c’t 3003: Welche Computer überleben im Weltall?

Wie werden Computer so (um)gebaut, dass sie im Weltraum überleben können? Und was für Chips sind das eigentlich, die beispielsweise auf dem Mars zum Einsatz kommen? c’t 3003 hat recherchiert.

(Hinweis: Es handelt sich hier um einen Bonusinhalt für Menschen, die das Video oben nicht schauen können oder wollen. Die Informationen auf der Bildspur gibt das Transkript nicht wieder.)

Vielleicht habt ihr ja auch so einen Onkel, der bei Familienfeiern immer sowas sagt wie:

„Hör mir doch auf mit deinem superschnellen Smartphone – die erste Mondfähre konnte zum Mond fliegen und war nur so schnell wie’n Taschenrechner.“

Ja, Onkel Heiner: Das ist zugegeben ne ziemlich abgedroschene Anekdote.

Aber ist vielleicht doch was dran? Und was für Chips stecken eigentlich heute so in Raumschiffen und Weltraumsonden?

Finden wir’s raus! Bleibt dran!

Liebe Hackerinnen, liebe Internetsurfer! Herzlich willkommen hier bei…

Also: Im Weltraum gibt es nicht nur unzählige Sterne, Gesteinsbrocken … und Alf…sondern auch jede Menge Raumsonden, die wir Menschen in den letzten Jahren da hoch geschickt haben. Einige umkreisen die Erde, andere den Mond oder den Jupiter und wieder andere fahren, oder fliegen sogar, auf dem Mars rum.

Und all diese Geräte müssen ab der allerersten Minute so einiges aushalten: Raketen scheppern schon beim Start so dermaßen laut, dass alleine die dabei entstehenden Schallwellen euer Equipment zerlegen können.

Deshalb kippen die bei der NASA da beim Start so viel Wasser drauf – das ist tatsächlich der einzig sinnvolle Weg, so viel Krach zu dämmen. Space-Hardware muss also zuallererst mal ziemlich harte Vibrationen aushalten.

Nach dem Start wird’s nicht viel besser, denn dann … kommt der Weltraum. Da ist es natürlich auch erstmal ziemlich lebensfeindlich, und besonders fies sind eben Druck, Temperatur und Strahlung. Aber eins nach dem anderen.

Beim Druck ist das ja recht logisch: Eure Hardware muss mindestens mal 1 bar Druck auf der Erde aushalten, aber auch das Vakuum im All.

Und bei der Temperatur geht es in erster Linie um die Temperaturextreme, gegen die man nicht viel machen kann. Vor allem Satelliten auf der Umlaufbahn können auf der Seite Richtung Sonne mal eben 150 Grad Celsius haben, während die Rückseite des gleichen Satelliten kuschelige -180 Grad aushalten muss. Klar, denn im Weltraum gibt es keine Atmosphäre, die solche Unterschiede irgendwie ausgleichen könnte. Alles, was so ein Satellit an Bord hat, muss also entweder innerhalb dieser Temperaturspanne funktionieren – oder es muss soweit gekühlt oder geheizt werden, bis es wieder klappt. Das kostet Energie, und die gibt’s bei Raumsonden meistens auch nur sehr begrenzt. Außerdem bedeuten solche Schwankungen natürlich auch, dass sich alles ständig ausdehnt und wieder zusammenzieht – ist also alles nicht so einfach.

Auf anderen Planeten sieht das Ganze nicht viel besser aus. Wenn wir sowas wie Marswetterberichte hätten, würden die ungefähr so aussehen.

Joa, is kalt.

Kann man wirklich so sagen, bei im Schnitt -63 Grad Celsius. Deshalb müssen alle Rover, also die “Marsautos”, die hier rumfahren, eine Heizung dabei haben, damit sie die eiskalten Marsnächte überleben – denn dann sind sie meistens in so einer Art Weltraum-Stand-By-Modus, um Energie zu sparen.

