Deutschland bei EU-Strommarktreform auf Kollisionskurs mit Frankreich und Spanien – EURACTIV.de

Drei Wochen bevor die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Reform des EU-Strommarkts vorlegt, wird die Position Deutschlands noch konkretisiert, aber erste Anzeichen deuten bereits auf eine Auseinandersetzung mit Reformländern wie Frankreich und Spanien hin.

Die Kommission bereitet derzeit eine Überprüfung der EU-Strommarktregeln vor und argumentiert, dass der EU-Strommarkt „nicht mehr funktioniert“ und an die „neuen Realitäten dominanter erneuerbarer Energien“ und höherer Gaspreise angepasst werden muss.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Reform zur Priorität gemacht, ein konkreter Vorschlag wird für den 14. März erwartet.

Doch während Frankreich und Spanien auf Reformen drängen, Deutschland hat sich entschieden, den Status quo zu verteidigen.

Laut Berlin ist der Strompreisanstieg im Jahr 2022 auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen, die durch sinkende Gaslieferungen aus Russland verursacht wurden, und nicht auf ein fehlerhaftes Marktdesign.

„Europa hat einen der am besten funktionierenden Strommärkte der Welt“, sagte Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

„Wir müssen das Erreichte bewahren und gleichzeitig den Markt zukunftsfähig machen“, fügte er am Montag (20.02.) im Rahmen einer Veranstaltung in Berlin zum Auftakt einer bundesweiten Konsultation zur Reform hinzu.

In einer Rede vor Energie-CEOs, -Experten und -Thinktankern in Berlin hob Habeck die Rolle Deutschlands als „Herzkammer“ des europäischen Strommarkts hervor, bevor er die Reformprioritäten des Landes darlegte.

Priorität Nummer eins des neuen Marktdesigns wird es sein, ausreichende Anreize für Investitionen in Erneuerbare Energien zu schaffen. „Wie werden Erneuerbare finanziert?“ Habeck fragte und fügte hinzu, dass es für Deutschland von größter Bedeutung sein werde, dass „niedrige Preise“ an die Verbraucher weitergegeben werden.

Zweitens strebt Berlin an, jederzeit genügend flexible Stromerzeugungskapazitäten zur Verfügung zu haben, um die Versorgung mit fluktuierenden erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Hier dürften Anlagen, die Wasserstoff und Gas verbrennen, eine Schlüsselrolle spielen, wies er darauf hin, dass Deutschland „ungefähr 20 %“ der Stromerzeugungskapazität des Landes benötigen würde, um „Moleküle zu verbrennen“.

Drittens sollte das Design darauf hinarbeiten, eine größere Flexibilität auf der Stromnachfrageseite zu erreichen, eine Herausforderung, die Habeck als „dem Elefanten das Tanzen beibringen“ bezeichnete. Viertens sollte die Stromerzeugung zunehmend lokal angegangen werden, sagte er.

Deutschland, ein riesiges Land, besteht aus einer einzigen Strompreiszone, in der Südstaatler in Bayern oft Windstrom aus der Nordsee verbrauchen.

Andere große Länder wie Schweden haben mindestens sechs Preiszonen, in denen Bieter auf dem Day-Ahead-Markt kaufen und verkaufen, um Preise innerhalb der Zone festzulegen. Doch in Deutschland könnte eine Aufteilung der Gebotszonen weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen auf den fleißigen Süden haben und wird bisher aus politischen Gründen abgelehnt.

Die Bundesregierung muss also einen Weg finden, den Strom vor Ort zu produzieren, sonst ist sie gezwungen, die Gebotszonen aufzuteilen, wie von der EU-Agentur ACER im Jahr 2022 vorgeschlagen.

„Die Europäische Kommission hat angekündigt, spätestens im Jahr 2024 selbst Vorschläge zu Strompreiszonen vorzulegen“, warnte Habeck und wies auf die Dringlichkeit hin, in dieser Angelegenheit voranzukommen.

Diese Herausforderungen werden Experten auf einer Stakeholder-Plattform für ein „klimaneutrales Stromsystem“ diskutieren, die ab sofort ihre Arbeit aufnehmen wird. Ihre ersten Schlussfolgerungen werden im Sommer 2023 erwartet, gefolgt von einem Winterbericht.

