Von Mönchengladbach nach Leipzig: Das beispiellose Wechsel-Theater um Max Eberl

In weniger als einem Jahr ist Max Eberl bei Borussia Mönchengladbach vom gefeierten Vater des Erfolgs zur Persona non grata geworden. Das liegt nicht allein an seinem Wechsel zum bei den Fans von Traditionsvereinen verhassten Konkurrenten RB Leipzig. Das liegt auch an den Begleiterscheinungen seines Weggangs, der selbst für Profifußball-Verhältnisse eine Vielzahl von Ungereimtheiten mit sich bringt. Die Chronologie eines monatelangen Hickhacks mit Max Eberl, Borussia Mönchengladbach und Leipzig-Vorstandschef Oliver Mintzlaff in den Hauptrollen.

20. Dezember 2020:

Zwei Wochen nach dem völlig überraschenden Einzug ins Achtelfinale der Champions League macht Borussia Mönchengladbach seinen Fans ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Die “Fohlen” geben bekannt, dass Sportdirektor Max Eberl und Finanz-Geschäftsführer Stephan Schippers ihre Arbeitsverträge vorzeitig bis 2026 verlängert haben. Eberl, der in den Vorjahren immer mal wieder mit seinem Jugendklub Bayern München in Verbindung gebracht worden war, bindet sich langfristig an die Borussia. Die Fans sind entzückt, schließlich bleibt der Vater des Gladbacher Höhenflugs der vergangenen zehn Jahre an Bord.

Januar 2021:

Max Eberl macht eine Auszeit in den Schweizer Alpen. Das “Sabbatical” hatte er sich im Rahmen seiner Vertragsverlängerung vom Verein zusichern lassen. Ein Monat ohne Fußball, das ist der Plan. Wegen der vermeintlichen “Badewannen-Affäre” um Breel Embolo beendet Eberl die Auszeit vorzeitig, kehrt nach zwei Wochen und drei Tagen in den Borussia-Park zurück, um wieder Ruhe in den Verein zu bekommen.

Februar/März 2021:

Gladbach schlittert in die Krise. Erst setzt es eine peinliche Derby-Pleite gegen den 1. FC Köln, dann gibt eine Woche später Trainer Marco Rose das bekannt, was wochenlang im Raum stand: seinen Wechsel zu Borussia Dortmund. Die Stimmung im und um den Verein ist plötzlich im Keller. Nach der Wechsel-Ankündigung von Rose verliert die Mönchengladbacher Borussia vier Ligaspiele in Folge, scheidet im Pokal-Viertelfinale ausgerechnet gegen Dortmund aus. Aus dem erhofften Feiertag im Champions-League-Achtelfinale gegen Manchester City werden zwei trostlose Partien in Budapest, wohin die Paarung wegen strenger Corona-Beschränkungen in Deutschland verlegt wird.

Ende März gewinnt Gladbach nach wettbewerbsübergreifend sieben Niederlagen in Folge mit 3:0 auf Schalke. Dadurch rettet sich Marco Rose vor einer frühzeitigen Entlassung, die große Teile der Borussia-Fanszene fordern und Eberl zu einer Grundsatzkritik an kritischen Fans und Medien veranlassen. “Ich bin schockiert, wie man heutzutage dumpf und dumm irgendwelche Kommentare in den sozialen Medien verbreiten kann und der Journalismus das als Wahrheit weiterverkauft. Dumpfbacken verbreiten Lügen. Das ist das Problem unserer Gesellschaft. Es entstehen Wut, Hass und Zorn wegen Aussagen, die nicht der Wahrheit entsprechen.”

Der “Dumpfbacken”-Kommentar wird unter den Gladbacher Fans extrem kritisch gesehen. Zumal Eberl bereits zuvor der Makel anhaftete, Belange der Fans nicht ernst genug zu nehmen. Anfang 2020 hatte er Proteste der Ultras gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp scharf verurteilt und dafür von der aktiven Szene die Quittung in Form eines Spruchbands kassiert: “Eberl: Sportlich Champions League, fanpolitisch Kreisliga!”

April 2021:

Eberl präsentiert mit Adi Hütter, den er von Eintracht Frankfurt loseist, den Rose-Nachfolger. In der Branche wird der Wechsel des reservierten Österreichers als Coup wahrgenommen. 7,5 Millionen Euro Ablöse überweist Gladbach für Hütter an die Eintracht. Die zweithöchste Trainer-Ablöse in der Bundesliga-Geschichte, nur Julian Nagelsmann ist bis heute teurer.

In dieser Phase beginnt der zweite Handlungsstrang in der Saga um Max Eberl und Leipzig. RB-Vorstandschef Oliver Mintzlaff muss sich nach einem neuen Sportdirektor umsehen, weil Markus Krösche Leipzig in Richtung Eintracht Frankfurt verlässt. Die Sachsen verfolgen einen “klaren Plan” und hätten bereits “jemanden im Visier”, gibt Mintzlaff zu Protokoll und äußert die Hoffnung, dass der Sportdirektor-Posten bis zum Start der Saison 2021/22 neu besetzt ist.

Mai 2021:

Auf der Zielgeraden der Saison verspielt Gladbach die Europapokal-Teilnahme. Am Ende landet die Borussia auf einem undankbaren achten Platz, Trainer Marco Rose zieht nach Dortmund weiter. Borussia Mönchengladbach gibt unterdessen bekannt, dass die Schweizer TV-Moderatorin Sedrina Schaller überraschend Assistentin von Teammanager Christofer Heimeroth wird. Außerhalb Gladbachs ist die Personalie zunächst nur eine Randnotiz, doch das wird sich später ändern.