Wenn ihr euch eine Karriere als Weltraum-Computer vorstellt, solltet ihr also ne dicke Jacke mitnehmen. Und dann wäre da die allseits beliebte Königsdisziplin für Technik im Weltraum: die Strahlung – und da … wird’s wirklich wild.

Erstmal wichtig: Strahlung ist im Weltraum quasi überall – und da geht’s vor allem um Kosmische Strahlung. Die entsteht in Sternen, auch in unserer eigenen Sonne, aber auch in fernen Galaxien.

Diese Strahlung trifft auf alles, was irgendwie im All unterwegs ist. Also auf Asteroiden, Planeten und eben auf Raumsonden. Planeten, die wie die Erde ein ordentliches Magnetfeld haben, können solche Strahlen um sich herumlenken. Alles, was innerhalb des Magnetfeldes bleibt, ist dann schonmal ziemlich sicher. Und hier auf der Erdoberfläche – auf der ihr euch vermutlich auch gerade rumtreibt, also denk ich zumindest mal – schützt uns außerdem die dicke Erdatmosphäre, sodass die Strahlen, die hier ankommen, eigentlich nicht mehr viel machen können.

Bei Satelliten und Raumsonden sieht das natürlich anders aus, denn die müssen gerne mal den Van-Allen-Gürtel passieren…

…so nennt man den Strahlengürtel der Erde, der aus vom Magnetfeld umgelenkten Teilchen besteht.

Auf jeden Fall als Richtwert: Hier auf der Erde bekommen wir alle ungefähr 0,00253 Millisievert Kosmische Strahlung ab, pro Jahr – das ist also eine ziemlich ungefährliche Dosis.

Auf Raumstationen wie der ISS können Astronauten schon 0,8 Millisievert abbekommen, auch pro Jahr. Und im Van-Allen-Gürtel können es manchmal auch bis zu 200 Millisievert sein – aber nicht pro Jahr, sondern, in Extremfällen, … pro Stunde.

Wie dem auch sei: Im Weltraum ist es ziemlich gefährlich – für Menschen und für Technik – es ist zu heiß, zu kalt, zu verstrahlt – also echt nicht die besten Arbeitsbedingungen…

Okay: Aber wie klappt das denn jetzt, bei Rovern, die über Jahre hinweg zufrieden über den Mars rollen? Warum gehen die nicht kaputt?

Schauen wir uns mal die letzte Hightech-Kreationen der NASA an, die ziemlich identischen Mars-Rover “Perseverance” und “Curiosity”. Die haben beide ganz spezielle Hardware an Bord: Immerhin fährt Curiosity jetzt schon seit über 10 Jahren da durch die Gegend und hat dabei knapp 30 Kilometer zurückgelegt, Fotos und Bohrungen gemacht und alles brav zurückgefunkt. Und Perseverance ist zwar noch frischer, hat dafür aber den allerersten Weltraum-Helikopter Ingenuity dabei, außerdem 23 19 Kameras, ein Radar, Mikrofone, ne Wetterstation, sogar nen Laser und jede Menge andere wissenschaftliche Geräte, kurz: Die Teile haben ne äußerst stabile Hardwareausstattung.

Und all das wird ermöglicht durch…

…einen Prozessor von 1998.

Hä?

Ja, das klingt erstmal komisch. Aber gerade das ist ein Grund dafür, warum Mars-Rover überhaupt funktionieren: Es kommen Chips zum Einsatz, die zwar nicht top notch sind, dafür aber auch noch nach 10 Jahren auf der Marsoberfläche funktionieren.

Die Chips in den Mars-Rovern basieren tatsächlich auf den PowerPC-G3 CPUs, mit bis zu 200 MHz, und kombiniert mit sensationellen 256 MB RAM. Das sind Specs, die an den allerersten iMac aus dem Jahr 1998 erinnern. Nur, dass der iMac sogar in der Basisausstattung damals schon höher getaktet war – und auf dem Mars das Echtzeitbetriebssystem VxWorks benutzt wird.

