Lösung eines 65 Jahre alten kosmischen Rätsels

Auf diesem Bild des Metis-Instruments von Solar Orbiter ist zu sehen, wie sich die äußere Atmosphäre der Sonne, die sogenannte Korona, in den Weltraum erstreckt. Metis ist ein Multiwellenlängengerät, das im sichtbaren und ultravioletten Wellenlängenbereich arbeitet. Es handelt sich um einen Koronographen, was bedeutet, dass er das helle Sonnenlicht der Sonnenoberfläche ausblendet und das schwächere Licht, das an den Partikeln in der Korona gestreut wird, sichtbar lässt. In diesem Bild stellt die unscharfe rote Scheibe den Koronographen dar, während die weiße Scheibe eine Maske zur Komprimierung der Bildgröße darstellt, um die Menge unnötiger Downlink-Daten zu reduzieren. Bildnachweis: ESA & NASA/Solar Orbiter/Metis-Team; D. Telloni et al. (2023)

Eine kosmische Ausrichtung und ein wenig Raumschiff-Gymnastik haben zu einer bahnbrechenden Messung geführt, die dazu beiträgt, das 65 Jahre alte kosmische Rätsel zu lösen, warum die Sonnenatmosphäre so heiß ist.

Die Atmosphäre der Sonne wird Korona genannt. Es besteht aus einem elektrisch geladenen Gas, genannt Plasma und hat eine Temperatur von rund einer Million Grad Celsius.

Seine Temperatur ist ein bleibendes Rätsel, da die Oberfläche der Sonne nur etwa 6.000 Grad Celsius beträgt. Die Korona sollte kühler sein als die Oberfläche, da die Energie der Sonne aus dem Kernofen in ihrem Kern stammt und die Dinge natürlicherweise kühler werden, je weiter sie von einer Wärmequelle entfernt sind. Dennoch ist die Korona mehr als 150-mal heißer als die Oberfläche.

Es muss eine andere Methode zur Energieübertragung in das Plasma geben, aber welche?

Theorien und Untersuchungsherausforderungen

Es wird seit langem vermutet, dass Turbulenzen in der Sonnenatmosphäre zu einer erheblichen Erwärmung des Plasmas in der Korona führen könnten. Doch bei der Untersuchung dieses Phänomens stoßen Sonnenphysiker auf ein praktisches Problem: Es ist unmöglich, mit nur einer Raumsonde alle benötigten Daten zu sammeln.

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Sonne zu untersuchen: Fernerkundung und In-situ-Messungen. Bei der Fernerkundung wird die Raumsonde in einer bestimmten Entfernung positioniert und nutzt Kameras, um die Sonne und ihre Atmosphäre in verschiedenen Wellenlängen zu betrachten. Bei In-situ-Messungen fliegt die Raumsonde durch die Region, die sie untersuchen möchte, und misst dort die Partikel und Magnetfelder.

Beide Ansätze haben ihre Vorteile. Die Fernerkundung zeigt die großräumigen Ergebnisse, jedoch nicht die Details der im Plasma ablaufenden Prozesse. Mittlerweile liefern In-situ-Messungen sehr spezifische Informationen über die kleinskaligen Prozesse im Plasma, zeigen jedoch nicht, wie sich diese auf die große Skala auswirken.

Untersuchung zweier Raumfahrzeuge

Um ein vollständiges Bild zu erhalten, sind zwei Raumschiffe erforderlich. Genau das haben Sonnenphysiker derzeit in Form der von der ESA geleiteten Raumsonde Solar Orbiter und der Parker Solar Probe der NASA. Solar Orbiter ist darauf ausgelegt, der Sonne so nahe wie möglich zu kommen und dennoch Fernerkundungsoperationen sowie In-situ-Messungen durchzuführen. Parker Solar Probe verzichtet weitgehend auf die Fernerkundung der Sonne selbst, um für ihre In-situ-Messungen noch näher heranzukommen.

Um die komplementären Ansätze jedoch voll ausnutzen zu können, müsste sich die Parker Solar Probe im Sichtfeld eines der Instrumente von Solar Orbiter befinden. Auf diese Weise konnte Solar Orbiter die großräumigen Konsequenzen dessen aufzeichnen, was Parker Solar Probe vor Ort maß.

Solar Orbiter und Parker Solar Probe

Der Solar Orbiter der ESA ist eines von zwei komplementären Raumfahrzeugen, die die Sonne aus nächster Nähe untersuchen: Er schloss sich der Parker Solar Probe der NASA an, die bereits an ihrer Mission beteiligt war. Bildnachweis: Solar Orbiter: ESA/ATG medialab; Parker Solar Probe: NASA/Johns Hopkins APL

Astrophysikalische Koordination

Daniele Telloni, Forscher am Italienischen Nationalen Institut für Astrophysik (INAF) am Astrophysikalischen Observatorium von Turin, ist Teil des Teams hinter dem Metis-Instrument von Solar Orbiter. Metis ist ein Koronograph, der das Licht von der Sonnenoberfläche blockiert und Bilder der Korona aufnimmt. Es ist das perfekte Instrument für die groß angelegten Messungen und so begann Daniele nach Zeitpunkten zu suchen, an denen sich die Parker Solar Probe aufstellen würde.

