Bundeskanzler Olaf Scholz will nicht noch einmal erneut über eine Impfpflicht abstimmen lassen. “Ich finde die Entscheidung des Bundestages sehr eindeutig”, sagt der SPD-Politiker. “Es gibt im Bundestag keine Gesetzgebungsmehrheit für eine Impfpflicht. Das ist die Realität, die wir jetzt als Ausgangspunkt für unser Handeln nehmen müssen.”
Er bedauert ebenso wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), dass das Parlament eine Impfpflicht abgelehnt hat. Auch Wüst sieht keine Chance für einen zweiten Versuch einer Verabschiedung. Man müsse nun andere Wege finden, die Zahl der Geimpften zu erhöhen. (07.04.2022)
FDP stimmt fast geschlossen gegen Impfpflicht, Arbeitgeber kritisieren Scheitern: “Kein guter Tag”
Als einzige der drei Parteien der Ampel-Koalition hat die FDP nahezu geschlossen gegen eine allgemeine Impfpflicht gestimmt. Laut dem Abstimmungsprotokoll des Bundestages kamen aus der FDP-Fraktion 79 Nein- und fünf Ja-Stimmen. Bei den Koalitionspartnern SPD und Grüne war es umgekehrt: Dort stimmten große Mehrheiten für die Impfpflicht. Bei der SPD waren 179 für die Impfpflicht (neun Nein), und bei den Grünen gab es 102 Ja-Stimmen (sechs Nein). Einzelne Ja-Stimmen gab es auch aus den Fraktionen von CDU/CSU und Linken.
Nach dem Scheitern rufen die Arbeitgeber dazu auf, alles für eine hohe Impfquote zu tun. “Das ist kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung”, erklärt der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeber, Rainer Dulger. “Impfen bleibt ein zentraler Baustein im Kampf gegen die Pandemie.” Er fügt hinzu: “Impfungen helfen – auch mit Blick auf Spätherbst und Winter – einschneidende Beschränkungen von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Leben zu vermeiden.”
Die Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und Hessen kritisieren das Scheitern einer gesetzlichen Impfpflicht. “Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wäre wichtig und richtig gewesen”, schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung. “Wie die Debatte im Vorfeld geführt und nun im Bundestag entschieden wurde, ist dem Ernst der Lage nicht angemessen.” Der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie spricht nach dem Scheitern der allgemeinen Impfpflicht von einem Politikversagen. Den Preis dafür “werden erneut die Vorerkrankten, die Hochaltrigen, die unter Isolation leidenden Kinder und alle anderen bezahlen, die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen sind”, erklärt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Es sei eine große Chance verpasst worden, die Pandemie dauerhaft in den Griff zu bekommen. “Auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen werden nun in doppelter Weise im Regen stehen gelassen: Zum einen bleibt die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohne eine allgemeine Verpflichtung Stückwerk, und zum anderen werden sie spätestens im Herbst wieder mit steigenden Corona-Fallzahlen zu kämpfen haben.” (07.04.2022)
RKI sieht Gipfel der Corona-Welle überschritten
Bei der derzeitigen Corona-Welle liegt der Höhepunkt aus Sicht des Robert-Koch-Instituts (RKI) mittlerweile eindeutig in der Vergangenheit. “Der Gipfel der aktuellen Welle ist jetzt klar überschritten”, schreibt das RKI in seinem Wochenbericht. In der vergangenen Ausgabe hatte das RKI es noch als nur wahrscheinlich bezeichnet, dass der Gipfel erreicht oder möglicherweise bereits überschritten sei.
Die aktuelle Einschätzung wird unter anderem mit dem Absinken der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz um 19 Prozent im Wochenvergleich begründet. Auch gingen die Zahlen laut Bericht in allen Altersgruppen sowie in fast allen Bundesländern zurück. Insgesamt sprechen die Gesundheitsexperten aber immer noch von einem sehr hohen Infektionsdruck – mehr als eine Million Fälle seien binnen einer Woche gemeldet worden. Auf Twitter rief das RKI erneut zu verantwortungsvollem Verhalten auf: Davon hänge die Entwicklung der nächsten Wochen ab. (07.04.2022)
WHO: Viel mehr Infektionen in Afrika als berichtet
In Afrika mit seinen 1,3 Milliarden Menschen liegt die Dunkelziffer bei der Zahl der Corona-Infektionen nach jüngsten WHO-Erkenntnissen weitaus höher als bisher berichtet. “Neue WHO-Analysen zeigen, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung nach einem Kontakt mit dem Coronavirus bereits einen gewissen Grad an Immunität erworben haben könnten”, sagte die Regionaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Afrika, Matshidiso Moeti. Unter Hinweis auf eine noch unveröffentlichte WHO-Studie sagte sie, die offiziellen Zahlen kratzten nur an der Oberfläche: Die wahren Infektionszahlen könnten 97-mal höher liegen als die Zahl der registrierten Fälle.