Und es gibt da noch viel mehr Unterschiede: Denn, und das geht raus an Onkel Heiner, natürlich rollen auf dem Mars keine ganz normalen alten iMac-Prozessoren durch die Gegend, genauso wenig, wie Taschenrechner zum Mond geflogen sind. Denn Chips, die außerhalb der Erde überleben müssen, haben eine ganz besondere Behandlung hinter sich. Und die nennt sich „Radiation Hardening“.

Im Grunde genommen ist das ein Überbegriff für verschiedene Strategien, um einen handelsüblichen Chip fit zu machen für Strahlungswerte, wie sie zum Beispiel im All existieren. Und die Chips an Bord der Marsrover sind ein gutes Beispiel dafür. Diese Version des PowerPC-G3-Chips heißt RAD750, wird von BAE Systems hergestellt und soll es ermöglichen, dass in 15 Jahren Betrieb nur ein einziger Crash wegen der marsianischen Umweltbedingungen passiert. Oh, und der Weltraum-G3 kostet mal eben 200.000 Dollar. Und ja, damit meine ich nur den Chip.

Dabei steckt das Teil da sogar doppelt drin, da die meisten NASA-Designs zwei komplette Rechner verbauen, Redundanz und so – immerhin ist das noch schwierig, mit dem interplanetaren Tech-Support.

Aber warum genau sind diese Chips jetzt so teuer? Naja: Wird ein Computer mit Strahlung bombardiert, können sogenannte SEUs passieren. Das heißt „Single Event Upset“ und ist einfach eine Bezeichnung für Fehler, die auftreten, wenn ein einzelnes hochenergetisches Teilchen auf ein elektronisches Bauteil trifft und dort, vorübergehend, für Fehler sorgt. Das Ganze ist ein „Soft Error“, der keine bleibenden Schäden am Bauteil verursacht – einen Rechner kann das aber durchaus durcheinander bringen, zum Beispiel dann, wenn der Zustand einzelner Bits verändert wird.

Und jetzt kommt’s: Das Problem mit den „Single Event Upsets“ wird immer schlimmer, je moderner ein Chip ist. Denn: Erstmal sind moderne Chips, die ja in immer kleinerer Strukturbreite hergestellt werden, quasi zwangsläufig ziemlich sensibel, wenn es um Spannungen geht. Und da kann dann eben schon ein einziges Teilchen aus dem Sonnenwind reichen, um Chaos zu erzeugen.

Dann sind moderne Chips meistens höher getaktet als, zum Beispiel, im Jahr 1998 – große Überraschung. Und auch das ist ein Problem: Denn dadurch steigt die Gefahr für einen strahlenbedingten Latch-Up-Effekt – da geht’s, vereinfacht gesagt, um Kurzschlüsse, die auf Dauer Bauteile zerstören können.

Jeder Kniff, mit dem moderne Chips verbessert werden, macht sie also leider auch anfälliger für Strahlung und damit für den Einsatz im Weltraum. Und genau das ist das Problem und der Grund dafür, warum es manchmal eine gute Idee ist, alte und erprobte Designs, die weder besonders schnell noch kompakt sind, zu optimieren und – zack – schon geht’s ab auf den Mars.

Also, fast, denn “Optimieren” heißt in diesem Fall nicht, einfach einen alten Chip zu nehmen, bisschen Strahlenschutz drum und fertig. Das Ganze ist deshalb so teuer, weil manchmal völlig andere Materialien und Baugrößen verwendet werden, sodass für die Fertigung von ein paar Chips praktisch eine eigene Foundry gebraucht wird – und das kostet natürlich. Trotzdem kann es sich lohnen, dabei auf alte Chip-Designs zu setzen, damit man immerhin nicht komplett bei 0 anfangen muss.

Genau darum sind RAD750 CPUs nicht nur in Mars-Rovern eingebaut worden sondern auch in die Kometensonde „Deep Impact“, im Weltraumteleskop Kepler und in verschiedenste Erdbeobachtungssatelliten. Außerdem kreist gerade ein RAD750 als Teil der NASA-Sonde JUNO um den Jupiter – und auch im nagelneuen James-Webb-Teleskop steckt so ein Chip. Man kann also sagen, dass viele spannende Missionen im ganzen Sonnensystem praktisch gar nicht denkbar wären ohne solche Hardware.