Am Ende dieses Prozesses wird Deutschland offiziell zur EU-Strommarktreform Stellung nehmen.

Für Brüssel und Reformländer wie Frankreich, Spanien und Griechenland, die alle einen Abschluss der Reform noch vor der Europawahl im Frühjahr nächsten Jahres wollen, könnte dies jedoch zu spät sein.

Luxemburg unterstützt den deutschen Ansatz

Deutschlands vorsichtiger Ansatz wird von sechs weiteren Ländern unterstützt – Dänemark, Estland, Finnland, Luxemburg, Lettland und den Niederlanden.

Letzte Woche schickten sie einen Brief an die Europäische Kommission, in dem sie forderten, die Strommarktreform „zielgerichtet“ zu gestalten und sich auf Maßnahmen zu konzentrieren, die den grünen Übergang ermöglichen und erschwingliche Energie für die Verbraucher sicherstellen.

Claude Turmes, Energieminister von Luxemburg, warnte die Versammlung in Berlin, dass Deutschland am Ende in Brüssel überstimmt werden könnte, wenn es keine Allianzen mit gleichgesinnten EU-Ländern bilde.

So haben Frankreich und Spanien im vergangenen Jahr eine Mehrheit von mindestens 15 Ländern versammelt, die Deutschland keine andere Wahl gelassen haben, als sich auf eine EU-weite Preisobergrenze für Gas zu einigen.

„Wenn wir nicht taktisch und gut sind, ist es relativ wahrscheinlich, dass das Bündnis der Gaspreisobergrenze jetzt in der Marktdesigndiskussion eins zu eins ausgespielt wird“, warnte Turmes das Berliner Publikum.

Turmes bezeichnete die französische Energiedebatte weiter als „absurd“ und „unbeschreiblich“. In der französischen Nationalversammlung wolle ein beträchtlicher Teil der politischen Klasse das Land aus dem europäischen Strommarkt herausnehmen, obwohl es im vergangenen Jahr ohne Importe aus den EU-Nachbarländern „ein Blackout“ gegeben hätte, sagte er.

Frankreichs marode Atomflotte war 2022 fast die Hälfte der Zeit vom Netz und machte das Land damit erstmals seit 42 Jahren wieder zum Netto-Stromimporteur. Und Spanien, wo die Erneuerbaren dominieren, drängt ebenfalls auf eine grundlegende Reform.

„Spanien ist auch ziemlich komisch, vielleicht ist es noch zu retten, weil die Stiftungen hier das tun, was Sie hier tun“, nämlich auf erneuerbare Energien setzen, sagte der luxemburgische Energieminister. „Aber sie sind in einer politisch seltsamen Situation, weil sie im Oktober Wahlen haben“, erklärte er.

Angesichts dieser Widerstände rief Turmes seine deutschen Nachbarn um Hilfe. Nötig sei „Deutschlands Feuerkraft – nicht nur der Regierung, sondern aller versammelten Akteure“, um Druck auf von der Leyen auszuüben.

Die Stimmung in dem Raum, in dem Energieakteure ihre Wünsche an die Regierung übermittelten, war scheinbar kämpferisch.

„Sie müssen Ihre Sachen ins Englische übersetzen, zumindest Zusammenfassungen machen und dann wirklich nach Spanien, nach Griechenland pitchen“, riet Turmes den Anwesenden. „Glücklicherweise haben wir das Baltikum, sie sind relativ auf unserer Seite“, fügte er hinzu.

Viele lobten die Bundesregierung dafür, dass sie das „Merit-Order-Prinzip“ verteidigt, wonach die Strompreise vom letzten teuersten verfügbaren Kraftwerk bestimmt werden – das heutzutage eher mit Gas betrieben wird.

Dieser Preismechanismus wurde von Reformländern wie Spanien und Frankreich für Preisspitzen verantwortlich gemacht, die das System als „absurd“ bezeichneten, weil es die Preisfestsetzung von fossilen Brennstoffen wie Kohle und Gas diktieren lässt.

Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel erinnerte die Teilnehmer der Veranstaltung des Bundesministeriums daran, dass solide Daten erforderlich seien, „um den Rest Europas davon zu überzeugen“, das in Berlin so geschätzte Strommarktdesign beizubehalten.

[Edited by Frédéric Simon]


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