Offiziell hat Afrika bisher gut 11,5 Millionen Infektionen registriert, davon verliefen 250 000 tödlich. Viele Infektionen wurden wohl allein schon wegen der im Mittel sehr jungen Bevölkerungen nicht erfasst: Gerade Jüngere haben oft keine oder kaum Symptome. Zudem mangelt es vielfach an Test- und Erfassungsmöglichkeiten. (07.04.2022)
Krankenhäuser: Einrichtungsbezogene Impfpflicht überprüfen
Nach dem Scheitern einer allgemeinen Impfpflicht ist aus Sicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) auch die seit Mitte März geltende Impfpflicht für Personal in Einrichtungen im Gesundheitswesen und in der Pflege kaum mehr haltbar. “Dass die Gesundheitsämter jetzt noch Arbeitsverbote für ungeimpfte Personen im Gesundheitswesen aussprechen, halte ich für nicht vorstellbar”, sagt DKG-Vorstandschef Gerald Gaß der Rheinischen Post. “Für uns war die allgemeine Impfpflicht immer eine nachfolgende Notwendigkeit, um die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufrechtzuerhalten.” Er bedauerte das Scheitern der Impfpflicht. Bund und Länder müssten sich jetzt auf den Herbst vorbereiten. Dann sei wieder mit steigenden Infektionszahlen zu rechnen. (07.04.2022)
RKI meldet 201 729 Neuinfektionen, Inzidenz sinkt auf 1251
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet 201 729 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Das sind 73 172 Fälle weniger als am Mittwoch vor einer Woche, als 274 901 positive Tests gemeldet wurden. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sinkt weiter auf 1251 von 1394 am Vortag. 328 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle auf 131 036.
Die Zahlen haben nur begrenzt Aussagekraft. Experten gehen von einer hohen Zahl von Fällen aus, die in den RKI-Daten nicht erfasst sind. Testkapazitäten und Gesundheitsämter sind vielerorts am Limit, Kontakte werden nur noch eingeschränkt nachverfolgt. Deshalb bilden wir im SZ-Corona-Dashboard einen Mittelwert aus den Meldungen der vergangenen sieben Tage ab, der Schwankungen von Tag zu Tag ausgleichen soll. Mehr Informationen dazu finden Sie im Transparenz-Blog, weitere Daten und Grafiken zur Pandemie hier. (07.04.2022)
EU-Behörden wollen vierte Impfung nicht empfehlen
Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hält derzeit eine vierte Corona-Impfung für alle Bürger nicht für notwendig. Für eine generelle Empfehlung sei es momentan zu früh, teilte sie gemeinsam mit der EU-Gesundheitsbehörde ECDC mit. Eine vierte Dosis könnte aber für Menschen ab 80 Jahren sinnvoll sein angesichts des höheren Risikos einer schweren Covid-Erkrankung in dieser Altersgruppe.
“Für Erwachsene ab 60 Jahren mit einem normalen Immunsystem gibt es zurzeit keine schlüssigen Beweise, dass der Impfschutz gegen eine schwere Erkrankung abnimmt und dass eine vierte Dosis einen Mehrwert hat”, erklärten die Behörden. Es gebe aber auch keine Sicherheitsbedenken gegen eine zweite Auffrischungsimpfung.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte sich erst kürzlich in Brüssel für eine vierte Corona-Impfung für alle ab 60 Jahren eingesetzt. Die EU-Staaten erklärten, sie wollten in dieser Frage einheitlich vorgehen. Für die Entscheidung hatten sie die Empfehlung ihrer Gesundheitsbehörden abgewartet. Bisher werden die meisten Corona-Impfstoffe in zwei Dosen verabreicht. Da der Schutz aber nach einigen Monaten abnimmt, empfehlen die Behörden eine dritte Dosis, den sogenannten Booster oder die Auffrischung. Nach Studien in Israel sollte ein weiterer Booster den Immunschutz erhöhen.
