Bundesregierung streitet um Sicherheitsstrategie – POLITICO

BERLIN – Deutschlands erste Nationale Sicherheitsstrategie sollte eine einheitlichere Außenpolitik schaffen. Bisher hat sie vor allem Streitereien und Revierkämpfe unter den Koalitionspartnern entfacht.

Rund ein Jahr, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz das angekündigt hatte Zeitwende Umbruch in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik hatte seine Regierung geplant, die ehrgeizige Strategie in diesem Monat auf der Münchner Sicherheitskonferenz in der bayerischen Landeshauptstadt vorzustellen. Doch dieser Plan ist nun so gut wie tot, da sich die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP von Scholz nicht auf das Kleingedruckte des Dokuments einigen kann.

Im Mittelpunkt der Debatte steht ein heftiger Streit zwischen Scholz und der Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock darüber, wer in der deutschen Außenpolitik den Ton angeben soll.

Beide Politiker haben sich in den ersten 13 Monaten der neuen deutschen Regierung immer wieder über Themen wie Waffenlieferungen an die Ukraine und das richtige Vorgehen gegenüber China gestritten, aber jetzt zerreißt ihr Spucke eine entscheidende institutionelle Frage: Wohin soll eine Schlüsselkomponente der Sicherheit? Strategie – ein neuer Ausschuss zur Straffung der außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen verschiedener deutscher Ministerien, genannt Nationaler Sicherheitsrat – seinen Sitz nehmen?

Für Scholz und seine SPD ist die Antwort klar: „Der Nationale Sicherheitsrat kann nur im Kanzleramt angesiedelt werden, das sollte allen klar sein“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Sozialdemokrat Michael Roth, gegenüber POLITICO.

Baerbock und ihre Grünen dagegen schlagen heftig zurück. Sie sehen eine Machtübernahme durch das Kanzleramt, das bereits unter der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel entscheidende Entscheidungsbefugnisse etwa in der EU-Politik übernommen hatte.

Zwar räumen hochrangige Grüne ein, dass das Büro von Scholz im geplanten Sicherheitsrat eine wichtige Rolle spielen muss, wollen aber vermeiden, dass die SPD plant, den Rat als ganz neue Abteilung im Kanzleramt einzurichten, mit einer größeren Personalbasis und unter Führung des Kanzleramts mächtige rechte Hand, Wolfgang Schmidt.

„Die SPD will ein Schattenaußenministerium im Kanzleramt einrichten. Das wird bei uns nicht passieren“, sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen, Jürgen Trittin, gegenüber POLITICO.

Die Grünen haben stattdessen vorgeschlagen, den Sicherheitsrat schlanker aufzubauen, mit nur einem kleinen Sekretariat und einer wechselnden Führungsstruktur, die zwischen dem Kanzleramt und Schlüsselministerien wie Außen-, Verteidigungs- oder Innenministerium rotieren soll. Mehrere Verhandlungsrunden in den vergangenen Wochen zwischen hochrangigen Beamten – und auch Scholz und Baerbock direkt – führten jedoch bisher zu keinem Kompromiss.

Die Meinungsverschiedenheiten verzögern auch eine mit Spannung erwartete China-Strategie, die der Nationalen Sicherheitsstrategie folgen soll, aber auch von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungsparteien geplagt wird. Beide Strategien sollen öffentlich zugänglich sein, sobald sie vereinbart sind.

Hardpower versus Softpower

Der dritte Koalitionspartner, die FDP, fordert bereits Sozialdemokraten und Grüne zu einer raschen Einigung in ihrem Revierkampf auf. „Wir müssen einen entscheidenden Schritt hin zu einer besseren Abstimmung unserer Außenpolitik gehen“, sagte der außenpolitische Sprecher der FDP, Alexander Graf Lambsdorff, gegenüber POLITICO. „Wir sollten uns nicht in Eifersüchteleien verlieren, sondern mutig entscheiden.“

Doch selbst wenn eine Einigung über die Führung des Sicherheitsrates erzielt werden kann, gibt es andere strittige Punkte, die die Annahme der umfassenderen Nationalen Sicherheitsstrategie aufhalten.

