Wie Eltern ein Liebespaar bleiben – Paartherapeutin gibt Tipps

Wenn Paare Eltern werden, ändert sich ihre Beziehung. Wie Liebe und Leidenschaft dennoch erhalten bleiben, weiß Paar- und Familientherapeutin Romy Winter.

In Ihrem Buch “Das Herz der Familie” plädieren Sie dafür, dass Eltern darauf achten sollten, ein Liebespaar zu bleiben. Warum ist das so wichtig?
Das Herz ist das Zentrum unseres Körpers. Wenn es nicht mehr schlägt, werden die Organe nicht mit Blut und Sauerstoff versorgt. Dieses Bild lässt sich wunderbar auf Familien übertragen. Denn Eltern tragen die Verantwortung für die Familie und versorgen sie im Idealfall mit viel Liebe. Das kann aber nur gelingen, wenn das Herz intakt ist, wenn also die Elternbeziehung selbst voller Liebe ist.

Und genau da hakt es oft. Viele Eltern kümmern sich zwar liebevoll um ihre Kinder, vergessen dabei aber ihre elterliche Liebesbeziehung… Woran liegt das?
Dafür gibt es viele gesellschaftliche, politische und biografische Gründe.  Sie alle haben Anteil daran, dass Eltern im Modell Kleinfamilie unfassbar viel alleine leisten müssen. Diese zwei Menschen sind für wahnsinnig viele Dinge in der Familie, im Haushalt und im Job verantwortlich – da bleibt nur noch wenig Zeit für romantische Paar-Abende. Außerdem stellen viele Eltern heutzutage die Bedürfnisse der Kinder ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit…

Romy Winter ist Resilienztrainerin, psychologische Beraterin und  systemische Paar- und Familientherapeutin. Im stern-Gespräch gibt sie hilfreiche Tipps für Eltern

© PR

…weil ihnen eine bedürfnisorientierte Elternschaft wichtig ist.
Ja, genau. Und das ist auch gut so. Ich bin selbst ein großer Fan dieses Konzepts. Man kennt es auch unter dem Namen “Attachment Parenting”, also bindungsorientierte Elternschaft. Gemeint ist damit, dass man eine gute Bindung zum Kind aufbaut, indem man dessen Bedürfnisse ernst nimmt. Der Fokus auf die kindlichen Bedürfnisse führt jedoch oft dazu, dass Eltern ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Partner hintenanstellen und alles auf später verschieben: “Wenn das Kind irgendwann durchschläft, dann gehen wir mal wieder aus” oder “Wenn die Kinder uns eines Tages weniger brauchen, gönnen wir uns ein Wochenende allein”.

Dieses ewige Warten auf ein besseres Später – das funktioniert nicht, oft ist es dann nämlich zu spät. Vielleicht sind nicht immer große Sprünge drin, doch die meisten Abenteuer gibt es auch in einer Miniaturausgabe.

Wenn Elternpaare regelmäßig auf ihre Beziehung achtgeben, stärkt das das Herz der Familie. Und ein gesundes Herz, also eine liebevolle Elternbeziehung, kann ein wundervoller Energielieferant sein, der uns dabei hilft, die Herausforderungen des Elternalltags besser zu meistern.

“Es geht nicht darum, alle Bedürfnisse immer zu erfüllen – das ist gar nicht möglich”

Deshalb erweitern Sie den Begriff “Attachment Parenting” in Ihrem Buch und fordern ein “Attachment Partnering”. Was genau meinen Sie damit?
Viele Eltern geben sich große Mühe, die Bedürfnisse der Kinder zu achten und auf diese einfühlsam einzugehen. In unserem erwachsenen Miteinander gelingt uns das meist weniger gut. Mir fällt immer wieder auf, dass viele Eltern sehr zugewandt und liebevoll mit ihren Kindern sprechen, dies beim Partner aber nicht weiterführen.

Warum fällt es Eltern so schwer, dem Partner ebenso liebe- und verständnisvoll zu begegnen?
Das liegt zum Teil daran, dass wir denken, Erwachsene dürfen ihre Bedürftigkeit nicht zeigen. Bedürfnisse werden oft als Zeichen von Schwäche abgewertet und als lästig empfunden. Aber das ist Quatsch, denn jeder Mensch hat Bedürfnisse und es ist wichtig, diese wahrzunehmen und zu achten. Das gilt für jeden einzelnen, aber natürlich auch für eine Partnerschaft. Deshalb habe ich den Begriff “Attachtment Partnering” entwickelt. Er steht dafür, dass beide Partner auf die eigenen Bedürfnisse und auf die des Partners achten und sich darüber austauschen, ob und wie diese aktuell erfüllt werden können. Es geht nicht darum, alle Bedürfnisse immer zu erfüllen – das ist gar nicht möglich. Aber es tut gut, wenn wir ehrlich miteinander darüber sprechen, wer was braucht.

