Was wäre, wenn wir unser Goldenes Zeitalter noch einmal erleben könnten?

ZEITSCHUTZ
Von Georgi Gospodinow
Übersetzt von Angela Rodel

Eine der vielversprechenderen Behandlungen für Demenz war die „Erinnerungstherapie“, die Artefakte und Fotos einsetzt, um die Stimmung und das Bewusstsein zu verbessern. Einige haben sogar „Demenzdörfer“ gebaut, die Umgebungen aus der Jugendzeit der Patienten nachbilden: Kinos, Restaurants, Bushaltestellen. Während Befürworter behaupten, dass solche Umgebungen die Menschlichkeit der Patienten stärken, haben andere sie als Bühnenkunst im Stil der „Truman Show“ kritisiert.

Diesen immersiveren Interventionen liegt natürlich ein gewisses Maß an Täuschung zugrunde, und nicht alle befreiten Erinnerungen sind glückliche. Die Moral, Menschen künstlich in die Vergangenheit zurückzuversetzen, und die umfassendere Frage, ob dies wirklich Trost bringt – ob das Schwelgen in Nostalgie heilend oder schädlich ist – ist die zentrale Frage von Georgi Gospodinovs neu übersetztem Roman „Time Shelter.

Gospodinov kümmert sich nicht viel um das übliche Drumherum der Fiktion. Er stellt einen geriatrischen Psychiater namens Gaustine vor, stellt aber klar, dass er ein Produkt der Fantasie des Erzählers ist, „den ich zuerst erfunden und dann in Fleisch und Blut getroffen habe“. Bevor wir begreifen können, was das bedeutet, treffen sich die beiden Männer in Zürich, wo der Erzähler, ein Schriftsteller, nach literarischer Inspiration sucht und der Arzt Investoren gefunden hat, die ihm helfen, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Gaustine plant, historische Räume für Demenzkranke akribisch „im Einklang mit ihrer inneren Zeit“ zu reproduzieren und ihnen zu helfen, sich an die Teile ihrer selbst zu „erinnern“, die im Laufe ihres Lebens „zerstückelt“ wurden. (Die geschickte Ausführung eines solchen Wortspiels ist ein Beweis für das Talent der Übersetzerin des Romans, Angela Rodel.) Als seine Schützlinge wieder zu sich selbst kommen, verbreitet sich die Kunde von Gaustines Errungenschaften, und er eröffnet neue Kliniken in ganz Europa, darunter eine in Gospodinovs Heimat Bulgarien.

Mit seinem Erfolg macht sich Gaustine Sorgen über die psychologischen Folgen eines allzu leichten Pendelns zwischen den Jahrzehnten. Er bringt den Erzähler in einen seiner Räume, ein simuliertes Jahr 1968, komplett mit alten Zigaretten und Gin, und deutet an, dass sie Städte, sogar ganze Länder, der Vergangenheit bauen sollten. Bald klagt Gaustine über die gescheiterten Träume der Menschheit für das 21. Jahrhundert. „Zum Versagen der Zukunft gehört auch das Versagen der Medizin“, verkündet er. Er und die Besucher seiner „Zeitunterkünfte“ sehen die Vergangenheit nicht nur als Heilmittel für Demenz, sondern auch für zeitgenössische Anomie und Angst.

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