Deutschland fordert verstärkte Frühtests zur Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit – EURACTIV.com

Deutschland habe bereits zahlreiche Initiativen zur Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit auf den Weg gebracht, müsse aber bei der Früherkennung, die für die zukünftige medizinische Behandlung unverzichtbar werden könnte, Nachholbedarf haben, sagten Forscher und Mediziner gegenüber EURACTIV.de.

Laut einem Bericht der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft leiden derzeit rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz, jährlich kommen etwa 300.000 Neuerkrankungen hinzu.

Aufgrund des demografischen Wandels und einer stetig alternden Gesellschaft soll die Zahl der Betroffenen bis 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen ansteigen, heißt es in dem Bericht.

Bisher konzentrierte sich der deutsche Demenzansatz vor allem darauf, die Symptome zu behandeln und den Betroffenen soziale und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Ein neues Medikament, das erstmals die Ursachen der Alzheimer-Erkrankung anspricht – die rund zwei Drittel aller Demenzfälle ausmacht – könnte neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, für die die Früherkennung jedoch nach wie vor entscheidend ist.

Der aktuelle Stand im Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit

Deutschland hat in den letzten Jahren eine Reihe von Initiativen gestartet, um sich auf die wachsende Zahl von Demenzkranken vorzubereiten.

Insbesondere mit der im Juli 2020 verabschiedeten Nationalen Demenzstrategie will die Bundesregierung die Lebenssituation von Demenzkranken nachhaltig verbessern und „zukunftsfähige Strukturen schaffen“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums gegenüber EURACTIV.

Die Strategie wurde in enger Zusammenarbeit mit mehr als 70 Stakeholdern entwickelt und ist „bundesweit angelegt, partnerschaftlich verankert, in ihren Zielen verbindlich und langfristig angelegt“, so der Sprecher weiter.

Insgesamt beinhaltet die Strategie 27 Ziele und mehr als 160 Maßnahmen, um die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Demenz zu sichern, Angehörige und Betroffene zu unterstützen und die medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen mit Demenz weiterzuentwickeln.

Darüber hinaus führt das Gesundheitsministerium ein jährliches Monitoring durch, um den Umsetzungsstand zu beurteilen und die Strategie anzupassen.

Auch bei der medizinischen Infrastruktur schneidet Deutschland gut ab und gehört „zu den Vorreitern Europas“, sagt Lutz Frölich, Leiter des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit.

Dies zeigt sich insbesondere im Vergleich mit anderen EU-Ländern. Laut einem Bericht von RAND gibt es in Deutschland derzeit rund 24 Demenzspezialisten pro 100.000 Einwohner, mehr als dreimal so viele wie in Frankreich und 30 % mehr als in Italien.

Aber gerade bei der Sensibilisierung muss, wie Frölich betonte, noch mehr getan werden.

„Die nationale Demenzstrategie in Deutschland konzentriert sich vor allem auf die Pflege von Demenzkranken“, sagte Frölich gegenüber EURACTIV und betonte, dass insbesondere auf „allgemeine Information der Bevölkerung über Früherkennung und Therapiechancen“ mehr Wert gelegt werden sollte.

Früherkennung und neue Behandlung

Die Früherkennung ist besonders wichtig für die Behandlung der Alzheimer-Krankheit.

„Es ist sicherlich das wichtigste und heißeste Thema überhaupt in der klinischen Alzheimer-Forschung“, sagte Frölich gegenüber EURACTIV.

Während Deutschland in der Früherkennung auf den Einsatz psychologischer Tests zur Feststellung des Ausmaßes und der Art der kognitiven Beeinträchtigung setzt, wurden insbesondere in den letzten zehn Jahren völlig neue Methoden zur Diagnose von Alzheimer entwickelt.

Während vor zehn Jahren der endgültige medizinische Nachweis der Alzheimer-Krankheit nur möglich war post mortem, so genannte Biomarker-Tests ermöglichen es nun, die für die Alzheimer-Krankheit verantwortlichen Proteine ​​– sogenannte Amyloid-Plaques – zuverlässig nachzuweisen und damit eine Diagnose schon vor Beginn einer Gedächtnisstörung zu ermöglichen.

In Deutschland werden diese Tests aufgrund der hohen Kosten jedoch derzeit nur in Ausnahmefällen durchgeführt. „Eine Früherkennung der Alzheimer-Demenz in Form von Screenings ohne Symptome wird aufgrund der noch unzureichenden therapeutischen Aussichten nicht als sinnvoll erachtet“, sagte das Gesundheitsministerium gegenüber EURACTIV.

Dies könnte sich mit neuen Behandlungsmethoden ändern, die eine frühere Erkennung ermöglichen als die derzeit in Deutschland verwendeten psychologischen Testverfahren.

