Berlins eigener Versuch, den Strommarkt zu reformieren, scheitert – EURACTIV.com

Während die Energiemarktreform der EU auf die Ziellinie zusteuert, gerät der gleichzeitige Prozess in Deutschland ins Wanken, da die Regierung zögert, politisch sensible Themen anzusprechen.

Die Europäische Kommission hat im März dieses Jahres Vorschläge zur Reform des Strommarktes der Union vorgelegt, um den steigenden Preisen entgegenzuwirken, die die Verbraucher nach der russischen Invasion in der Ukraine trafen.

Aber während Brüssel ist fast fertig, das „Herz“ des europäischen Energiesystems – Deutschland – arbeitet noch immer an seiner eigenen Reform.

„Im Zusammenspiel der nationalen und europäischen Debatte zur Reform des Strommarktdesigns verfolgen wir einen zweistufigen Ansatz“, sagte ein Regierungssprecher gegenüber Euractiv.

Während es bei der EU-Reform darum geht, „Lehren aus der Krise zu ziehen und Verbraucher besser vor Preisschocks zu schützen“, beschäftige sich die deutsche Initiative mit „langfristigen Fragen“, erklärte der Sprecher.

Die im Februar 2023 ins Leben gerufene deutsche „Plattform für ein klimaneutrales Stromsystem“, kurz PKNS, hatte den Auftrag, ein Strommarktdesign zu entwickeln, das 100 % erneuerbare Energien berücksichtigt.

Die Plattform umfasst vier verschiedene Arbeitsabläufe: Sicherstellung der Finanzierung zusätzlicher erneuerbarer Energien, Steigerung der Flexibilität auf der Nachfrageseite, Finanzierung von Ersatzkraftwerken zur Deckung der Nachfrage, wenn erneuerbare Energien offline sind, und Verwaltung „lokaler Signale“, um sicherzustellen, dass Strom dorthin transportiert wird erforderlich.

Nach monatelanger Arbeit sind die verschiedenen Foren, die an dem Design arbeiten, zur Hälfte fertig. Die Ergebnisse seien „eine wichtige Grundlage für die politische Weichenstellung in Deutschland und Europa“, so das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schrieb auf seiner Website.

Doch mit fortschreitender Arbeit wird die Kritik immer lauter. „Wir diskutieren seit einem halben Jahr und ich denke, dass es in der Energiebranche durchaus einen gewissen Unmut über die Fortschritte gibt“, sagte Christoph Neumann vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT in einer Stellungnahme vom 12. September.

Einige sind der Meinung, dass die Maßnahme den breiteren EU-Kontext außer Acht lässt, während andere besorgt sind, dass die Regierung sich weigert, sensible Themen wie die Aufteilung der einheitlichen deutschen Stromgebotszone anzugehen, die viele als ineffizient anprangern.

Deutschland könne nur in enger Zusammenarbeit mit EU-Partnern ein klimaneutrales Energiesystem erreichen, und „meiner Meinung nach sollte dies in der Arbeit der PKNS noch stärker berücksichtigt werden“, erklärte Konrad Stockmeier, ein liberaler Abgeordneter der PKNS Die Freiheitliche Partei (FDP), der Juniorpartner der deutschen Dreierregierung.

„Nationale Alleingänge sind ineffizient und zu teuer“, sagte er gegenüber Euractiv.

Auch die Elektrizitätswirtschaft monierte, dass die europäische Dimension der laufenden Diskussionen „schwer zu erkennen“ sei, heißt es Handelsblatt, welche zitierte ein internes Memo des Energieverbandes VKI. Mehrere andere Interessenvertreter forderten unterdessen Änderungen am Format und eine Beschleunigung der Diskussionen.

Der Prozess verläuft im Schneckentempo

Zu Beginn schien Deutschland Brüssel weit voraus zu sein. Die Entwicklung eines neuen Strommarktdesigns war bereits Ende 2021 ein erklärtes Ziel der neuen Regierung, lange bevor die Energiekrise dazu führte EU-Reformvorschlag im März 2023.

Da sich die deutsche Initiative jedoch um mehr als ein Jahr verzögerte, begannen die Diskussionen nur wenige Wochen bevor die Europäische Kommission ihren Plan vorlegte – zu spät, um sich sinnvoll zum EU-Reformprozess zu äußern.

Für viele Beteiligten besteht die Gefahr, dass die Diskussionen in Berlin bedeutungslos werden, wenn sie nicht in Brüssel ihren Niederschlag finden.

„Jede Änderung des deutschen Strommarktdesigns muss entweder bereits auf europäischer Ebene beginnen oder zumindest EU-kompatibel gestaltet werden“, mahnte der Energiewirtschaftsverband BDEW im März.

