„Wir brauchen jetzt Rechtssicherheit“ – EURACTIV.com

Trotz des jüngsten Richtungswechsels im Europäischen Parlament besteht die Wasserstoffindustrie weiterhin darauf, dass die Kommission einen delegierten Rechtsakt zum sogenannten Zusätzlichkeitsprinzip erlässt, sagte Jorgo Chatzimarkakis in einem Interview mit EURACTIV.

Jorgo Chatzimarkakis ist CEO von Hydrogen Europe, einem Verband, der die Interessen der Wasserstoffindustrie in Brüssel vertritt. Zuvor war er von 2004 bis 2014 als Abgeordneter der FDP im Europäischen Parlament tätig.

Das Gespräch mit Chatzimarkakis fand im Zuge einer umstrittenen Änderung der EU-Richtlinie für erneuerbare Energien statt, die am 14. September im Europäischen Parlament beschlossen wurde.

Mit dieser Änderung, Abgeordnete ihre Vision des sogenannten „Zusätzlichkeitsprinzips“ auferlegt wobei Wasserstoff nur dann als „grün“ eingestuft würde, wenn er aus zusätzlichen erneuerbaren Energiequellen hergestellt wird.

HÖHEPUNKTE DES INTERVIEWS:

  • Hydrogen Europe will den delegierten Rechtsakt zur Zusätzlichkeit unbedingt noch.
  • Derzeit läuft die interne Abstimmung zwischen dem Parlament und dem Ratsvorsitz, um zu einem Kompromissvorschlag zu gelangen.
  • Die Bundesregierung hat sich bereits kurz nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 gegenüber der EU-Kommission für die Wasserstoffwirtschaft ausgesprochen.
  • Das Inflationsminderungsgesetz der Biden-Regierung hat das Wasserstoff-Spielfeld nachhaltig verändert.
  • Blauer Wasserstoff, der mit Hilfe von Erdgas und Kohlenstoffabscheidung hergestellt wird, ist keine wettbewerbsfähige Option mehr.
  • Wasserstoffautos sind kein rein deutsches Phänomen, und die Wasserstoffbranche hofft auf neue Regelungen aus Brüssel.
  • Die Wasserstoffbank der EU wird eine politische Instanz sein, die mittelfristig entscheidet, wer den relativ seltenen Wasserstoff bekommt, zB die Stahl- oder Düngemittelproduzenten.

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Herr Chatzimarkakis, es waren ereignisreiche Wochen in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für Wasserstoff. Zuletzt hat das EU-Parlament eine neue Definition für grünen Wasserstoff vorgelegt, aber das sollte eigentlich Aufgabe der EU-Kommission sein, oder?

Ja, das war Änderungsantrag 13 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Die Kommission ist jetzt verwirrt, weil sie sagt: „Okay, das Parlament beauftragt uns jetzt damit, seinen Vorschlag in Gesetz umzusetzen und auf den delegierten Rechtsakt zur Zusätzlichkeit zu verzichten.“

Stimmst du dem zu?

Bis zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben in nationales Recht würden wir damit noch zwei Jahre in der Schwebe bleiben, aber für den Wasserstoffhochlauf braucht es schnellstmöglich Rechtssicherheit. Wir brauchen dringend den Rechtsakt, der die Zusätzlichkeit regelt.

Deshalb werden sich nun Abgeordnete, darunter der zuständige Berichterstatter Pieper, treffen – fraktions- und auch ausschussübergreifend. Alle, die etwas mit Wasserstoff zu tun haben. Sie wollen in Kürze einige Eckpunkte aufschreiben und mit der tschechischen Ratspräsidentschaft diskutieren. Erfreulicherweise hat sich auch die tschechische Ratspräsidentschaft zur Teilnahme bereit erklärt.

Auf der Grundlage dieses neuen Dokuments wird die Kommission dann einen überarbeiteten delegierten Rechtsakt vorlegen.

Die Handlungsbefugnis liegt nun auch in den Händen des Parlaments und des Rates, um der Kommission Orientierung zu geben.

Wie viel Zeit nehmen Sie sich dafür und wird sich die Kommission überhaupt beteiligen?

Es wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es das wird. Denn die Zeit drängt und Europa hat lange genug gewartet. Und die internen Diskussionen innerhalb der Kommission müssen ein Ende haben.

