VW-CHef Herbert Diess über Batman, Elon Musk und Christian Lindner – Wirtschaft

Andere wären jetzt etwas erschöpft: In der Früh leitete VW-Chef Herbert Diess eine Sitzung des Konzernvorstands, mittags diskutierte er in Wolfsburg mit Arbeitnehmern, unter anderem über die derzeit größte Misere, die Software. Dann ab nach München, um Banker vom Wert des größten europäischen Autobauers zu überzeugen. Jetzt ist Abend, aber Diess, 63, ist nicht müde. Als nach dem Gespräch klar wird, dass der VW-Firmenjet hier vom Münchner Flughafen erst später loskommt, stürmt er wieder ins Zimmer, legt seinen Rucksack wieder hin und ruft: Dann reden wir mal weiter!

SZ: Herr Diess, wenn Sie wählen könnten, über welches der Probleme wollen Sie nicht sprechen: Halbleiter, China samt ihres Werkes in Xinjiang, Tesla, Softwareprobleme …

Herbert Diess: … sehr gern über alles …

… das Verbrenner-Aus, der Krieg der Russen, die drohende Rezession …

… wann geht noch mal mein Flieger?

Die Regierbarkeit des VW-Konzerns samt Ihres härtesten Korrektives, dem Betriebsrat …

… das müssen wir unbedingt diskutieren, immer!

Und da wären noch der Klimawandel und die Corona-Seuche.

Das gibt’s bei mir eh nicht, dass ich mich irgendwo drücke, also fangen wir an. Und außerdem sind wir in diesem Jahr gut unterwegs – sehr gut sogar.

Das ist eine verrückte Welt: VW hat ein Viertel weniger produziert wegen all der fehlenden Kabelbäume und Computerchips. Hat ein Viertel weniger verkauft – aber ein Viertel mehr Gewinn.

Und der Umsatz ist sogar gleich geblieben.

Dann könnten Sie doch sagen: Lassen wir, wie es ist. In der Knappheit liegt der Erfolg.

Die fehlenden Teile haben tatsächlich einen positiven Effekt auf die gesamte Autoindustrie, weil die Margen besser sind. Wir geben weniger Rabatte – und die Restwerte der Gebrauchtfahrzeuge steigen. Doch das wird sich wieder normalisieren, die Versorgung mit Halbleitern etwa wird sich im zweiten Halbjahr sicher verbessern. Und wir sind sehr gut aufgestellt: In den USA und Lateinamerika sind wir nach Jahrzehnten wieder profitabel, unser Plan für die Elektrifizierung geht auf, die Struktur des Konzerns wird schlanker, das Führungsteam ist super – das läuft. Doch wir müssen unsere Fabriken vorsichtig hochfahren, weil die Weltwirtschaftslage für das kommende Jahr noch unklar ist.

Was ist mit Elon Musk, den Sie als größtes Vorbild und als größte Bedrohung bezeichnen?

Ich bezeichne ihn nicht als größtes Vorbild, aber wir müssen Tesla weiter sehr ernst nehmen. Und das tun wir mittlerweile, das freut mich. So haben wir eine Chance, 2025 bei den E-Autos vorne zu sein.

Wie denn das?

Elon hat in Austin, aber auch in Grünheide unglaublich innovative Fabriken, ganz anders vom Ablauf als der Rest unserer Industrie. Die Fabriken sind sehr komplex, viele Prozesse, die bei uns bei Lieferanten laufen, sind dort verkettet. So werden etwa die Sitze samt der Batterie eingebaut. Wenn das klappt, spart das viel Zeit.

Elon Musk und Tesla: Vorbild für Volkswagen und Herbert Diess, wenn auch nicht mehr so groß wie noch vor einigen Monaten.

(Foto: Pool /via Reuters)

Was stimmt Sie daran positiv?

Der Hochlauf solcher Fabriken ist anspruchsvoll. Wir sind bei VW einfacher aufgestellt, mit etablierten Zulieferern. Da sollte sich eine Chance für uns ergeben, jetzt schneller hochzulaufen, sodass wir in diesem Jahr den Vorsprung von Tesla bei der Produktion von Elektroautos vielleicht etwas verringern können. Und wir 2025 weltweit Marktführer bei E-Autos sein können.

Was ist denn mit Ihnen los, Herr Diess? Sie waren doch immer der größte Prophet des Untergangs von Wolfsburg. Einst haben sie sich sogar trotzig ein Batman-Kostüm übergestreift, was zeigen sollte, was für ein Kämpfer sie sind.

