Keine GAP-Reform ohne Handelsreform – EURACTIV.com


Die Verhandlungen über die Angleichung der nächsten Phase der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an den EU-Grünen Deal ziehen sich hin. Das Ziel einer wirklich nachhaltigen europäischen Agrarpolitik wird jedoch nur mit einer mutigen Handelspolitik erreicht, argumentiert Thilo Bode.

Thilo Bode ist der internationale Executive Director von foodwatch, einer europäischen Interessenvertretung.

Der weltweit größte Einzelmarkt hat das Potenzial, den globalen Agrarmärkten einen ökologischen Schub zu geben, von dem die ganze Welt profitieren würde.

In den letzten 20 Jahren hat die EU eine Billion Euro an Steuergeldern in den Agrarsektor gepumpt. Zu welchem ​​Ende? Massiver Strukturwandel und ebenso massive Umweltschäden sind nicht aufzuhalten.

Im Gegenteil, kleine landwirtschaftliche Betriebe schließen täglich und die Verschmutzung des Grundwassers, der Rückgang der Artenvielfalt und die Verschlechterung der Bodenqualität gehen weiter. Immer höhere Erträge werden den Tieren auf Kosten von immer mehr „Produktionskrankheiten“ entzogen.

Vergessen wir nicht, dass die Tierhaltung für etwa 70 % der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft verantwortlich ist.

Dieser hochsubventionierte Sektor der europäischen Wirtschaft ist gleichzeitig der weltweit größte Importeur (hauptsächlich Futtermittel) und größter Exporteur (hauptsächlich tierische und verarbeitete Lebensmittel).

In den lähmenden Debatten um die Reform der Agrarpolitik stehen diese zentralen Fragen der Verflechtung mit dem Weltmarkt jedoch nicht auf dem Tisch.

Gemäß der EU-Strategie „Farm to Fork“ im Rahmen des „EU Green Deal“ ist es das vorrangige Ziel der EU-Agrarpolitik, diese „nachhaltig“ zu gestalten. Dafür stehen Anreize für Bio-Investitionen sowie eine Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Flächen in Verbindung mit dem Bio-Siegel auf dem Tisch.

„Verbraucher sollten befähigt werden, nachhaltige Lebensmittel zu wählen…“, heißt es in der EU-Strategie.

Aber Appelle an die Verbraucherinnen und Verbraucher leisten, anders als viele meinen, keinen nennenswerten Beitrag zu einer ökologisch orientierten Politik, die die Interessen künftiger Generationen respektiert.

Nehmen Sie das Beispiel des Bio-Siegels in Deutschland. Das Label gibt es seit 20 Jahren, doch die „konventionelle“ Produktion von Lebensmitteln beträgt immer noch 93 %, bei Fleisch 97 %. Bio-Fleisch hat daher nur einen Marktanteil von 3%.

Der viel zitierte „Bio-Boom“ entpuppt sich neben den gravierenden Problemen der konventionellen Landwirtschaft als „Bio-Märchen“.

Für eine wirklich wirksame ökologische EU-Agrarpolitik helfen weder Appelle an das Verbraucherverhalten, noch reicht es aus, den marginalen Bio-Sektor einfach zu „pflegen“.

Stattdessen müssen wir mit der „konventionellen“ Landwirtschaft beginnen und uns mit den gesetzlichen Regelungen wie Abgaben auf Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger sowie Abgaben zur Tierhaltung und Tiergesundheit auseinandersetzen.

Die Einführung einer Steuer auf den Fleischkonsum, die sich aus den Treibhausgasemissionen der jeweiligen Tierart ableitet, wäre im Kampf gegen den Klimawandel weitaus effektiver.

Tierschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft sind schließlich keine Option; sie sind im europäischen Primärrecht verankert. Artikel 13 der EU-Verträge verlangt, dass „die Tierschutzerfordernisse als fühlende Wesen voll berücksichtigt werden“.

Dadurch entsteht jedoch ein grundsätzlicher Interessenkonflikt, den alle Diskussionen über eine Reform der EU-Agrarpolitik bisher vermieden haben. Wirksame Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen verteuern die Produktion im Binnenmarkt und setzen EU-Produzenten billigen Importprodukten mit niedrigeren Umweltstandards aus.

Die EU kann dieses Dilemma nur vermeiden, wenn sie ihre Produzenten vor diesem ungleichen Wettbewerb schützt. Es kann dies tun. Sie kann in Übereinstimmung mit den Regeln der Internationalen Welthandelsorganisation (WTO) diskriminierungsfreie Maßnahmen gegenüber Lieferanten aus Drittstaaten treffen.

Dies könnte durch Grenzausgleichszahlungen in Höhe der Belastung durch Pestizid- und Mineraldüngerabgaben und eine Fleischsteuer im Binnenmarkt erfolgen. Gleichwertige Tierschutzstandards für Einfuhren aus Drittstaaten in die EU können durch eine Zertifizierung sichergestellt werden.

Eine Folge dieser Maßnahmen wäre jedoch eine Verteuerung von Lebensmitteln im Binnenmarkt, die durch sozialpolitische Maßnahmen, beispielsweise durch Senkung der Mehrwertsteuer, abgefedert werden müsste.

Eine so konsequente Politik ist jedoch nicht möglich, ohne die führende Rolle der EU auf den Weltagrarmärkten in Frage zu stellen. Es ist nicht möglich, sowohl eine konsequent ökologische Landwirtschaft zu wollen als auch Export-/Importweltmeister zu bleiben.

Genau dieser Grundsatzentscheidung entzieht sich die EU, indem sie in ihrer „Farm to Fork“-Strategie die abstruse These aufstellt, dass eine nachhaltige, also ökologische Landwirtschaft mit zwangsläufig höheren Preisen die Voraussetzung für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU ist.

Nur mit fortschrittlichen Umweltstandards, unterstützt von einer mutigen Handelspolitik, kann ein echter Unterschied gemacht werden und das ist vielleicht der Grund stolz auf Europa zu sein, den viele Bürger suchen.





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