„Ein Mann der Integrität“, Rezension: Eine schlimme Diagnose für die iranische Gesellschaft

Inmitten des 2017 fertiggestellten Dramas „Ein Mann der Integrität“ des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof (Fertigstellung 2017, Premiere hier an diesem Freitag) trifft die Titelfigur eine Freundin in Teheran, eine Frau, deren Arbeit als Übersetzerin strengen staatlichen Beschränkungen ausgesetzt ist. Ihr Mann, ein Lehrer und Schriftsteller, ist ein politischer Gefangener, dem wegen seiner Schriften eine sechsjährige Haftstrafe droht. Das Paar wird in einer Weise unterdrückt, die Rasoulofs Situation heraufbeschwört: Seit 2010 wird er wiederholt festgenommen, ihm drohen ständig Haftstrafen für seine Arbeit und ein offizielles Filmverbot. Die Denunziation eines unterdrückerischen Regimes ist eine Tugend, aber keine per se künstlerische; Rasoulof erschafft eine Form – beinahe einen Anti-Stil – der schroffen Konfrontation, die seiner rechtschaffenen und gefährlichen Offenheit eine ästhetische Identität verleiht.

Rasoulofs Film „There Is No Evil“ aus dem Jahr 2020 entlarvte den Horror der Todesstrafe im Iran als moralische Krise auf persönlicher Ebene. „A Man of Integrity“ ist ein Drama kleptokratischer Korruption und zeigt den Iran als einen virtuellen Gangsterstaat, in dem die Straflosigkeit, die an der Spitze beginnt, das gesamte Establishment von Wirtschaft, Religion und Regierung durchdringt. Diese Korruption schadet den persönlichen Beziehungen und verzerrt das Weltbild und die innere Identität der Bürger des Landes. Das Palmfett und der kleinliche Handel des täglichen Lebens im Iran werden in den Vordergrund gerückt, wie in einem Röntgenbild der Innereien der Gesellschaft – eine kalte, schroffe und klinische Art, in der Rasoulof seine Wut eindämmt und vermittelt.

Dieser Protagonist, Reza (Reza Akhlaghirad), ist ungefähr dreißig. Er war vom College geflogen und dann wegen eines lächerlich unbedeutenden und privaten Protestes am Arbeitsplatz inhaftiert worden; dann floh er in eine kleine stadt, wo er heute eine fischfarm besitzt. Seine Frau Hadis (Soudabeh Beizaee) ist Rektorin einer Mädchenschule, und sie haben einen kleinen Sohn, Sahand, der aufgeweckt und mutig ist. Die Farm ist hoch verschuldet, und das Geschäft ist instabil. Ein Freund bei der örtlichen Bank schlägt sich als Mittelsmann für ein Programm vor, bei dem Reza das Management bestechen könnte, um seine Säumniszuschläge zu reduzieren. Mit solchen Schmuddelgeschäften will Reza nichts zu tun haben, obwohl er kein dogmatischer Gesetzeshüter ist, sondern einfach seinem Gewissen folgt; Er stellt heimlich hausgemachten Likör her, da Alkohol im Iran illegal ist. Als zwei Beamte der sogenannten Religionspolizei sein Haus betreten und nach Alkohol durchsuchen, schlägt ihre Anwesenheit einen paranoiden Ton an, in dem sich die aufdringlichen Normen der Strafverfolgung mit den Drohungen der Überwachung, Denunziation und Belästigung überschneiden.