Er stellte fest, dass sich die beiden Raumschiffe am 1. Juni 2022 in der richtigen Orbitalkonfiguration befinden würden – fast. Im Wesentlichen würde Solar Orbiter auf die Sonne blicken und Parker Solar Probe wäre etwas abseits, verlockend nah, aber knapp außerhalb des Sichtfelds des Metis-Instruments.

Als Daniele sich das Problem ansah, wurde ihm klar, dass alles, was nötig war, um Parker Solar Probe in Sichtweite zu bringen, ein wenig Gymnastik mit Solar Orbiter war: eine 45-Grad-Rolle und dann die Ausrichtung leicht von der Sonne weg.

Aber wenn jedes Manöver einer Weltraummission sorgfältig im Voraus geplant wird und Raumfahrzeuge selbst so konstruiert sind, dass sie nur in ganz bestimmte Richtungen zeigen, insbesondere wenn sie mit der furchterregenden Hitze der Sonne zurechtkommen müssen, war nicht klar, ob das Operationsteam des Raumfahrzeugs dies genehmigen würde eine Abweichung. Als sich jedoch alle über den potenziellen wissenschaftlichen Nutzen im Klaren waren, fiel die Entscheidung klar mit „Ja“.

Solar Orbiter erreicht das erste Perihel

Die Solar Orbiter-Mission der ESA wird der Sonne bei ihrer größten Annäherung aus der Umlaufbahn des Merkur entgegenblicken. Bildnachweis: ESA/ATG medialab

Durchbruchsbeobachtungen

Die Roll- und Offset-Ausrichtung ging weiter; Die Parker Solar Probe gelangte ins Sichtfeld und zusammen führte die Raumsonde die ersten gleichzeitigen Messungen der großräumigen Konfiguration der Sonnenkorona und der mikrophysikalischen Eigenschaften des Plasmas durch.

„Diese Arbeit ist das Ergebnis der Beiträge vieler, vieler Menschen“, sagt Daniele, der die Analyse der Datensätze leitete. Gemeinsam konnten sie die erste kombinierte Beobachtungs- und In-situ-Schätzung der koronalen Erwärmungsrate durchführen.

„Die Möglichkeit, sowohl Solar Orbiter als auch Parker Solar Probe zu verwenden, hat dieser Forschung wirklich eine völlig neue Dimension eröffnet“, sagt Gary Zank von der University of Alabama in Huntsville, USA, und Mitautor der daraus resultierenden Arbeit.

Durch den Vergleich der neu gemessenen Geschwindigkeit mit den theoretischen Vorhersagen, die Sonnenphysiker im Laufe der Jahre gemacht haben, hat Daniele gezeigt, dass Sonnenphysiker mit ihrer Identifizierung von Turbulenzen als Möglichkeit der Energieübertragung mit ziemlicher Sicherheit Recht hatten.

Raumsonde Parker Solar Probe nähert sich der Sonne

Künstlerisches Konzept der Raumsonde Parker Solar Probe, die sich der Sonne nähert. Bildnachweis: NASA/Johns Hopkins APL/Steve Gribben

Die spezifische Art und Weise, wie Turbulenzen dies bewirken, ist dem, was passiert, wenn Sie Ihre morgendliche Tasse Kaffee umrühren, nicht unähnlich. Durch die Anregung zufälliger Bewegungen einer Flüssigkeit, sei es ein Gas oder eine Flüssigkeit, wird Energie auf immer kleinere Maßstäbe übertragen, was in der Umwandlung von Energie in Wärme gipfelt. Im Fall der Sonnenkorona ist die Flüssigkeit ebenfalls magnetisiert und so steht auch gespeicherte magnetische Energie zur Umwandlung in Wärme zur Verfügung.

Eine solche Übertragung von Magnet- und Bewegungsenergie von größeren auf kleinere Maßstäbe ist das eigentliche Wesen von Turbulenzen. Auf kleinsten Skalen ermöglicht es, dass die Fluktuationen schließlich mit einzelnen Teilchen, meist Protonen, interagieren und diese aufheizen.

Schlussfolgerungen und Auswirkungen

Es bedarf noch weiterer Arbeit, bevor wir sagen können, dass das Problem der Solarerwärmung gelöst ist, aber dank Danieles Arbeit haben Sonnenphysiker nun die erste Messung dieses Prozesses.

„Dies ist eine wissenschaftliche Premiere. „Diese Arbeit stellt einen bedeutenden Fortschritt bei der Lösung des Problems der koronalen Erwärmung dar“, sagt Daniel Müller, Projektwissenschaftler.

Solar Orbiter ist eine Weltraummission der internationalen Zusammenarbeit zwischen der ESA und NASAbetrieben von der ESA.


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