Batman ist eine positive Figur, das war der Retter von Gotham City!

Und Sie glauben, dass Sie Wolfsburg gerettet haben – oder sagen Sie das bloß, damit es nicht schon wieder Ärger mit den Arbeitnehmern gibt?

Mit dem Betriebsrat bin ich in Frieden mittlerweile. Und ich sehe, dass unsere milliardenschweren Entscheidungen anfangen zu wirken. Unser Hauptstandort Wolfsburg entwickelt sich jetzt einfach gut. Ich glaube, wir sind das beste Autounternehmen der Welt. Währenddessen wachen einige Konkurrenten jetzt erst auf. Deswegen bin ich sehr viel ruhiger geworden.

Vor zwei Jahren haben Sie uns erklärt, dass sie mittels eines Methodenkastens führen, in dem sich auch eine Flex befindet. Aber dass Sie damit bei VW nicht weiterkommen.

Ne, das haben Sie mir in den Mund gelegt. Und außerdem bin ich sehr lernfähig.

Also um genau zu sein, sagten Sie: Ich kann auch mit der Flex arbeiten. Was bedeuten sollte: Sie wollen diesen Laden auseinandernehmen, weil er zu langsam ist.

Wenn Sie wollen: ich bin schon einer, der im Schumpeterschen Stil arbeitet…

… der Ökonom prägte den Begriff der “schöpferischen Zerstörung”…

Die Innovation kommt auch, indem man Etabliertes, was nicht mehr funktioniert, infrage stellt und abreißt. Und das ist natürlich in so einer Zeit wie jetzt mit dieser historischen Transformation wichtig.

Ihre Kritiker sagen: Probleme analysieren und das Bestehende zerlegen kann der Diess gut, aber beim Aufbauen und Zusammensetzen haperts.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Bei der Betriebsversammlung kam die Frage auf, wer wie viel in Wolfsburg getan hat. Da erschienen die Altvorderen – Piech und Winterkorn und deren Vorgänger. Der eine hat ein Theater gebaut, der andere das Kunstmuseum und die Autostadt. In meiner Amtszeit haben wir zwei Milliarden Euro für ein neues Werk entschieden, eine Milliarde für ein neues Entwicklungszentrum. Überhaupt ist ganz Niedersachsen für die Elektromobilität durchinvestiert, jeder Standort hat jetzt eine extrem gute Zukunftsperspektive bekommen: In Salzgitter wird in dieser Woche der Grundstein gelegt für die größte deutsche Batteriezellfabrik. Wieder zwei Milliarden Euro.

Interview mit VW-Chef: Wer hat am meisten für Wolfsburg getan? Herbert Diess findet, dass er da durchaus vorne mitspielt.

Wer hat am meisten für Wolfsburg getan? Herbert Diess findet, dass er da durchaus vorne mitspielt.

(Foto: Carsten Koall/dpa)

Nach so viel Begeisterung sei die Frage erlaubt, die viele stellen, wenn in Wolfsburg doch mal wieder gestritten werden sollte: Was kann ein Herbert Diess eigentlich besser als jeder andere Manager?

Den Wandel. Den Wandel kann er besser als jeder andere. Und den hab ich technologisch breit im Blick.

Die Breite ist ja ein zweiter Punkt, den ihnen ihre Kritiker vorwerfen: Immer noch ein Projekt macht der Diess. So viele sind es, dass man sich fragt: Wo ist sein Fokus?

Ja, das ist schon eine berechtigte Frage. Aber die Breite ist auch erforderlich. Da sind lauter neue Themen, was gar nicht an mir liegt: Wer hätte vor vier, fünf Jahren gedacht, dass wir uns jetzt im Vorstand mit Lithium-Minen in Afrika beschäftigen müssen? Und wir müssen mittlerweile darum kämpfen, wer die Hoheit im Digitalen hat, etwa auf den digitalen Schnittstellen, quasi den Displays im Auto: Apple und Google drängen hier massiv, wollen uns die Kunden an dieser Schnittstelle abnehmen, das ist eine Gefahr.

Genau darauf, aufs Digitale, sollen Sie den Fokus legen, hat Ihnen der Aufsichtsrat verordnet.

Das ist auch der mit Abstand das wichtigste Wandel. Wir werden unsere Kunden chauffieren, das ist eine ganz neue Verantwortung für uns. Und die Kunden wollen zudem ein perfektes Erlebnis in den Autos – wollen Filme ansehen, arbeiten oder gamen im Auto.

