Wenn Sie Ihre Freunde in einem Buch rösten und einer Ihr Vermieter ist


EINE HÖHERE EBENE
Von Anke Stelling
Übersetzt von Lucy Jones

Resi ist eine Schriftstellerin und Mutter von vier Kindern in Berlin, die gerade ihren Räumungsbescheid erhalten hat. Ihre Freunde leben zusammen in der Nähe in einem Gebäude, das sie selbst entworfen haben, eine Mischung aus Gemeinde und architektonischem Prunkstück. Resi schrieb ein Buch, in dem sie und ihr Lieblingsprojekt verspottet wurden, und jetzt können sie ihr nicht vergeben. Leider hält eine von ihnen ihren Mietvertrag. Als sie die Aussicht hat, in einen unmodernen Vorort zu ziehen, schreibt sie einen Brief an ihre älteste Tochter, Bea. Sie möchte, dass Bea weiß, dass das deutsche Versprechen der Chancengleichheit eine Lüge ist. Du kannst nicht entkommen, woher du kommst.

Der Aufbau von Anke Stellings neuem Roman “Higher Ground” ist ebenfalls der größte Teil der Geschichte. Resi – dessen Name kommt von Parrhesie, Griechisch für uneingeschränkte Sprache – verbringt einen Großteil ihrer Zeit in einem Besenschrank und tippt wütend. Sie erinnert sich an die frühen Enttäuschungen ihrer Mutter in der Liebe sowie an ihre eigenen. Sie schreibt Anklageschreiben und löscht sie. Es ist nicht so, dass sie vom Bauplan ausgeschlossen wurde. Ihre Freunde baten sie, sich ihnen anzuschließen und boten an, die Anzahlung zu übernehmen. Aber sie lehnt das Angebot ab und missbilligt ihnen ihre festen Jobs und fügsamen Kinder. Vor allem scheint sie sich zu ärgern: weil sie keinen Abschluss gemacht hat, weil sie einen anderen Künstler geheiratet hat, weil sie vier Kinder hat und kein festes Einkommen hat.

“Higher Ground”, das jetzt in einer ungleichmäßigen Übersetzung von Lucy Jones veröffentlicht wird, verspricht eine beißende Kritik an bürgerlichen Normen. Resi soll die Außenseiterin sein, die sehen kann, wie flach und wahnhaft ihre wohlhabenden Freunde wirklich sind, die visionäre Wahrsagerin, die für ihre Ehrlichkeit bestraft wird. Das Problem ist, dass Resi nur in ihrer eigenen Vorstellung eine Außenseiterin ist. Tatsächlich ist sie wie der Rest ihrer Gruppe eine selbstgefällige bürgerliche Frau aus einer florierenden Produktionsstadt in Westdeutschland, die in den neunziger Jahren in die kämpfende Hauptstadt kam und erwartete, dass sie ihr zu Füßen liegen würde. Berlins traumatische Geschichte der Trennung und des Vergessens berührt sie nicht. Die Einwandererbevölkerung – rund ein Fünftel der Berliner sind im Ausland geboren – ist eine Pointe. Irgendwann stellt Resi ihre Freunde vor, die überlegen, ob sie Flüchtlingen ihre schlechteste Wohnung anbieten sollen, wenn sie keine „wirklich hohen Erwartungen“ haben oder sich wie „Tiere“ verhalten. Die Szene scheint das beiläufige Vorurteil von Resis sozialem Kreis zu enthüllen, aber der Kicker ist, dass es nie passiert ist. Es findet nur in Resis Kopf statt.

Resis Leben als Künstlerin hat ihren edleren Werten oder Wünschen nicht gegeben, nur weniger Geld, um sie zu bezahlen. Sie ist nicht arm, wie sie gelegentlich merkt: “Ich erinnere mich daran, dass keiner von uns verhungern muss.” Als deutsche Staatsbürgerin erhält sie Kindergeld, subventionierte Tagesbetreuung, kostenlose Ausbildung durch die Universität und eine barrierefreie Krankenversicherung. Aber sie kann es sich nicht leisten, vier Kinder nach Mallorca zu fliegen, also muss dies für eine gerechte Empörung reichen. Die zweite Hälfte des Romans wird von der Angst vor den bedrohlichen bevorstehenden „Herbstferien“ überschattet, in denen die Familie gezwungen sein wird, zu Hause im Zentrum einer der pulsierendsten Städte Europas Zeit miteinander zu verbringen. Letztendlich besteht Resis größte Angst nicht darin, ein hohles, scheinheiliges Leben zu führen, sondern sich mit „übergewichtigen Menschen, die Polyester-T-Shirts mit Logos tragen“ in den Boonies zu vermischen.

Ein Roman braucht keine packende Handlung oder einen sympathischen Protagonisten. Aber wenn es auf diese verlässlichen Freuden verzichtet, sollte es den Lesern etwas anderes bieten: eine überzeugende Stimme, eine überraschende Sichtweise, eine funkelnde Sprache. Der Schriftsteller Thomas Bernhard war dafür bekannt, unangenehme Charaktere zu schreiben, die über die Kleinlichkeit der österreichischen Gesellschaft schimpften, aber ihre endlosen Tiraden waren lustig und scharf. Man wollte auf ihrer Seite sein. Resis Monolog ist alles Bitterkeit und kein Witz. Das Frustrierendste an „Higher Ground“ ist, dass man am Ende mit den Menschen sympathisiert, die es anprangern sollte.



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