Deutschlands neue Regierung wird die Verschlüsselung entschieden verteidigen, sagt ein wichtiger Sozialdemokrat – EURACTIV.de

Die nächste Bundesregierung will sich stärker für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und gegen die Einführung von Hintertüren aussprechen, sagte der Digitalpolitik-Experte der SPD, der das Digitalisierungskapitel des Koalitionsvertrags mitverhandelte, gegenüber EURACTIV in ein Interview.

Um gegen Kindesmissbrauch vorzugehen, wird derzeit auf EU-Ebene diskutiert, die Verschlüsselung zu schwächen und sogenannte „Backdoors“ einzuführen, die am häufigsten zur Absicherung des Fernzugriffs auf einen Computer eingesetzt werden. Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram, die bisher durch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt sind, könnten so nach Inhalten mit Kindesmissbrauch durchsucht werden.

Die deutschen Koalitionsverhandlungen hätten laut Jens Zimmermann „ganz klar“ gemacht, dass die kommende Regierung von SPD, Grünen und der wirtschaftsfreundlichen liberalen FDP „die Schwächung der Verschlüsselung, die unter dem versucht wird“, ablehnen dem Deckmantel des Kampfes gegen Kindesmissbrauch“ der Koalitionspartner.

Solche Regelungen, die beispielsweise bereits in der Zwischenlösung der ePrivacy-Verordnung verankert sind, widersprechen „dem Charakter des Koalitionsvertrags diametral“, weil dort eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gewährleistet sei, sagte Zimmermann.

Die Einführung von Hintertüren würde dieses Ziel des Koalitionsvertrags untergraben, fügte er hinzu.

„Was manchmal in der ePrivacy-Verordnung vorgeschlagen wird, geht weit über das hinaus, was wir uns in Bezug auf das Schwachstellenmanagement vorstellen“, sagte Zimmermann gegenüber EURACTIV und fügte hinzu, dass die Umsetzung „das aktive Schaffen von Schwachstellen bedeuten würde“.

Mitte Oktober warnten Sicherheitsexperten in einem Bericht, dass die Tools, mit denen Technologieunternehmen Hintertüren einführen, nicht nur enorme Sicherheitsrisiken bergen, sondern auch die Privatsphäre der Nutzer unverhältnismäßig beeinträchtigen würden.

„Es ist natürlich kein Zufall, dass wieder einmal das Vehikel des Kampfes gegen Kindesmissbrauch genutzt wird“, sagte er. Auf emotionaler Ebene sei dies „der größte Hebel, den man ziehen kann“. Die Befürworter einer Abschwächung der Verschlüsselung bringen vor allem den Kampf gegen Kindesmissbrauch als Argument an.

Dies sei der „völlig falsche Weg“ für die neue Koalition, mahnte der Digitalexperte und fügte hinzu, er gehe „bereits davon aus, dass sich Deutschland hier nun klarer positionieren wird“.

Digitalpolitik auf EU-Ebene

Zimmermann betonte zudem, dass die kommende Bundesregierung ihre Interessen deutlich stärker auf EU-Ebene vertreten werde. „Wir wollen eine europäische Digitalpolitik aus einem Guss“, sagte er gegenüber EURACTIV.

Bei den Koalitionsverhandlungen war man sich einig, dass „Deutschland beim Thema Digital in Europa eher eine abwartende Haltung einnimmt“.

Dies gelte laut Zimmermann vor allem für die großen EU-Dossiers wie das Digital Services Act oder das Digital Markets Act (DMA), in denen sich Deutschland als treibende Kraft nicht etabliert und in bestimmten Fragen isoliert habe.

Die neue Koalition habe sich damit auf das Ziel einer „kohärenten Digitalpolitik in Europa“ verständigt, sagte der SPD-Politiker. Dies bedeute nicht, dass diese Rechtsakte „von Grund auf neu aufgerollt“ würden.

Die nächste Regierung werde sich dafür einsetzen, dass die Regelungen zum DMA – mit dem die Marktmacht großer Digitalkonzerne eingeschränkt werden soll – nicht hinter dem Wettbewerbsbeschränkungsgesetz zurückbleiben, sagte Zimmermann ebenfalls.

In Bezug auf das Digital Services Act (DSA) sagte die Koalition, sie werde darauf drängen, „ein neues Gleichgewicht“ zwischen Bürgerrechten und Sicherheitsinteressen zu finden.

Der Koalitionsvertrag enthält die Hauptprioritäten der DSA. Dazu gehören das Eintreten für den Schutz der Kommunikationsfreiheiten, eine Stärkung der Nutzerrechte und der Zugang zu den Daten großer digitaler Unternehmen zu Forschungszwecken. Algorithmen von Tech-Unternehmen sollen besser überprüfbar gemacht und klarere Regeln für Desinformation geschaffen werden, heißt es in dem Abkommen weiter.

Auf nationaler Ebene

Das deutsche Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das einen ähnlichen Umfang wie das DSA der EU habe und als Vorbild gedient habe, sei im Land nicht unumstritten, so Zimmermann.

Die FDP hat sich im Bundestagswahlkampf für ihre Abschaffung eingesetzt, weil sie nach Ansicht der Liberalen Partei zu sehr in die bürgerlichen Freiheiten eingegriffen habe.

Zimmermann glaubt jedoch nicht, dass die Liberalen ihre Vorbehalte zum NetzDG in die Diskussionen um das DSA der EU einbringen würden.

„Es geht nicht mehr darum, symbolische Siege zu erringen, sondern wir müssen einfach sehen, dass wir am Ende eine gute Regelung bekommen“, sagte Zimmermann.

Deutsche Parteien vertreten widersprüchliche Ansichten zur digitalen Zukunft der EU

Die Digitalisierung ist eines der heißen Themen der bevorstehenden Bundestagswahl in Deutschland und die Parteien bieten unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Rolle Deutschland in der EU-Digitalpolitik spielen sollte und wie digitale Souveränität und strategische Autonomie gefördert werden können.

[Edited by Luca Bertuzzi/Zoran Radosavljevic]


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