Vor allem Ersteres ist derart schwierig, mit verschiedenen Software-Versionen, dass die Zeitpläne in der entsprechenden VW-Tochter namens Cariad gerissen wurden und neue Autos zu spät kommen, etwa der Porsche E-Macan oder das früher viel gepriesene Audi-Roboterauto Artemis.

Software im Auto, das ist eine Revolution wie die Umstellung vom Telefon aufs Smartphone. Das lässt sich nicht bis morgen machen. Aber wir sind dran. Wir sind die einzigen, die autonome Shuttles und hochleistungsfähige Fahrassistenzsysteme parallel entwickeln, im eigenen Haus – und mit Partnern wie Bosch, Mobileye und Qualcomm.

Es gab in den vergangenen Wochen dennoch eine Debatte, wer nun die Verantwortung trägt, dass sich die Digital-Revolution verzögert: Audi-Chef Markus Duesmann oder Sie?

Ich glaube, wir haben beide alles gemacht, was zu tun war, was zu tun ist. Und wir mussten ein wenig umsteuern und außerplanmäßig Dinge parallel entwickeln. Das ist nicht optimal, kostet mehr Geld. Aber wir kommen dennoch voran. Der ID Buzz, unserer neuester VW-Bus, ist etwa an der Weltspitze bei der Fahrassistenz und der Spracherkennung. Da können sie jeden fragen.

Die Verantwortlichkeit, dass daraus ein wirkliches Roboterauto wird, ist nun klar, oder? Lassen Sie sich daran persönlich messen?

Es ist und bleibt eine Konzernaufgabe und zwar die größte. Und wir werden sie bewältigen.

Interview mit VW-Chef: Stiftet Hoffnung bei Volkswagen, macht aber gerade auch noch ein paar Probleme: Der neue elektrische VW-Bus, genannt ID Buzz.

Stiftet Hoffnung bei Volkswagen, macht aber gerade auch noch ein paar Probleme: Der neue elektrische VW-Bus, genannt ID Buzz.

(Foto: Brandonlajoie)

Da scheint der Wandel hin zu Elektroautos vergleichsweise harmlos, auch wenn sich gerade herausgestellt hat, dass die Batterien bei Ihrem ID Buzz fehlerhaft sind.

Das mit den Batterien ist ein kurzfristiges Zuliefererproblem, das wird schnell abgearbeitet. Insgesamt haben wir die Elektrotransformation tatsächlich schon ganz gut verarbeitet. Wir wissen, wie die nächsten Plattformen unserer Autos aussehen, wir wissen, welche Chemie wir dafür brauchen, wir haben mit die besten Batterieexperten der Welt in der Entwicklung und für die Fertigung.

In den USA wird Volkswagen sogar zum Stromhändler.

Das ist absolut ein relevantes Geschäftsfeld. Wir wollen Batterieautos künftig auch mit Strom versorgen: 50 Prozent sollen ja im Jahr 2030 vollelektrisch fahren und in Europa in 2035 100 Prozent der Neuwagen.

Die Frage ist, ob das klappen wird. Es fehlen Rohstoffe, es fehlen Ladesäulen.

In Europa wird die Infrastruktur kein Problem sein, da fließen gerade sehr viele Investitionsmittel rein, auch von den Mineralölkonzernen, die zum Beispiel ihre Tankstellen weiterbetreiben wollen. Der Engpass in Europa und anderswo könnten ab Mitte des Jahrzehnts die Batterien und Batteriezellfabriken werden, die bleiben knapp.

Wenn es also Unwägbarkeiten gibt: Was bedeutet das für die Transformationspläne? Ganz eilig hat es ja Audi, die 2032 komplett aussteigen wollen aus dem Verbrenner.

Der Verbrenner-Ausstieg ist immer eine gesellschaftliche Entscheidung, keine der Hersteller. Wir können auf alle Szenarien und Geschwindigkeiten in der Welt sehr gut reagieren: Wir haben schon jetzt das breiteste Elektro-Portfolio weltweit und entwickeln noch einmal neue Verbrennermotoren. Da mache ich mir keine Sorgen. Unklar ist, wie sich Indien entwickelt und auch die USA, deshalb werden wir uns die Welt dahingehend in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts noch mal genauer anschauen. Aber vielleicht hat unser Finanzminister Lindner auch recht und wir kriegen synthetische Kraftstoffe. Das wäre super, dann sind wir jetzt schon fertig mit der Transformation.