Was die Kommission im Frühjahr 2022 zur Vernehmlassung freigegeben hat, lässt sich nicht global durchsetzen. Europa schieße sich mit diesem Vorschlag „in den Fuß“.

Den Zeitplan gibt der kommende Trilog vor. Wenn der Trilog beginnt, muss der Vorschlag auf dem Tisch liegen, also bis Ende September.

Was ist das genaue Ziel?

Das Ziel bleibt dasselbe. Allerdings passen sich die Methoden an eine globale Wasserstoffsituation an, die sich plötzlich grundlegend geändert hat.

Hier hat der US Inflation Reduction Act völlig neue Bedingungen vorgegeben. Und erneuerbarer Wasserstoff, der in den USA produziert wird, wird viel wettbewerbsfähiger sein als europäischer Wasserstoff.

Inwieweit engagieren sich hier Deutschland und Frankreich, die beiden größten Mitgliedsstaaten?

Beide großen Mitgliedsstaaten, die deutsch-französische Achse, haben mit ihrer jeweiligen nationalen Energiepolitik ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem. Auf der einen Seite setzt Deutschland einseitig auf Gas und Russland, auf der anderen Seite setzt Frankreich auf Atomkraft und lehnt den Import von Wasserstoff ab.

Deutschland intervenierte bereits im Dezember 2021. Damals richtete Staatssekretär Patrick Graichen zusammen mit einem Kollegen im Umweltministerium einen Brief an die Kommission, in dem er das Vorgehen der Kommission kritisierte.

Hat sich dadurch etwas geändert?

Die deutsche Intervention ist letztlich der Kern des jüngsten Leaks der Europäischen Kommission zu den delegierten Rechtsakten, der Elemente des deutschen Vorschlags enthält. Insofern muss ich sagen, dass ich Deutschland sehr konstruktiv finde.

Frankreich hat nun darauf bestanden, keine Importstrategie (Wasserstoff) zu verfolgen und hat sein Land übrigens letztlich nicht für den Wasserstoffstrom etwa von Spanien nach Deutschland geöffnet, weil man gegen den Bau einer Pipeline ist (MidCat-Projekt ).

Noch vor wenigen Jahren war blauer Wasserstoff, der mit Hilfe von Erdgas hergestellt wird, in aller Munde, wie ist die aktuelle Situation?

Blauer Wasserstoff ist derzeit nicht wettbewerbsfähig. Wir sehen, dass natürlich alle Quellen, solange sie klimaverträglich sind, als Option offengehalten werden müssen.

Lassen Sie mich das Beispiel AdBlue nennen. Dafür braucht man Ammoniak. Ammoniak wird aus Wasserstoff und Stickstoff hergestellt. Und wenn Produzenten jetzt nur kurzfristig blauen Wasserstoff kaufen können, weil die erneuerbare Infrastruktur noch nicht fertig ist, weil Elektrolyseure noch nicht vorhanden sind, dann müssen sie das tun, weil sie sonst die Lieferketten unterbrechen würden.

Ammoniak spielt auch eine breitere Rolle, richtig?

Wir sind jetzt dabei, mit der chemischen Industrie zusammenzuarbeiten, um sehr schnelle Wege zur Gewinnung von Ammoniak (Nordafrika) zu schaffen und möglicherweise auch ausgediente Pipelines zu nutzen, um Ammoniak so schnell wie möglich in die chemische Industrie zu bringen, so wie es die Industrie braucht. Alles, was erneuerbar machbar ist, funktioniert so.

Was ich sagen will ist, dass die blaue Option im Moment einfach viel zu teuer ist. Wenn ich mein Auto an einer Wasserstofftankstelle betanke, an der es blauen Wasserstoff gibt, bezahle ich 15 Euro pro Kilo. Wo es grünen Wasserstoff gibt, zahle ich zehn Euro. Den Unterschied sehe ich heute direkt.

Apropos: Wo sind die ganzen Wasserstoffautos, kommen die noch?

Du musst den Karren vor das Pferd stellen. Mit der Alternative Fuel Infrastructure Regulation (AFIR) bekommen wir jetzt ein wirksames Instrument. Es wird ein Instrument sein, das viele Lademöglichkeiten bietet, um Wasserstofflösungen zu schaffen.