Deutschland ist auf Kurs, das NATO-Ausgabenziel von mindestens 2 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung zu verfehlen | Sean Gallup/Getty Images

Ein zentrales Thema sind die deutschen Militärausgaben: Während die SPD das Nato-Ziel von mindestens zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung in der Strategie verankern will, wollen Baerbock und ihre Grünen mehr Flexibilität schaffen, da die Verteidigungsausgaben über die Jahre schwanken können. Dieser Ansatz wird auch von der Erkenntnis angetrieben, dass Deutschland auf dem besten Weg ist, das 2-Prozent-Ziel in diesem und im nächsten Jahr zu verfehlen, trotz eines massiven 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds für militärische Aufrüstung, während Beamte hoffen, dass Berlin über 2 Prozent dafür ausgeben wird folgenden Jahren.

Von der SPD betonte Roth jedoch, es sei „wichtig, in der Sicherheitsstrategie ein klares Ziel“ für die Verteidigungsausgaben zu setzen.

Noch heftiger diskutiert wird jedoch die Forderung der Grünen, auch die Ausgaben für Soft-Power-Maßnahmen – etwa Entwicklungs- und humanitäre Hilfe, Krisenprävention, diplomatisches und kulturelles Engagement – ​​in ähnlichem Umfang wie den Verteidigungshaushalt zu erhöhen. Merle Spellerberg, eine grüne Außen- und Sicherheitspolitikerin, argumentierte, dass die Regierungsparteien bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hätten, dass solche Zivilausgaben „im Verhältnis 1:1 gegenüber der Erhöhung der Verteidigungsausgaben wachsen sollten“.

Auch der außenpolitische Sprecher der Grünen, Trittin, beharrte auf diesem Thema: „Für uns Grüne ist das ein Kernpunkt, der eine integrierte Sicherheitsstrategie ausmacht.“

Eine solche gemeinsame Erhöhung der Verteidigungs- und zivilen Außenpolitikausgaben ist jedoch problematisch für die FDP und ihren Finanzminister Christian Lindner, der sich verpflichtet hat, die öffentlichen Ausgaben zu zügeln und die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse Deutschlands zu respektieren. Lambsdorff von der FDP sagte, während die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP angehoben werden müssten, sollten die Zivilausgaben nur die Hälfte betragen, mit „0,7 Prozent für Entwicklung und 0,3 Prozent für Diplomatie“.

Katastrophenmanagement

Nicht zuletzt streiten sich der Bund und die 16 Bundesländer in Fragen der inneren Sicherheit, insbesondere wenn es um die Zuständigkeit für Katastrophenmanagement und -prävention geht.

„Die Innenminister unserer Länder hätten sich aktiver einbringen können“, sagte Katja Leikert, Abgeordnete der größten Oppositionspartei CDU.

Ein Regierungssprecher sagte vergangene Woche, die Beratungen zur Nationalen Sicherheitsstrategie „laufen noch und werden fortgesetzt“, und versuchte, die Machtkämpfe der Koalitionspartner, insbesondere zwischen Scholz und Baerbock, herunterzuspielen. „Wir arbeiten eng und vertrauensvoll mit der Bundesregierung zusammen“, sagte der Sprecher und fügte hinzu, dass die Nationale Sicherheitsstrategie bis Ende März fertiggestellt werden solle.

Derweil droht bereits der nächste Konflikt um die darauffolgende China-Strategie. Einige am Entwurfsprozess Beteiligte sagen, das Kanzleramt versuche, den Strategieentwurf des Auswärtigen Amtes zu verwässern, aus Sorge, die von Peking ausgehenden Risiken und Probleme alle zu nennen zu offen.

Die Debatte habe aber auch etwas Positives, argumentierte Roth von der SPD. „Ich bin froh, dass wir endlich intensiv über Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren – bisher war das in Deutschland eher arbeitsmarkt- oder sozialpolitisch der Fall“, sagte er.

„Jetzt beschäftigen sich Politik und Gesellschaft sehr intensiv mit diesem Thema. Das führt mitunter zu inhaltlichen Auseinandersetzungen und Kontroversen“, so Roth weiter. “Das ist gut. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine vernünftige Lösung finden werden.“


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