Die Stadt wird von einer tentakelhaften Organisation beherrscht, die bedrohlicherweise nur Company genannt wird und Rezas Land übernehmen will. Dazu sperrt einer seiner Agenten das Wasser ab und bedroht Rezas Fisch. Als Reza das Wasser wieder aufdreht, wird er von einem Agenten namens Abbas geschlagen. Als Reza sich wehrt, wird er unter falschen Anschuldigungen festgenommen, Abbas Arm gebrochen zu haben – ein Polizeiarzt wird bestochen, um die Verletzung zu bestätigen. Damit Reza seinen Fall anhört, ist auch eine Bestechung erforderlich; Dann wird sein Wasser vergiftet und seine Fische werden getötet, aber die Versicherungsgesellschaft schreibt Reza ein Bestechungsgeld vor, damit er einen Anspruch geltend machen kann. Als er versucht, eine Beschwerde bei der lokalen Regierung einzureichen, weigert sich diese, das Unternehmen anzufechten. Ein Anwalt wird keine Klage in seinem Namen einreichen. Selbst Rezas Bemühungen, sein Land an die Company zu verkaufen, um seine Schulden zu bezahlen, scheitern angesichts der offiziellen Korruption. Unterdessen leidet die Familie sehr. Sahand wird in der Schule mit falschen Anschuldigungen konfrontiert. Reza wird von den Handlangern der Firma mit Gewalt bedroht. Hadis versucht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, mit katastrophalen Folgen, als sie monströse Geheimnisse aufdeckt. Die Beziehung des Paares gerät ins Wanken. Angesichts eines kafkaesken Albtraums aus verschlossenen Türen, Sackgassen und drohender Bedrohung verschreibt sich Reza einem rücksichtslosen Plan, der den Film in die hektischen Extreme eines Thrillers katapultiert.

Die Handlung von „Ein Mann der Integrität“ spiegelt Elemente von „Chinatown“ und Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ von 1810 wider: die private und öffentliche Manipulation von Wasserressourcen für korrupte Zwecke, beide Werke den Blick auf groteske patriarchalische Verbrechen, die von der geschützte Klasse von Unterdrückern und des Verbrechens selbst als einzige Zuflucht in einem hermetischen System der Selbstherrlichkeit. Rasoulof ist ein ausdrucksloser diagnostischer Realist, dessen wütender Blick natürliche Symbole aus der Handlung entlockt, wie in der existentiellen Leere der dicken weißen Umschläge, die als Zeichen der Macht über Tischplatten geschoben werden, oder in der Allgegenwart des Wassers selbst als Quelle des Lebens und a Lebensunterhalt, als verzweifeltes Bestreben, Körper und Seele von schmutzigen staatsbürgerlichen Machenschaften zu reinigen – oder als stinkender Sumpf aus Tod und Verfall. Sogar eine heiße Quelle in einer Höhle, Rezas fast metaphysischem Zufluchtsort für Trost und Kontemplation, muss zu einem Versteck für kaltblütige Machenschaften werden. (Akhlaghirads Auftritt fängt Rezas wachsende Verzweiflung ein, als der Blick des Schauspielers erstarrt und seine dunklen Augen in ihre Höhlen zu sinken scheinen.)

In Rasoulofs Film findet die Söldnerkorruption, die das intime Leben und die sozialen Beziehungen ausplündert, ihren Kern in der religiösen Autorität, in der ein Schüler von der Schule verwiesen oder eine Leiche vom Friedhof geworfen werden kann, weil er nicht der richtigen Religion angehört, und sich die politische Herrschaft verkleidet in einem unbestreitbaren höheren Gesetz. Rasoulofs Realismus ist im wörtlichen Sinne radikal: Er legt die Wurzeln der iranischen Gesellschaft offen und enthüllt ihre Gründungsprämisse als die allgegenwärtige Quelle von Ungerechtigkeit und Korruption. „A Man of Integrity“ ist sowohl ein Werk des politischen Trotzes als auch der künstlerischen Kühnheit. Der extreme Kontrast des Films zwischen den farblosen Oberflächen des täglichen Lebens und dem wahnsinnigen Druck der Umgebungsmacht, die sich darunter abzeichnet, verwandelt seine absolut realistischen Bilder in ruhig wütende Denunziationen, journalistische Enthüllungen und sogar wild desorientierende Halluzinationen. ♦

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