Deutschland meistert den Umgang mit China auf einem schmalen Grat – EURACTIV.com

Der deutsche Balanceakt zwischen der Reduzierung des Risikos seiner politischen Beziehungen zu China und der Aufrechterhaltung starker Wirtschaftsbeziehungen wird eine der größten Herausforderungen für beide Länder bei den Regierungskonsultationen am Dienstag sein, so Claudia Schmucker, Leiterin des Zentrums für Geopolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Angelegenheiten Relations (DGAP) gegenüber EURACTIV.

Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag den chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang empfangen hat, treffen sich am Dienstag die Minister beider Länder, um die Zusammenarbeit in verschiedenen Fragen vom Klimaschutz bis zur Nachhaltigkeit zu vertiefen.

Der Ausgleich dieser unterschiedlichen Interessen sei einer der wesentlichen „Balanceakte“ der heutigen Beratungen, sagte Schmucker.

„Deutschland versucht hier wirklich, den Drahtseilakt zu vollziehen, sich nicht zu entkoppeln und das Risiko nicht zu sehr zu verringern, gleichzeitig aber starke Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten und sich stärker den Amerikanern zuzuwenden“, erklärte sie.

Während Deutschland seit den letzten persönlichen Konsultationen im Jahr 2018 einen deutlich kritischeren Ton gegenüber dem Ostriesen anschlägt, ist Europas größte Volkswirtschaft immer noch stark von China abhängig: Rund 45,1 % der Produkte mit hoher Importabhängigkeit stammen von dort.

Deutschland versuchte bereits, den Kreis zu schließen, als die Regierung letzte Woche ihre lang erwartete nationale Sicherheitsstrategie vorstellte. Scholz betonte, er wolle das Verhältnis zu China nicht entkoppeln, sondern lieber „Risiko reduzieren“ – und griff damit die China-Rede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im März auf.

Scholz hat jedoch noch nicht dargelegt, was dieser neue Ansatz bedeuten soll, da seine sozialdemokratische Partei immer noch mit einer Neuausrichtung ihrer Außenpolitik ringt.

Neue China-Strategie

China war bereits eines der umstrittensten Themen der nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands. Während die Veröffentlichung des Dokuments ursprünglich im November letzten Jahres geplant war, wurde es aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit Peking verschoben.

Die Unstimmigkeiten zwischen den Koalitionspartnern werden auch in der kommenden China-Strategie sichtbar. Ein erster Entwurf der Strategie wurde im November letzten Jahres durchgesickert und schlug einen konfrontativeren Ton an.

Der Strategieentwurf sieht beispielsweise einen Importstopp von Produkten aus chinesischen Regionen mit Menschenrechtsverletzungen und einen verpflichtenden Stresstest für Unternehmen hinsichtlich „China-spezifischer“ Risiken vor.

Das Durchsickern des Dokuments löste bereits Empörung bei der chinesischen Regierung aus, die das Dokument als „Erbe des Denkens des Kalten Krieges“ bezeichnete.

Besonders offen sind die Grünen, wenn es um China geht. Bei einem Treffen mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang kritisierte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock China offen für die Spannungen in der Taiwanstraße.

Sie forderte die Volksrepublik außerdem auf, „Russland davon zu überzeugen, seine Aggression in der Ukraine zu beenden“.

„Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrer aus dem Westen“, entgegnete Gang.

Doch während die von den Grünen geführten Außen- und Wirtschaftsministerien eine aggressivere Haltung gegenüber China einnahmen, ist Scholz‘ Sozialdemokratische Partei (SPD) in dieser Frage zerrissen.

Vor allem der rechte Flügel der SPD, der Seeheimer Kreis, griff die Grünen offen an und warnte in einem Positionspapier vor einer „eindimensionalen deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik gegenüber China“.

Diese eher tröstende Haltung der SPD gegenüber China zeigt sich auch in Peking. Als SPD-Parteichef Lars Klingbeil Anfang des Monats nach China reiste, um den Dialog mit der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) aufrechtzuerhalten, wurde er von Premierminister Li Qiang persönlich mit offenen Armen empfangen.

Li betonte die Hoffnung, dass „die SPD eine wichtige Rolle in Deutschland und Europa spielen wird“ – und betonte, dass die SPD als vernünftiger Partner in einer sonst eher chinakritischen Koalition gelte.

Exportkontrollen

Als Deutschlands größter Handelspartner und wichtiger Exportmarkt für die wertvolle Automobilindustrie wagt die SPD nicht, die Wirtschaftsbeziehungen zu gefährden, und ist weiterhin auf der Suche nach einer kohärenten Position in dieser Angelegenheit.

Allerdings kommen die Regierungskonsultationen am Dienstag auch zu einem entscheidenden Zeitpunkt für die EU, da die Kommission ihre Strategie zur Kontrolle von Investitionen und Exporten nach China vorschlagen wird.

Scholz erklärte bereits, er sei kein Fan solcher Maßnahmen, da es bereits genügend Regeln gäbe, um „die Sicherheit unserer Wirtschaft zu gewährleisten“.

Experten warnen mittlerweile vor einem möglichen deutschen Alleingang in Sachen China.

„Ich denke, dass wir in unseren Gesprächen oder in unseren Beziehungen zu China viel mehr europäischen Zusammenhalt brauchen müssen, als wir es derzeit haben. Deutschland wird hier oft Alleingänge vorgeworfen“, sagte der Experte Schmucker.

„Und dann können wir diesen Drahtseilakt vielleicht ein wenig erleichtern, wenn wir ihn in der Gruppe der 27 Länder machen“, schloss sie.

(Oliver Noyan | EURACTIV.de; Nick Alipour | EURACTIV.de)

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