Es ist an der Zeit, die Zukunft der EU sicherheitstechnisch zu überprüfen – POLITICO

Botschafter Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz.

In vielen Ländern ist es gängige Praxis, alle neuen Richtlinien und Vorschriften sorgfältig auf ihre Auswirkungen auf den Klimawandel zu überprüfen. Von der Infrastrukturfinanzierung bis hin zur Handelsharmonisierung wird die Politik der Europäischen Union zunehmend einer „Klimaprüfung“ unterzogen. Dies ist angesichts der Ernsthaftigkeit der Bedrohung sinnvoll. Aber ein sich erwärmender Planet ist nicht die einzige existenzielle Herausforderung, vor der wir stehen.

Unsere Lebensweise und die Werte, auf denen unsere Demokratien aufgebaut sind, werden angegriffen. Während autokratische Herausforderer von Tag zu Tag mutiger werden, scheinen die Wächter unseres Ordens zurückhaltender zu werden. Aus diesem Grund braucht die EU einen neuen dedizierten Chief Security Officer, einen Beamten, dessen Aufgabe es wäre, alles, was der Block tut, „sicher zu machen“. Ihre einzige Aufgabe wäre es, zu prüfen, ob zentrale Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit bei der Formulierung, Verhandlung und letztendlich Umsetzung neuer Politiken ausreichend berücksichtigt wurden.

Das ist natürlich eine große Aufgabe. Es ist nicht nur die bloße Anzahl der zu berücksichtigenden Maßnahmen atemberaubend, sondern die Einführung einer neuen Bürokratie ist von Natur aus schwierig – und oft zutiefst unpopulär.

Wir müssen jedoch sicherstellen, dass alle neuen Richtlinien und Vorschriften zu unserer Sicherheit beitragen, anstatt sie zu schmälern, dass sie den Zusammenhalt unseres Bündnisses nicht schwächen oder die Kräfte des Illiberalismus stärken. Wir müssen auch sicherstellen, dass legitime Erwägungen in Bezug auf Besteuerung oder Wettbewerb nicht ebenso legitime Bedenken in Bezug auf Sicherheit oder Geopolitik verdrängen.

Ein naheliegender Ausgangspunkt ist die digitale Agenda Europas und damit auch die transatlantische Technologieagenda. Hier sind sowohl die Risiken als auch die Einsätze besonders hoch und die Notwendigkeit einer vernünftigen Politik, um Angriffen illiberaler Kräfte standzuhalten, besonders offensichtlich. Die Omnipräsenz von Cyber-Bedrohungen durchdringt die digitale Sphäre bis auf die Ebene der einzelnen Nutzer.

Im Bereich der Digitalpolitik drehte sich das bisherige Gespräch um den Schutz europäischer Werte und die Förderung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas im digitalen Raum. All diese Aspekte sind lohnenswert – aber darüber hinaus sollte ein Gespräch darüber geführt werden, wie die Sicherheit verbessert werden kann. Derzeit werden potenziell schädliche unbeabsichtigte Folgen noch zu oft unterschätzt – oder schlimmer noch, negative Folgen werden bewusst missachtet, um andere Ziele zu verfolgen.

Laut einer aktuellen Umfrage der Münchner Sicherheitskonferenz bleibt Sicherheit für die europäischen Bürgerinnen und Bürger oberste Priorität in der Digitalpolitik und sie erwarten von ihren Regierungen, dass sie entsprechende Prioritäten setzen. Die Priorität, die die Europäer der Sicherheit ihres digitalen Lebens einräumen, muss auch ein Blick auf Initiativen wie die Gesetze über digitale Dienste und digitale Märkte, die Vollendung des digitalen Binnenmarkts und die Stärkung der digitalen Landschaft Europas sein.

Das Ziel „Security by Design“ sollte nicht nur auf Technologieprodukte, sondern auch auf die Digital- und Datenpolitik übertragen werden. Dies bedeutet zumindest, die Politik von allen Seiten zu prüfen, um sicherzustellen, dass sie keine unbeabsichtigten Schlupflöcher und problematische Folgewirkungen schafft oder sogar die Angriffsfläche für diejenigen vergrößert, die die Integrität und Wertebasis liberaler Gesellschaften untergraben wollen.

Leider gibt es viele Beispiele aktueller EU-Politiken, die mit erheblichen und bislang ungelösten Sicherheitsrisiken verbunden sind. Sie reichen von der bewussten (und kontraproduktiven) Schwächung sicherer Ökosysteme bis hin zu unzureichenden Sicherheitsanforderungen für Überwachungs- und Datenerfassungssysteme, auf denen die meisten kritischen Infrastrukturen Europas betrieben werden.

Was offensichtlich benötigt wird, ist ein übergreifender Mechanismus innerhalb der Europäischen Kommission, um alle anhängigen und zukünftigen digitalen Rechtsvorschriften zu prüfen. Ein solcher Mechanismus könnte über das Amt des vorgeschlagenen europäischen Sicherheitsbeauftragten laufen, dessen ausdrückliche Aufgabe darin bestehen würde, die verschiedenen Zweige des europäischen Politikgestaltungsprozesses zu koordinieren, um sicherzustellen, dass das Sicherheitsziel bei der Entwicklung von Rechtsvorschriften eingehalten wird.

Mehrere Länder, darunter China, veröffentlichen stolz, wie sie Sicherheit bereits in ihre umfassendere Technologie- und Datenpolitik integrieren. Die EU muss ebenso wie ihre Mitgliedsländer sowohl auf nationaler als auch auf subnationaler Ebene nachziehen.

Eine EU, die die Sicherheit sorgfältig berücksichtigt, wird auch ein fähigerer Partner für die Vereinigten Staaten bei der Verfolgung einer robusten, demokratischen transatlantischen Agenda sein, die unsere Position in der Welt und die Werte, für die wir stehen, eher stärkt als untergräbt. Nur durch eine stärkere und kohärentere Sichtweise zur Sicherheit wird die EU diese Prioritäten vollumfänglich angehen und das Vertrauen der europäischen Nutzer gewinnen.

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