„Die kleine Meerjungfrau“ ist ein Märchen ohne genügend Fantasie

Märchen halten einer genaueren Prüfung in der Regel nicht stand. Man hört nicht die Geschichte von Dornröschen und denkt: Nun, das scheint alles logisch. Diese hauchdünnen Fabeln funktionieren, weil sie der Realität nur vage ähneln, was sie zu perfekten Themen für Disney-Cartoons macht. Aber das macht sie auch als Subjekte von Disney-„Live-Action“-Remakes schrecklich, die seit mehr als einem Jahrzehnt eine Geißel der Popkultur sind; Beliebte Kinderklassiker werden aus rein kapitalistischen Nostalgiegründen zu epischen Ausmaßen aufgebauscht. Das Neueste, was an Hollywoods Ufern angespült wird, ist Die kleine Meerjungfrauder den bezaubernden Film von 1989, der Disneys animierte „Renaissance“ einläutete, in ein Aquarium naturalistischen Fisch-Horrors verwandelt.

Eines der verwirrendsten Muster dieser „Live-Action“-Remakes (ich setze den Begriff nur in Anführungszeichen, weil diese Filme auf Unmengen von CGI basieren) ist die Entscheidung, jedes Cartoon-Tier in etwas wissenschaftlich Genaues zu verwandeln. Das Dschungelbuch sah einen vollständig verwirklichten Orang-Utan mit der Stimme von Christopher Walken sprechen; Der König der Löwen ähnelte einer Dokumentation von David Attenborough, die gelegentlich von Liedern von Elton John unterbrochen wurde. Die kleine Meerjungfrauhat natürlich mehr Fantasy-Elemente, da es sich auf eine Welt voller Unterwasser-Meermenschen konzentriert. Dennoch hat das den Regisseur Rob Marshall und sein Team aus visuellen Effektzauberern nicht davon abgehalten, Sebastian, die Krabbe (gesprochen von Daveed Diggs), als etwas darzustellen, das man im Supermarkt aus dem Aquarium pflücken könnte.

Was haben die Disney-Aktionäre bewirkt? Warum muss die arme Ariel (gespielt von Halle Bailey), die Meeresprinzessin mit dem Fischschwanz, ganze Gespräche mit einem ausdruckslos wirkenden Riffbarsch und einem Basstölpel mit großen Augen führen? Sie ist eine Meerjungfrau, um Himmels willen, deren Vater Triton (Javier Bardem) einen magischen Dreizack führt und einen königlichen Hof leitet, an dem sein Stellvertreter ein Orchesterkrabbe ist. Außerdem ist der gesamte Film ein Musical, ein Genre, in dem ekstatische künstlerische Wahrheit weitaus wichtiger ist als die Wasseranatomie. Nichts davon muss realistisch sein!

Disney und Marshall sind eindeutig anderer Meinung, und sie haben einen Grund dazu, denn diese Projekte (zu denen auch gehören Alice im Wunderland, MalefizUnd Aladdin) schneiden in der Regel sehr gut an den Kinokassen ab und überzeugen sowohl das junge Publikum als auch ihre Eltern, die mit den Originalen aufgewachsen sind. Doch das ganze Unterfangen ist zweischneidig: Wenn die Remakes brav ihre Vorgänger kopieren, wirken sie peinlich auswendig, aber kleine Änderungen oder zusätzliche Songs wirken wie träge Polster. Das neue Kleine Meerjungfrau Der Film ist irgendwie 135 Minuten lang, satte 52 Minuten länger als die schlanke Zeichentrickversion, aber er fügt der Mischung fast nichts Bemerkenswertes hinzu und verwendet die zusätzliche Zeit größtenteils für ausgedehnte Actionsequenzen und etwas mehr Handlungskontext.

Die Geschichte ist dieselbe bekannte Geschichte, lose inspiriert von Hans Christian Andersens viel düstererer Kurzgeschichte. Ariel sehnt sich danach, an der Oberfläche zu leben und sehnt sich nach dem schneidigen Prinz Eric (Jonah Hauer-King). Gegen den Willen ihres Vaters schließt sie einen Pakt mit der hinterhältigen Seehexe Ursula (einer lebhaften Melissa McCarthy), um auf Kosten ihrer Stimme ein Paar Beine zu bekommen, und versucht dann mit Hilfe ihrer fischfreudigen Freunde, Eric für sich zu gewinnen. Es gibt eine Spur mehr Charakterentwicklung, die Eric in einem weitgehend erfolglosen Versuch, ihn zu mehr als einem eindimensionalen Adonis zu machen, in die Quere kommt; Es wird klargestellt, dass Ursula Tritons verschmähte Schwester ist, was ihr eine Motivation gibt, die über reine Schurkerei hinausgeht (obwohl ihre Schurkerei recht offensichtlich bleibt).

Das größte Kapital des Films ist Bailey, der beim größten Hit der Filmmusik, „Part of Your World“, hervorragende Arbeit leistet. Alle anderen versuchen, sich aus dem CGI-Kram und der schmuddeligen Unterwasserbeleuchtung hervorzuheben, aber sie scheinen oft gegen nichts vorzugehen. Dem Film fehlen der Schwung und die leuchtenden Farben der Fassung von 1989. Der vermeintliche Showstopper „Under the Sea“ ist ein besonderes Verbrechen; Sebastians Ode an das Leben im Meer ist voll von detaillierten Darstellungen herumwackelnder Meeresbewohner, denen es jedoch nicht gestattet ist, mit ihm zu singen oder irgendetwas auch nur annähernd Niedliches oder Albernes zu tun. Als Sebastian im Original mit seiner „heißen Krustentierband“ prahlt, schneidet der Film zu einer Gruppe von Fischen, die Instrumente spielen. Hier wird den Zuschauern eine Prozession vorbeiziehender gesichtsloser Seesterne serviert. Ich kann mir nichts Passenderes für diese ganze trostlose Angelegenheit vorstellen.

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