Europa hat bei der Solarenergie gegen China verloren – jetzt ist es dabei, dasselbe bei der Windenergie zu tun – POLITICO

Ann Mettler ist Vizepräsident für Europa bei Breakthrough Energy und ehemaliger Generaldirektor der Europäischen Kommission. Sie schreibt hier in persönlicher Eigenschaft.

Während der Verlust der europäischen Solarindustrie an China in den Machtkreisen der Europäischen Union regelmäßig beklagt wird, herrscht scheinbar glückselige Unwissenheit darüber, dass sich der Windsektor nun fest auf dem gleichen Weg befindet.

Ähnlich wie die Solarenergie hat auch die Windindustrie ihren Ursprung in Europa und wurde über Jahrzehnte hinweg mühsam aufgebaut, mit Forschungs- und Entwicklungsgeldern, großzügigen Subventionen und förderlichen Richtlinien. Heute sind fünf der 15 größten Windkraftanlagenhersteller europäisch.

Angesichts der Tatsache, dass die Energiewende in vollem Gange ist und durch den Krieg in der Ukraine sogar noch beschleunigt wird, kann man davon ausgehen, dass diese Unternehmen gute Geschäfte machen. Und doch stecken sie alle in der schlimmsten Krise aller Zeiten, erleiden Rekordverluste und geben immer wieder Gewinnwarnungen heraus.

Dabei handelt es sich um Probleme, die sich über Jahre angesammelt haben, und es ist unwahrscheinlich, dass sie auf Unternehmensebene oder ohne eine umfassende europäische Antwort gelöst werden können, die zeigen müsste, ob hochtrabende Forderungen nach Risikominderung, strategischer Autonomie und Reindustrialisierung wirklich Bestand haben werden Zeit.

Und wenn es um Wind geht, scheint die Antwort vorerst eindeutig zu sein: Das wird nicht der Fall sein.

Interessanterweise war ein Teil des Problems in diesem Sektor zu viel Innovation. Um die Betreiber von Windkraftanlagen – meist Energieversorger – anzulocken, übertrumpfte die Branche regelmäßig ihre Konkurrenten mit neuen Designs, größeren Rotorblättern, günstigeren Konditionen und günstigeren Preisen. Auf der anderen Seite läuft der öffentliche Sektor im Schneckentempo: Ganze 80 Gigawatt Windprojekte stecken derzeit in Genehmigungsverfahren fest. Und die daraus resultierenden Verzögerungen erweisen sich als lähmend, da sie die Projektentwicklung um mehrere Jahre verzögern können.

Inmitten all dessen kam es zu einem Ausbruch von COVID-19, die Lieferketten wurden unterbrochen, die Rohstoffpreise stiegen und die Inflation schoss in die Höhe. Infolgedessen stiegen die Preise für Windkraftanlagen in den letzten zwei Jahren um bis zu 40 Prozent.

Um das Ganze noch schlimmer zu machen, führen mehrere finanzschwache Regierungen jetzt auch Auktionen mit Negativgeboten durch, was zu zusätzlichen Kosten für eine ohnehin schon schwächelnde Branche führt. Und trotz wiederholter Aufrufe aus der Windindustrie, genau das Gegenteil zu tun, bieten jetzt mindestens vier Mitgliedsländer – Deutschland, Dänemark, die Niederlande und Litauen – Offshore-Windauktionen mit „negativen Geboten“ an, was bedeutet, dass Projektentwickler diese Regierungen für dieses Privileg bezahlen müssen beim Bau von Windparks. Deutschland hat auf diese Weise gerade 12,6 Milliarden Euro eingenommen, und zwar von niemand anderem als den zahlungskräftigen BP und Total Energies, die diese Kosten nun mit Sicherheit an die Lieferkette weitergeben werden – insbesondere an Windlieferanten, die sie sich am wenigsten leisten können.

Das Fazit ist, dass Wind „made in Europe“ aufgrund einer Mischung aus selbstverschuldeten und externen Faktoren mittlerweile einfach zu teuer, zu langsam und zu schwach ist, um Chinas mittlerweile ausgefeilte Taktik, zu der auch massive gezielte Subventionen gehören, in Angriff zu nehmen Gleichzeitig verdrängt sie die technologische Vormachtstellung und verdrängt gleichzeitig aktiv Wettbewerber aus dem Markt sowie Regierung und Unternehmen, die sowohl auf inländischen als auch auf ausländischen Märkten Hand in Hand zusammenarbeiten – und das in einem Tempo, das westliche Volkswirtschaften nicht gewohnt sind.

Und diese Bemühungen zahlen sich aus: Bereits neun der Top-15-Hersteller von Windkraftanlagen sind Chinesen.

Teilweise als Reaktion darauf – und in einem längst überfälligen Schritt – fügt die EU ihrem Net Zero Industry Act nun nicht-preisbezogene Kriterien hinzu, darunter beispielsweise Nachhaltigkeits- oder Systemintegrationsfaktoren. Allerdings bietet die Europäische Kommission in Kenntnis der fragilen Lage der Staatsfinanzen auch ein Opt-out an, falls diese Kriterien zu einer Preiserhöhung von über 10 Prozent führen. Wenn man also die Produktionskosten Europas mit denen Chinas vergleicht, ist die Sache klar.