Um welche Bedürfnisse geht es denn genau?
Letztlich haben wir alle dieselben Grundbedürfnisse, allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt. Und wir wählen verschiedene Strategien, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. Zu den wichtigsten emotionalen Bedürfnissen zählen das Bedürfnis nach Bindung, Autonomie, Selbstwertgefühl, Lustgewinn und das Bedürfnis nach Sicherheit.

Wenn wir uns nun also um Kinder kümmern, stillt das zwar vielleicht unser Bedürfnis nach einer guten Eltern-Kind-Bindung, andere Bedürfnisse kommen dann aber oft zu kurz – zum Beispiel unser Bedürfnis nach Freiheit (Autonomie) oder nach Zweisamkeit mit dem Partner (Bindung und Lustgewinn).

Und wie kann ein guter Austausch über diese Bedürfnisse gelingen?
Die fünf Grundbedürfnisse können dabei ein guter Leitfaden sein. Wenn sich an der Situation aktuell nichts ändern lässt, reicht manchmal ein empathisches “Ich sehe, dass du gerade darunter leidest, so eingeschränkt zu sein” oder “Ich verstehe dich gut, dass du gerne mal wieder ausschlafen möchtest”. Das schafft viel mehr Nähe, als der Rechtfertigungsmodus, in den Elternpaare oft verfallen. Und vielleicht finden Eltern bei diesem Austausch auch ein paar gute Ideen zur Verbesserung der Situation.

“Der Mittwoch ist reserviert für uns als Paar”

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ja, klar! Bei den meisten Eltern kommt zum Beispiel das Bedürfnis nach Autonomie zu kurz. Man kann natürlich nicht zur alten Freiheit zurückkehren, die man als kinderloses Paar hatte. Aber man kann dafür sorgen, dass jeder Auszeiten hat, in denen er sich nicht um die Familie kümmern muss. Mein Mann und ich haben hier für uns eine gute Absprache gefunden. Dienstags ist mein Tag, da habe ich keine familiären Verpflichtungen. Ich kann arbeiten, zum Yoga gehen, mich mit Freunden treffen – was auch immer! Mein Mann hat diesen Tag am Donnerstag. Und der Mittwoch ist reserviert für uns als Paar. Wir haben da keinen festen Plan, aber klar ist: Dieser Abend gehört uns. Unsere Kinder sind 6, 11 und 14 – also alt genug, um zu verstehen, dass unsere “Eltern-Sprechstunde” mittwochs um 20 Uhr endet.

Viele Eltern plagt das schlechte Gewissen, wenn sie an Zeit zu zweit zu denken – und dafür die Kinder “wegorganisieren” müssen. Wie kann man sich davon freimachen?
Ja, das höre ich oft von Eltern, die zu mir in die Praxis kommen: “Wir können doch unser Kind nicht das ganze Wochenende zu Oma geben” oder so ähnlich. Dahinter steckt die Sorge, dass wir die Bindung zu unserem Kind beschädigen oder ihnen irgendwie schaden, wenn wir nicht da sind. Durch die sozialen Medien wird das noch verstärkt. Dort sieht man ständig, wie toll und bindungsorientiert andere Eltern sind. Folglich haben wir noch mehr Angst, etwas falsch zu machen. Aber ein Kind bekommt kein Bindungstrauma, wenn es mal einen Tag oder Abend ohne Mama und Papa verbringt – vorausgesetzt es gibt eine eine liebevolle “Alternativbetreuung”.

Wir sollten unser schlechtes Gewissen deshalb sehr kritisch hinterfragen: Ist die gemeinsame Paar-Zeit, die wir uns erlauben, wirklich schädlich für unser Kind? Oder lediglich unangenehm? Wir dürfen unseren Kindern durchaus zumuten, dass auch mal eine andere Person die Fürsorge übernimmt. Das ist artgerecht. Und wenn uns diese Auszeit als Paar wieder näherbringt, profitieren davon auch unsere Kinder.

Zeit zu zweit ist also immer auch eine Investition in unser Familienglück…
Genau! Dieses Mindset ist unfassbar wichtig. Warum soll denn das Glück der Eltern immer erst dann möglich sein dürfen, wenn die Kinder rundum befriedet sind? Wir dürfen unser Glück genauso ernst nehmen wie das unserer Kinder!

Das richtige Mindset zu finden ist gar nicht so einfach. Welche Denkmuster belasten unser Eltern-Miteinander?
Oh, da gibt es einige! “Der andere ist schuld” gehört zum Beispiel  dazu. Wir denken oft, dass wir viel mehr machen als der oder die andere – und dass unser Leben deshalb so stressig ist. Es gibt ganz sicher Beziehungen, in denen es in Bezug auf Hausarbeit, Care-Arbeit und die ganze Mental Load eine Schieflage gibt. Aber oft wird übersehen, dass beide struggeln und von den vielen Aufgaben, die die Elternschaft mit sich bringt, überfordert sind.