Sie klingen spöttisch. Dabei sind diese sogenannten E-Fuels ja angeblich ein großes Ding: Gemeinsam mit Lindner hofft ein Teil der Industrie darauf – einschließlich ihrer Tochterfirma Porsche. Denn so ließe sich klimafreundlicher Kraftstoff in die Tanks von Benzinautos kippen.

Die Effizienz von E-Fuels ist aber nun mal extrem schlecht. Für die Herstellung braucht es viel Strom. Um ein paar Prozent lässt sich der Prozess vielleicht optimieren, aber die Größenordnungen bleiben: Wenn in 2030 einer für 10 Euro Strom tankt, um 500 Kilometer weit zu kommen, wird der E-Fuel-Fahrer 60 Euro ausgeben müssen. Das kann man sich für wenige Fahrzeuge vorstellen. Für Flugzeuge wird es vielleicht die Regel. Deshalb macht die Entwicklung und Herstellung absolut Sinn.

Apropos Mainstream: Was wird aus dem größten Markt der Welt, China? Von dort kam bislang die Hälfte Konzerngewinns. Aber so Vieles ist schwierig.

Wir haben in China sicherlich zwei große Herausforderungen: Im Einstiegssegment müssen und werden wir die Kosten senken. Und im Premiumsegment brauchen wir in China Fahrerassistenz und Vernetzung im chinesischen Ökosystem.

Der Wolfsburger Programmierer wird asiatische Gimmicks programmieren?

Nein, wir bauen Cariad vor Ort weiter aus und werden Softwarefirmen vor Ort zukaufen.

Und was ist mit der dritten Herausforderung, der Politik? Alle reden vom Decoupling, also einem Auseinanderleben.

Eine Abkopplung vom chinesischen Wirtschaftsraum wäre für Deutschland und Europa sehr bitter. Unser Wachstum hängt eng mit dem chinesischen Wachstum zusammen.

Aber ist die Abkopplung nicht angezeigt? China bedroht Taiwan.

Ich empfinde China nicht als Treiber der Abkopplung, es möchte nur autarker werden, das machen die USA ja nicht anders – in Europa stünde uns das in den Bereichen, in denen wir wettbewerbsfähig sind, auch gut zu Gesicht. China geht zudem davon aus, dass Taiwan Teil des Landes ist, weil es bis zum Zweiten Weltkrieg so war. Aber dennoch glaube ich nicht an eine kurzfristige Eskalation des Konflikts, denn die Welt produziert dort ihre Halbleiter der neuesten Technologien, auch viele chinesische Unternehmen.

Interview mit VW-Chef: Bei schwieriger Menschenrechtslage sollte man besser hinschauen als weggehen, findet Diess: Chinesische Polizisten vor einem Umerziehungslager in der Region Xinjiang.

Bei schwieriger Menschenrechtslage sollte man besser hinschauen als weggehen, findet Diess: Chinesische Polizisten vor einem Umerziehungslager in der Region Xinjiang.

(Foto: Mark Schiefelbein/AP)

Sie vergleichen jetzt ganz unterschiedliche Kulturen. Gerade wurden etwa neuerliche Berichte bekannt aus der Provinz Xinjiang, wo VW ein Werk hat: Diese zeigen abermals, wie sehr die dort beheimateten Uiguren unterdrückt werden von der Regierung.

Seit ich bei Volkswagen bin, habe ich mich regelmäßig versichert, dass wir in unserem Werk mit Minderheitsbeteiligung alles tun, damit dort nicht diskriminiert wird. Das muss unser Joint-Venture-Partner SAIC sicherstellen – so tragen wir insgesamt auch bei zur Entwicklung der Region.

Das mag für das Werk ja vielleicht zutreffen, aber letztlich hat keiner unabhängig Zugang. Und hat überdies nicht IG-Metall-Chef Jörg Hoffmann Recht, der sagt: “Wenn rechts und links sichtbar Menschenrechtsverletzungen passieren, verlange ich Handeln.”

Ich bin dagegen, sich aus der Region zurückzuziehen. Ich bin überzeugt, dass es die Situation der Menschen vor Ort, gerade der Minderheiten verbessert, wenn wir bleiben. Unsere Besuche, unser Nachfragen, unsere Ansprache des Themas mit Regierungsstellen und unseren Joint-Venture-Partnern öffnen, erhöhen Transparenz, adressieren Verantwortung und stellen unsere Werte klar. Ich will deshalb auch baldmöglichst selbst dorthin reisen – und ich sage auch in jedem Gespräch mit unserem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC oder dem chinesischen Botschafter: Ihr müsst Euch öffnen, auch gegenüber Journalisten.

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