Allerdings hat eine soeben im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlichte Untersuchung aus Israel ergeben, dass eine vierte Dosis des Biontech-Impfstoffs zwar die Raten von Covid-19-Infektionen bei älteren Menschen senkt. Dieser Schutz scheint aber nur von kurzer Dauer zu sein. Er ließ demnach bereits nach vier Wochen nach. Der Schutz vor schweren Erkrankungen ließ indes in den sechs Wochen nach der Impfung nicht nach. Weitere Folgestudien seien jedoch erforderlich, um den längerfristigen Schutz zu bewerten, erklärten die Wissenschaftler. Eine weitere Studie aus Israel hatte im vergangenen Monat gezeigt, dass ältere Menschen nach einer zweiten Auffrischungsimpfung mit dem Biontech-Impfstoff eine um 78 Prozent niedrigere Sterblichkeitsrate aufweisen als diejenigen, die nur einen Booster erhielten.
In Deutschland hat die Ständige Impfkommission eine Empfehlung für eine vierte Corona-Impfung bisher für über 70-Jährige sowie für gesundheitlich gefährdete Personengruppen ausgesprochen. In den USA will die Arzneimittelbehörde FDA über die Notwendigkeit zusätzlicher Auffrischungsimpfungen beraten. Dort war vor einer Woche eine zweite Auffrischungsimpfung für Menschen ab 50 Jahren mit den Impfstoffen von Biontech und Moderna genehmigt worden. (06.04.2022)
Isolationspflicht: Lauterbach räumt Fehler ein
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat für die Kehrtwende bei der Corona-Isolationspflicht persönlich die Verantwortung übernommen. Sein ursprünglicher Vorschlag, dass Infizierte künftig nicht mehr allein zu Hause bleiben müssen, sei ein “Fehler” und “falsches Signal” gewesen. Er sei als Schritt der Lockerung verstanden worden, als solches aber nicht gedacht gewesen. Als ihm das im Laufe des Dienstags klar geworden sei, habe er sich entschieden, diese Idee “nicht weiter laufen zu lassen” und seine Entscheidung zu revidieren. Er habe den Bundeskanzler davon informiert, sei von diesem aber nicht dazu gedrängt worden.
Lauterbach hatte die Kehrtwende am Abend in der ZDF-Sendung “Markus Lanz” und spätnachts per Twitter bekannt gegeben, ohne die Länder, die die entsprechenden Regeln umsetzen müssen, zuvor zu informieren. “Diesen Punkt, dass die Infizierten, dass die sich selbst isolieren, und nicht mehr durch das Gesundheitsamt aufgefordert werden, den werde ich wieder einkassieren”, sagte er in der Sendung. An der Verkürzung der Isolation auf fünf Tage halte er aber fest.
Nach Beratungen der Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatte der Minister am Montag ursprünglich mitgeteilt, dass Corona-Infizierte und Kontaktpersonen vom 1. Mai an in der Regel nur noch freiwillig und für kürzere Zeit in Isolierung oder Quarantäne müssen. Infizierten sollte demnach nur noch “dringend empfohlen” werden, sich für fünf Tage zu isolieren und Kontakte zu meiden – für Kontaktpersonen von Infizierten sollte es entsprechend gelten. Eine Anordnung des Gesundheitsamts sollte wegfallen.
An der Ankündigung gab es von vielen Seiten Kritik – öffentlich wie auch von ihn beratenden Experten, wie Lauterbach sagte. Dies habe ihn zum Umdenken bewogen. “Ich habe die Entscheidung selbst getroffen”, sagte er. “Das macht man nicht häufig.” Zurückzutreten habe er aber nicht erwogen.
Ursprünglich sei das Ende der Isolationspflicht gedacht gewesen, die Gesundheitsämter zu entlasten, sagte Lauterbach. Das werde auch geschehen, da sie künftig keine Quarantäne für Kontaktpersonen anordnen müssen. Allerdings geschieht das bereits heute in vielen Fällen nicht mehr, da die Ämter mit ihrer Arbeit nicht hinterherkommen.
Im Bundestag kritisierte die Union, Lauterbachs Kehrtwende verunsichere die Bevölkerung. Auch vom grünen Koalitionspartner hieß es, das sei “keine gute Kommunikation”https://www.sueddeutsche.de/politik/.”Man muss als Minister auch in der Lage sein, Dinge, die nicht gut liefen, zu korrigieren”, sagte Lauterbach. Der “symbolische Schaden”, der vermittelte Eindruck, Corona sei nicht gefährlich, sei so verheerend, dass man diese Isolationsordnung so nicht machen könne. (06.04.2022)