Weitere schädliche Gedanken sind zum Beispiel: “Es soll wieder alles so sein wie früher” (ein völlig unrealistischer Wunsch!) oder “Mein Partner muss doch wissen, was ich brauche” (Nein, woher soll er oder sie das wissen, wenn beide nicht darüber sprechen?) oder “Es wäre alles viel einfacher, wenn er oder sie so wäre wie ich” (ja, vielleicht, aber Menschen sind verschieden und das ist auch gut so).

Und welche guten Gedanken empfehlen Sie Paaren, damit ihr Miteinander besser wird?
Zuallererst sollten wir uns immer wieder deutlich machen: “Wir sind ein Team!” Wir sitzen als Eltern doch im selben Boot und haben gewöhnlich auch dasselbe Ziel: Wir wollen, dass es unseren Kindern und uns gut geht. Außerdem halte ich einen ganz banalen Satz sehr wichtig – nämlich: “Niemand ist perfekt!” Diese einfache Wahrheit vergessen wir leider sehr oft. Auch der folgende Gedanke kann sehr hilfreich sein: “Das ist nur eine Phase!” Darin versteckt sich nämlich die tröstliche Botschaft, dass das, was gerade nicht gut läuft, auch wieder besser werden kann.Zu den guten Gedanken zählt übrigens auch die Dankbarkeit. Wir sollten uns regelmäßig bewusst machen, was gerade gut läuft und welche guten Seiten unser Partner oder unsere Partnerin hat. Wir denken oft sehr defizitär, fokussieren uns auf das, was uns nicht gefällt. Das ist verständlich, aber nicht hilfreich!

In Ihrem Buch “Das Herz der Familie” haben Sie viele Reflexionsfragen aufgeführt, die dabei helfen, sich selbst und die Beziehung besser zu verstehen. Verraten Sie hier ein paar davon?
Ja, gerne. Eine meiner Lieblingsfragen lautet zum Beispiel: “Wie viel ungeteilte Zeit zu zweit hatten wir in der letzten Woche?” Das kann man dann noch ausschmücken: “Reicht uns das so – oder wollen wir mehr? Wo und wann wünschen wir uns mehr Zuwendung?”

Ich finde es außerdem wahnsinnig wichtig, dass wir uns ab und zu auch mal fragen: “Macht es gerade Freude, mit mir in einer Beziehung zu sein? Um welche gemeinsamen positiven Momente kümmere ich mich? Welche positiven Signale sende ich?”

Und für den Austausch über Bedürfnisse ist es natürlich wichtig, dass wir uns regelmäßig selbst befragen: “Wieso verhalte ich mich, wie ich mich verhalte? Welche Bedürfnisse liegen meinem Verhalten zugrunde?”

Welche Fragen stellen Sie Paaren als erstes, wenn sie zu Ihnen in die Paarberatung kommen?
Wir sprechen natürlich immer erst über ihr Anliegen – also den Anlass der Beratung oder Therapie. Aber ich frage die Paare in der ersten Sitzung auch immer: “Was darf so bleiben, wie es ist? Was wollt ihr euch bewahren?” Diese Frage lenkt den Blick weg vom Problem hin zu den Ressourcen, die die Paare haben. Sie entdecken dabei meistens viele lebens- und liebenswerte Kleinigkeiten an sich und dem anderen. Das führt im besten Fall nämlich wieder zu mehr Herzflimmern und Nähe. 

Kleine Übungen, die Paare zusammenbringen

In ihrem Buch “Das Herz der Familie” hat Romy Winter viele “Herzmomente” zusammengetragen: einfache Übungen, die Paaren dabei helfen, sich wieder anzunähern. Drei davon stellen wir hier kurz vor:

Bindung durch Berührung: Umarmt und berührt euch! Klingt banal und selbstverständlich und doch sind es oft genau diese kleinen Gesten der Liebe, die Paaren fehlen und ins Ungleichgewicht bringen.

Ein Hoch auf die Eigenverantwortung: Wann immer du denkst “Er / sie hätte / müsste / sollte…” versuchen, deine Gedanken umzulenken. Besser ist: “Ich brauche / wünsche mir / möchte…” So bürden dem anderen nicht die Verantwortung für unsere Bedürfnisse auf. Außerdem kommuniziert es sich konstruktiver, wenn wir auf Vorwurfssprache verzichten.

Love-Bucket-List: Schreibt (erstmal nur alleine) fünf Dinge auf, die ihr schon länger unbedingt mal miteinander machen wollt, aber immer wieder aufschiebt. Danach vergleicht ihr eure Listen und sucht gemeinsam eine Sache aus, für die ihr euch hier und jetzt verbindlich verabredet. Auch für die restlichen Ideen wird festgelegt, wer sich bis wann um die Umsetzung kümmert.

Dieser Artikel enthält sogenannte Affiliate-Links. Mehr Informationen dazu gibt es hier.

source site