Dennoch glauben nur wenige, dass die in Brüssel angedachten Veränderungen den künftigen Bedürfnissen Deutschlands entsprechen werden – was bedeutet, dass die Europäische Kommission bald gezwungen sein wird, wieder ans Reißbrett zu gehen.

„Eine große Strommarktreform wird, so hoffe ich, eines der Flaggschiffprojekte der neuen EU-Kommission sein“, sagte Michael Bloss, ein grüner EU-Gesetzgeber aus Deutschland, der für seine Partei die laufende EU-Reform verhandelt. Er ist auch einer der Ansprechpartner Berlins bei den EU-Verhandlungen.

In Brüssel war die Energieabteilung der Kommission nie besonders begeistert von der Aussicht, die Interessen von 27 verschiedenen Ländern mit völlig unterschiedlichen Energiemixen noch einmal durchrechnen zu müssen. Als die Energiepreise im Sommer 2021 zu steigen begannen, widersetzte sich Brüssel zunächst den Forderungen Frankreichs und Spaniens, die Strom- und Gasmärkte zu entkoppeln, und skizzierte stattdessen einen „Werkzeugkasten“ mit Maßnahmen, die den EU-Mitgliedstaaten zur Bewältigung der Krise zur Verfügung stehen.

Möglicherweise müssen sie so oder so loslegen. „Der EU-Kontext ist die Ausströmung und Verschmelzung politischer Prozesse aus den Mitgliedstaaten“, betonte Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD, der größten Partei der Bundesregierung.

Andere weisen die Kritik gänzlich zurück. „Der EU-Kontext wurde in der Arbeit der PKNS immer prominent berücksichtigt und berücksichtigt“, sagte Ingrid Nestle im Namen der Grünen, der zweitgrößten Regierungspartei nach den Sozialdemokraten.

„Die Bundesregierung setzt sich in den zuständigen Ratsgremien in Brüssel kontinuierlich für einen EU-Rechtsrahmen ein, der ein umweltverträgliches, bezahlbares und sicheres Stromsystem gewährleistet“, heißt es im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Sensible Themen werden außen vor gelassen

Für alle Regionen in Deutschland gilt der gleiche Strompreis, der in einer einzigen Großhandelsgebotszone gebildet wird.

In der Praxis wird erneuerbarer Strom aus dem Norden in den Süden übertragen, wo sich Schlüsselindustrien befinden. Dies ist jedoch kostspielig, da der Preis die Netzengpässe in wohlhabenden südlichen Regionen wie Bayern, das sich heftig gegen den Bau neuer Stromleitungen auf seinem Territorium wehrt, nicht angemessen widerspiegelt.

Derzeit wird eine Überprüfung der Situation durchgeführt. Die Entscheidungen wurden jedoch stark politisiert, wobei die Fronten gezogen wurden, da die norddeutschen Bundesländer auf differenzierten Strompreisen in ganz Deutschland bestehen, während der Süden diese Idee ablehnt.

„Bayern fordert konkret den Fortbestand der einheitlichen Stromgebotszone und setzt sich auch im Rahmen des PKNS-Verfahrens dafür ein“, sagte ein Sprecher des bayerischen Landes gegenüber Euractiv.

Teilnehmer berichten, dass die deutsche Debattenplattform das Thema bisher kaum angesprochen hat, was mit der Zurückhaltung der Regierung bei der Auseinandersetzung mit diesem politisch sensiblen Thema einhergeht.

Ein weiteres heikles Thema betrifft Gaskraftwerke, die als Ersatz für erneuerbare Energien benötigt werden, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht.

Ob 20 oder 40 GW Kapazität benötigt werden, könnte eines der Themen sein, über die sich die Plattform äußern wird – wobei sich die Industrie darüber beschwert, dass die Regierung die versprochene erste Ausschreibung für Ersatzkraftwerke noch nicht abgegeben hat.

Weitere Beschwerden beziehen sich auf die Geschwindigkeit der Diskussionen. Der BDEW warnt, dass „die Zeit knapp wird“, um die Reform zu verabschieden.

Befürchtungen, dass sich eine tiefgreifende Sanierung des deutschen Strommarktes über das Jahr 2030 hinaus verzögern könnte, weist der Grünen-Abgeordnete Nestlé zurück: „Ich gehe fest davon aus, dass die Umsetzung nicht auf die Zeit nach 2030 verschoben wird.“

Auch Forscher wie Lena Kitzing, außerordentliche Professorin an der Dänischen Technischen Universität, die an den Diskussionen teilnimmt, teilen diese Bedenken nicht.

„Prozesse wie die Gestaltung eines klimaneutralen Strommarktes brauchen Zeit“, sagte sie gegenüber Euractiv. „Während ein schneller grüner Übergang wichtig ist, ist es auch wichtig, dass wir es richtig machen“, fügte sie hinzu.

[Edited by Frédéric Simon and Nathalie Weatherald]

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