzung bleibt gegenüber vor zehn Jahren unverändert: Pascal Fligg, Nicola Fritzen und Justin Mühlenhardt geben heroische Leistungen und verteilen die Rolle des Krull unter ihnen. Die drei erwecken den verwegenen Trickster durch eine Reihe von schnellen, witzigen und schweißtreibenden Darbietungen zum Leben, die Triumphe bravouröser Schauspielerei sind.

„Felix Krull“ gehört zu den Klassikern des Volkstheaters und ist immer noch ausverkauft. Ganz anders sieht es bei den Kammerspielen aus, die ihr Repertoire quasi von Grund auf neu aufbauen. (Fast keine der Produktionen der Kompanie aus der Zeit vor Mundels Amtszeit wurden beibehalten.) Das Programm umfasst nur wenige berühmte Stücke oder erkennbare Titel. Stattdessen setzen die Kammerspiele auf aktuelle und frisch in Auftrag gegebene Werke internationaler Künstler, Dramatiker und Theaterkollektive.

Ein junger Autor, der am Theater arbeitet, ist der israelische Schriftsteller Sivan Ben Yishai, dessen „Like Lovers Do (Memoirs of Medusa)“ dort kürzlich seine Uraufführung erlebte. Dieses provokative Stück ist eine wilde und kompromisslose dramatische Abhandlung über sexuelle Gewalt, Missbrauch, Selbstverletzung und die psychisch schädigenden Erwartungen an Mädchen und Frauen in einer sexistischen Gesellschaft. Das Playbill enthält eine Triggerwarnung, die ironisch sein kann. („Triggerwarnungen verkaufen sich“, sagt uns ein Charakter.)

Zum Glück bringt Pinar Karabuluts stilvoll campy und farbenfrohe Inszenierung keine Gewalt oder Grausamkeit auf die Bühne. Die temperamentvolle fünfköpfige Besetzung, die aus dem Ensemble des Hauses stammt, rezitiert (und singt gelegentlich) den X-bewerteten Dialog, während sie in verrückten Comic-Kostümen von Teresa Vergho gekleidet ist. Karabuluts skurrile Puppenhausästhetik bildet einen willkommenen Kontrast zur unerbittlichen Brutalität des Stücks; Ironie und schwarzer Humor der Inszenierung helfen dem Publikum, einen ansonsten unerbittlich düsteren Abend zu überstehen.

Das grandiose Ensemble der Kammerspiele steht auch in „Die Politiker“, einem dramatischen Monolog von Wolfram Lotz, im Mittelpunkt. Es ist ein langes poetisches Manifest, das sich empört und dringend anfühlt – obwohl nicht immer klar ist, was es bedeutet. In seiner beschwörenden Kraft und seinem rhythmischen Fluss kann es auf rein akustischer Ebene hypnotisieren, und seine Mischung aus Sinn und Unsinn eröffnet unendlich viele theatralische Möglichkeiten.

Bei der Erstaufführung, eingebettet in eine Berliner Inszenierung von „König Lear“ am Deutschen Theater, wurde „Die Politiker“ einer einzigen Schauspielerin anvertraut; in München verteilt die Regisseurin Felicitas Brucker den Text von Lotz an drei Interpreten. Etwas mehr als eine Stunde lang deklamieren Katharina Bach, Svetlana Belesova und Thomas Schmauser mit glühender Intensität den bewegten Text. Die agilen Darsteller treten aus isolierten Nischen heraus, die Schlafzimmer, Werkstatt und Küche in einem sind und deren Wände oft von videospielartigen Animationen durchzogen sind, und bringen Heiterkeit und Unruhe in ihre absurden Reden.

Der seltsamste, wundervollste Moment an diesem schwindelerregenden Abend ist, wenn Bach – der die beeindruckendste Aufführung liefert – inmitten eines feurigen Schwalls von fast unverständlichem Gebrabbel kurz innehält, um das Publikum mit trockener Direktheit zu fragen: „Irgendwelche Fragen?“

Die Kammerspiele unter Mundel interessieren sich nach den bisherigen Erkenntnissen eher für Kunst, die Fragen stellt, statt Antworten zu geben. Ich hoffe, Münchens Theaterliebhaber stellen sich der Herausforderung, das unerprobte Repertoire zu entdecken, das sie in dieses geschichtsträchtige Haus einführt. Im Vergleich dazu ist das populärere und publikumsfreundlichere Volkstheater, das in seinem hochmodernen Haus installiert ist, besser denn je in der Lage, das Publikum – auch diejenigen, die einem traditionelleren Ansatz skeptisch gegenüberstehen – von seiner theatralischen Vision zu überzeugen .

Edward II. Regie: Christian Stückl. Münchner Volkstheater, bis 25.11.
Felix Krull. Regie Bastian Kraft. Münchner Volkstheater, bis 6.11.
Like Lovers Do (Erinnerungen an Medusa). Regie: Pinar Karabulut. Münchner Kammerspiele, bis 15.11.
Die Politiker. Regie Felicitas Brucker. Münchner Kammerspiele, bis 24.11.

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