Was wird genau passieren?

Entlang des europäischen TEN-V-Verkehrsnetzes wird es alle 100 Kilometer eine Wasserstofftankstelle geben.

Das ist eine enorme Investition in Wasserstoff. Die Hälfte könnten wir aus privaten Mitteln finanzieren, die andere Hälfte müssten dann öffentlich finanziert werden.

Wenn diese Infrastruktur einmal da ist, wird sie natürlich primär für Lkw genutzt. Aber sobald die Tankstellen stehen, wollen Hersteller und Kunden auch Wasserstoffautos.

Früher war ich der Einzige an Wasserstofftankstellen. Nun gibt es meist jemanden, der das Wasserstoffauto auch betanken möchte. Im Moment profitieren Wasserstoffautos vom Mangel an Chips; in zukunft wird die rohstoffthematik immer wichtiger.

Ist die Faszination für das Wasserstoffauto ein rein deutsches Phänomen?

Ich war gestern auf einem europäischen Kongress und wurde von Spaniern, Italienern und einem Finnen angesprochen. In Deutschland gibt es hier natürlich eine große Diskussion.

In Indien sind Wasserstoffautos besonders beliebt; es ist Teil der Rivalität mit China.

Nun hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine neue Wasserstoffbank angekündigt, Details nennt sie aber noch nicht. Investitionen sollen angekurbelt werden, was ist zu erwarten? Die Bundesregierung hat mit der Stiftung H2-Global bereits den Anfang gemacht.

H2-Global wäre ein sehr gutes Modell, wenn es auf einem europäischen Gründungsmodell basieren würde. Am Ende wird diese Bank im Wesentlichen eine Agentur sein, die eine politische Entscheidung treffen muss. Die drei Milliarden Euro, mit denen es ausgestattet werden soll, reichen nicht aus, um die 10 Millionen Tonnen Wasserstoff zu kaufen [the EU’s overall 2030 target].

Die 3 Milliarden Euro sind das Kapital, das letztlich die Subvention darstellt, die die Differenz ausmacht. Insgesamt benötigen wir etwa 20 Milliarden Euro, um diese 10 Millionen Tonnen Wasserstoff zu kaufen.

Die Bank kauft die 10 Millionen Tonnen und verkauft sie dann zu einem niedrigeren Preis. Die Differenz könnte die drei Milliarden betragen. Wir beginnen jetzt mit dem „Feintuning“, also der Berechnung. Aber im Grunde ist das das Modell. Dann ist es die Agentur innerhalb dieser Bank, die entscheidet, wer den Wasserstoff bekommt.

Mehr als die Hälfte wird aufgrund der EU-Vorgaben für Kraftstofflieferanten sicherlich an die Kraftstoffhersteller gehen. Der Rest ist eine politische Entscheidung: Sind Düngemittelproduzenten wichtiger als Autohersteller? Wann kommt Stahl ins Spiel? Die Stahlindustrie mag ein Käufer sein, aber nicht sofort.

Die chemische Industrie hingegen kann sofort auf grünen Wasserstoff umsteigen. Fällt schließlich ein Kunde wie BASF aus, geht dessen Wasserstoffquote an den nächsten Kunden.

Aber um die notwendige Produktion zu sichern, braucht es Rechtssicherheit?

Wir brauchen jetzt Rechtssicherheit durch verschiedene Rechtsakte. Nicht nur die Zusätzlichkeit steht auf dem Spiel, sondern auch die Methoden zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks.

Die Kommission hat im Frühjahr einen Gesetzentwurf zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks von Wasserstoff vorgelegt.

Aber niemand versteht diese Gesetzgebung. Ich habe auch niemanden gefunden, der es mir in einfachen Worten erklären könnte. Und deshalb ist das der nächste wichtige Schritt: Dass die Kommission diesen Vorschlag grundsätzlich komplett überdenkt und den „Better Regulation“-Ansatz ernst nimmt.

Wir haben keine Zeit mehr. Wir brauchen jetzt klare, leicht verständliche Regeln, die es zum Beispiel einem Investor aus Indien erlauben, 100 Milliarden Dollar zu investieren.


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