Auch das kann jeder sehen: Chinas Umsätze in Europa steigen. Und während die EU selbst noch nicht stark durchdrungen ist, scheint es mit Blick auf die Peripherie nur eine Frage der Zeit: Von Serbien und der Türkei bis hin zur Ukraine sind Chinas Windkraftanlagen im Einsatz, entweder fertig installiert, im Bau oder in Planung.

Das bedeutet, dass die EU und ihre Mitgliedsländer zwar viel über die Aufrechterhaltung „europäischer Standards“ reden – einschließlich eines strengen Subventionssystems für staatliche Beihilfen und strenger Datenschutzbestimmungen –, aber zunehmend versucht sein werden, ihre Überzeugungen aufzugeben und billige, subventionierte Chinesen zu kaufen Technologie mit undurchsichtigen Wertschöpfungsketten und Standards, die in keiner Weise mit denen vergleichbar sind, die europäischen Unternehmen auferlegt werden. Bedenken Sie nur: Glauben wir wirklich, dass die 300 Sensoren, die an jeder Turbine angebracht sind und mit kritischer Infrastruktur verbunden sind, irgendwie immun gegen illegale Datenübertragungen oder mögliche Sabotage sind?

Ob aus wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer oder souveräner Sicht, die Widersprüche hier passen einfach nicht mehr zusammen – und die Ergebnisse sind auch bereits spürbar: schleichende Deindustrialisierung, sinkende Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe und schwindendes Investorenvertrauen.

Diese Trends werden auch durch „aufgeschobene Zahlungsoptionen“ beschleunigt, die chinesische Firmen Entwicklern anbieten und es ihnen ermöglichen, auf Zahlungen für Turbinen zu verzichten, bis ein Windpark in Betrieb ist, oder für drei Jahre nach der Bestellung. Es wäre für europäische Hersteller unmöglich – sogar illegal –, solche Angebote zu machen. Infolgedessen stoßen sie auf völlig ungleiche Wettbewerbsbedingungen, die die Welthandelsorganisation anscheinend nicht überwachen kann.

All dies führt zu einer übergeordneten Schlussfolgerung: Die Komplexität und Vielfalt der Herausforderungen, mit denen die europäische Windindustrie konfrontiert ist, kann und wird nicht ohne stärkere politische Intervention gelöst werden.

Zunächst einmal müssen diejenigen, die angeblich eine EU-Industriepolitik befürworten, dringend handeln. Dazu gehört auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die in ihrer diesjährigen Rede in Davos bekanntermaßen verkündete, dass „die Geschichte der Clean-Tech-Wirtschaft in Europa geschrieben wird“, gegenüber Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der nie müde wird fordert eine stärkere „strategische Autonomie“. Wie können sie mit gutem Gewissen zusehen, dass eine weitere Industrie, die ihren Ursprung in Europa hat – geschweige denn eine, die für die globale Energiewende so wichtig ist – an China verloren geht?

Daher sollten beide Staats- und Regierungschefs aus Gründen der Glaubwürdigkeit das einberufen, was die Deutschen eine nennen runder Tisch – ein runder Tisch, bei dem alle wichtigen Akteure der Wind-Wertschöpfungskette zusammenkommen, um eine tragfähige Lösung zu erarbeiten. Und sie sollten dies so schnell wie möglich tun und alle einladen, von Herstellern von Windkraftanlagen und wichtigen Ländern bis hin zu Versorgungsunternehmen, Projektentwicklern, politischen Entscheidungsträgern in der EU und öffentlichen Finanzinstitutionen wie der Europäischen Investitionsbank.

Diese Rettungsmission muss auch noch in der aktuellen Legislaturperiode in Angriff genommen werden – also lange vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024. Diese besondere „Industrie kann“ nicht bis 2025 oder darüber hinaus auf die lange Bank geschoben werden, da der Schaden bis dahin andauert kann durchaus irreparabel sein.

Darüber hinaus muss Wind auch ein zentraler Schwerpunkt des EU-US-Handels- und Technologierats werden. GE Renewables – Amerikas führender Hersteller von Windkraftanlagen – befindet sich nicht nur in einer ebenso schwierigen Lage wie seine europäischen Pendants, sondern die USA sind auch ein wichtiger Markt für europäische Hersteller. Eine stärkere Angleichung zwischen beiden Seiten des Atlantiks – beispielsweise durch aufkommende Pläne für einen Grünen Transatlantischen Marktplatz, zu dem die Interessenträger beispielsweise in diesem Herbst zum ersten Mal zusammenkommen werden – könnte der einzige Weg sein, um sicherzustellen, dass China nicht in einem weiteren Fall die Oberhand gewinnt Kerntechnologie.

Was die Solarenergie angeht, kann man Europa seine frühere Selbstgefälligkeit gegenüber Chinas schnellem Aufstieg entschuldigen. Doch mit der Windkraft läuft der Kontinent nun Gefahr, eine Branche zu verlieren, die rosige Aussichten auf eine grenzenlose Nachfrage in der Zukunft hat Und steht im Mittelpunkt jeder dringenden politischen Priorität, die die EU verfolgt – von Klima- und Energieresilienz bis hin zu Wettbewerbsfähigkeit und guten Arbeitsplätzen. Und dieses Mal wird es niemandem außer sich selbst die Schuld geben.


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