Wie dem auch sei: Aktuell setzt man in großen Teilen des Sonnensystems noch immer auf Technik aus dem Jahr 1998. Aber wie sieht das wohl in Zukunft aus? Kann ja nich immer so weitergehen und ein Upgrade auf Pentium 4 ist hoffentlich nicht geplant.

Tatsächlich werden gerade neue und bedeutend bessere Chips entwickelt, die extra für den Einsatz im Weltraum gedacht sind. Und die setzen eher auf den Ansatz „Radiation Hardening by Design“ – also die Idee, Strahlenresistenz beim Designen eines Chips von Anfang an mitzudenken, und sind meistens komplette Systems-On-A-Chip – die Hardware-Trends im All sind also gar nicht so anders als hier auf der Erde.

Dabei gibt’s aber verschiedene Grundideen. Die ESA hat zum Beispiel mit dem „LEON“ eine eigene Plattform für den Weltraum-Einsatz entwickelt, basierend auf der SPARC-V8-Architektur. Da ist besonders spannend, dass die ESA keine kommerziellen Designs verwurstet, sondern schon seit Jahren auf Open Source setzt: Die frühen LEONs waren die ersten Chipdesigns überhaupt, die komplett unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht wurden. Mittlerweile wird auch schon über den Nachfolger mit dem Namen NOEL nachgedacht, das soll dann ein RISC-V Chip werden.

Auch bei der NASA sagt man sich offenbar: No RISC, no fun.

Da wurde erst im September verkündet, dass der schon lange erwartete HPSC – das steht für High Performance Space Computing – auch auf der RISC-V-Architektur basieren soll. Vor ein paar Jahren war das Ganze noch als ARM-Design geplant – ganz so einfach scheint es also nicht zu sein, die perfekte Weltraum CPU-Architektur zu finden. Der “neue” HPSC ist jedenfalls auch ein System-On-A-Chip und soll mal eben bis zu 100 Mal schneller sein als bisherige Weltraum-CPUs.

Anstatt erprobte kommerzielle Designs zu nehmen, die dann langsamer, aber dafür strahlensicherer zu machen, wird jetzt also an ganz neuer Hardware gearbeitet, die von Anfang an extra dafür gemacht ist, im Weltraum abzuliefern. Das ist alleine deshalb schon wichtig, da wirklich autonome Systeme im Weltraum Gold wert sind: Immerhin brauchen alle Funksignale zum Beispiel zum Mars je nach Stand der Planeten ganze 3,1 und 22,3 5 bis 20 Minuten, bis sie da überhaupt ankommen. Dann muss alles verarbeitet und zurückgesendet werden, was dann auch wieder 3,1 bis 22,3 5 bis 20 Minuten dauert. Wessen Hardware in der Zwischenzeit einfach weiterarbeiten kann, kann also deutlich mehr aus Weltraummissionen herausholen – und dafür braucht es halt Einiges an Rechenleistung.

Übrigens: Natürlich nutzen auch andere Raumfahrtorganisationen als NASA und ESA spezielle Space-Chips. Die Designs von NASA und ESA sind aber am besten erprobt und daher ziemlich interessant – und das ganze Thema ist ein derartiges Rabbit Hole, dass wir bestimmt sowieso um die 1000 spannende Chip-Designs vergessen haben.

Also, Onkel Heiner: Sorry, aber das mit den Taschenrechnern im Weltraum … bitte, lass es einfach. Tschüss!


c’t 3003 ist der YouTube-Channel von c’t. Die Videos auf c’t 3003 sind eigenständige Inhalte und unabhängig von den Artikeln im c’t magazin. Redakteur Jan-Keno Janssen und die Video-Producer Şahin Erengil und Pascal Schewe veröffentlichen jede Woche ein Video.



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(jkj)

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