Die medizinischen Möglichkeiten zur Behandlung von Alzheimer haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Konzentrierte sich die Behandlung in der Vergangenheit vor allem auf die Bekämpfung der Symptome, ermöglicht eine neue Impftherapie nun erstmals die Bekämpfung der Ursachen.

Obwohl das neue Medikament in der EU noch nicht zugelassen ist, sind die Wissenschaftler zuversichtlich:

„Eine Immunisierung gegen Amyloid sieht eigentlich nicht schlecht aus“, sagt Christian Haass, Professor für Biochemie am Biomedizinischen Zentrum der Universität München. Ihm zufolge haben mehrere Studien bereits den Abbau von Amyloid durch die Bildung von Antikörpern nachgewiesen.

Die größte Herausforderung bestand bisher darin, die Kostenträger davon zu überzeugen, dass die Biomarker-Diagnostik einen echten Mehrwert bietet.

Bei dieser neuen Immunisierungsmethode sei die Situation nun „paradigmatisch anders“, so Frölich, denn „der Nachweis der klinischen Relevanz der Biomarker-Diagnostik hängt von den Behandlungsmöglichkeiten ab“.

Allerdings hat diese neue Behandlungsmethode auch einen Haken: Um ihre volle Wirkung zu entfalten, müsste die Behandlung beginnen, bevor Symptome eines Gedächtnisverlustes auftreten.

„Im Moment ist das große Problem, dass die Impfung viel zu spät beginnt. Wir wissen, dass die Krankheit gut 20 Jahre bevor der Arzt Gedächtnissymptome erkennt, beginnt und das Gehirn bereits irreversibel schädigt“, sagte Haass gegenüber EURACTIV und betonte die „dringende Notwendigkeit zuverlässiger Tests zur Früherkennung“.

Herausforderungen für die Infrastruktur

Sollte eine Impftherapie gegen Alzheimer in der EU zugelassen werden, stünde das medizinische Versorgungssystem vor enormen Herausforderungen, sowohl bei der Biomarker-Diagnostik, die viel breiter und früher beginnen müsste, als auch bei der Impfbehandlung selbst.

Behandlung und Diagnose sind teuer, was die Frage aufwirft, wer die Kosten trägt.

Die Impfbehandlungsmethode wird auf rund 48.000 € pro Person geschätzt. Inzwischen kosten die Biomarker-Tests je nach Methode zwischen 1.500 und 4.000 Euro. Da Tests weit verbreitet sein müssen, um die Krankheit zu erkennen, bevor Symptome auftreten, würde dies enorme Summen ausmachen.

Darüber hinaus fehlen vielen Neurologen die notwendigen Fähigkeiten, um die für die Diagnose erforderliche Lumbalpunktion über die Biomarker-Tests durchzuführen, was deren Kapazität verringert, diese flächendeckend zur Verfügung zu stellen.

Abhilfe könnte jedoch eine weitere medizinische Innovation schaffen, denn nun lassen sich Biomarker auch im Blut nachweisen, was nicht nur die Diagnose erheblich erleichtern, sondern auch zur Kostensenkung beitragen würde.

Bluttests fehlen zwar noch „die klinisch breit angelegten Untersuchungen“, sagte Frölich, doch könnten die Tests insbesondere für die Früherkennung eingesetzt werden.

„Momentan werden noch nicht alle Diagnosen auf Blutuntersuchungen basieren, aber man kann Menschen im Vorfeld screenen und muss nur bei etwa 20 % die komplexere Diagnostik durchführen“, erklärt Frölich.

Auch für die neue Impftherapie selbst müssen neue Strategien entwickelt werden, um die Versorgung von Alzheimer-Patienten sicherzustellen, da betroffene Patienten über mehrere Monate mit intravenösen Infusionen versorgt werden müssten. Außerdem muss der Verlauf der Infusion mittels MRT-Untersuchungen überwacht und auf Nebenwirkungen getestet werden.

Um dem deutschen Gesundheitssystem bei der Bewältigung des gestiegenen Aufwands zu helfen, müssen neue Kooperationsmodelle entwickelt werden, in denen Krankenhäuser, Dialysezentren, Hausärzte und Gedächtnisambulanzen eng zusammenarbeiten.

„Dann hätten wir eine Arbeitsteilung, die niemanden überfordert, aber dennoch mehr Patienten durchläuft“, sagte Frölich.

Obwohl diese Zusammenarbeit viel Kommunikation erforderte, „sollte man die Innovationskraft der medizinischen Kollegen nicht unterschätzen“, sagte er. „Es ist keine Hexerei“.

[Edited by Frédéric Simon]


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