August 2021:

Gladbachs Saisonstart unter Neu-Trainer Hütter misslingt. Die Borussen laufen von Beginn an den anvisierten Europapokalplätzen hinterher. Wie sich später herausstellt, wurden Hütter Neuverpflichtungen versprochen, die Eberl jedoch nicht wahr machen kann, weil sich vor allem wegen fehlender Spielerverkäufe kein finanzieller Spielraum für kostspielige Transfers ergibt. “Leider ist das, was mir in der Sommertransferzeit versprochen wurde, nicht eingehalten worden. Auf Spielerebene hat sich nichts getan”, sagte Hütter ein Jahr später bei “Servus TV”.

Oktober 2021:

Max Eberl will in Gladbach nicht mehr weitermachen und äußert diesen Wunsch gegenüber der Vereinsspitze. Die Öffentlichkeit bekommt vom internen Eberl-Beben nichts mit. “Als uns Max Eberl im Oktober letzten Jahres angesprochen hat, waren wir erschrocken. Wir haben alles daran gesetzt, um ihn zu halten, ihn umzudrehen”, wird Präsident Rolf Königs im Januar bei der denkwürdigen Abschieds-Pressekonferenz von Eberl sagen. Auch Adi Hütter wird im Herbst 2021 von seinem Sportdirektor informiert. “Max Eberl hat mich in sein Büro zitiert und hat mir das gesagt. Zu dem Zeitpunkt war es für mich ein absoluter Nackenschlag. Das muss ich ganz klar sagen”, sagte der Österreicher unmittelbar nach Eberls Abschied drei Monate später. “Das war ein Schlag ins Gesicht”, legt Hütter im September 2022 bei “Sky Sport Austria” nach und datiert die Eberl-Info sogar auf Ende September 2021.

Dezember 2021:

Acht Monate nach dem Abschied von Markus Krösche habe Leipzig endlich einen neuen Sportdirektor gefunden, verkündet Oliver Mintzlaff. Es handelt sich laut des Vorstandschefs um einen Mann, der noch bei einem anderen Verein tätig sei. Deshalb werde kein Name genannt. Mintzlaff gibt jedoch zu, dass der ominöse Mister X bereits in die Suche nach einem neuen Trainer eingebunden war. Man habe sich über den Nachfolger des geschassten Jesse Marsch “ausgetauscht”, sagt Mintzlaff.

Neuer Leipziger Coach wird Domenico Tedesco, der mit einem 4:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach einsteigt. Über Tedesco war zu Jahresbeginn auch in Gladbach kurzzeitig spekuliert worden, nachdem Rose seinen Wechsel verkündet hatte.

13. Januar 2022:

Sedrina Schaller verlässt Gladbach nach acht Monaten wieder. Als Erklärung wird ihre Beziehung mit Max Eberl angegeben. Im Oktober hatte die “Bild”-Zeitung berichtet, dass Schaller die neue Freundin von Eberl ist. “Sedrina hat sich entschieden, ihren Traum aufzugeben, auch ein Stück weit aus der Konstellation, die sich ergeben hat. Beruflich und privat”, begründet Gladbachs Sportdirektor die Entscheidung.

Borussia steckt Anfang des neuen Jahres im Abstiegskampf. Auch der 2:1-Sieg zum Rückrundenauftakt bei den Bayern bedeutet nicht die Wende, vielmehr spitzt sich die Lage am Niederrhein in den Wochen darauf zu. Sportdirektor Eberl kokettiert auf der Pressekonferenz vor dem Rückrunden-Auftakt mit Investoren, auf die Borussia in Zukunft setzen müsse, wenn man weiter erfolgreich sein möchte. “Es kann durchaus sein, dass Europa ein utopisches Ziel für uns wird, wenn immer mehr Vereine immer kreativere Wege finden, sich finanziell aufzustellen, und wir auf unserem Weg bleiben.”

18. Januar 2022:

Eine knappe Woche später folgt der nächste merkwürdige Eberl-Auftritt. Auf der PK vor dem Pokal-Achtelfinale in Hannover präsentiert sich Gladbachs Sportdirektor ungewohnt wortkarg, beantwortet Fragen pampig und spricht Trainer Adi Hütter zweimal mit “Dieter” an. Zwei Tage später fliegt Borussia beim Zweitligisten hochkant aus dem Pokal raus. Ohne Max Eberl, der krankheitsbedingt fehlt. Wie sich später herausstellt, ist die Pressekonferenz vor dem Pokalspiel in Hannover Eberls letzte “normale” PK in Diensten der Gladbacher.

28. Januar 2022:

Max Eberl verkündet unter Tränen das, was er schon im Oktober forciert hatte: das Ende seiner Sportdirektoren-Laufbahn bei Borussia Mönchengladbach. “Ich bin müde. Ich habe keine Kraft mehr, diesen Job auszuüben. Fußball ist mein Leben, Fußball ist meine Freude. Viele Dinge drum herum sind nicht mehr meine Freude und nicht mein Spaß.”

Der Gerüchteküche nimmt der gebürtige Münchner vermeintlich den Wind aus den Segeln. “Wenn jetzt irgendeiner glaubt, ich mache das hier, weil ich einen Vereinswechsel haben will, bitte vergesst das ganz schnell. Ich will einfach raus, ich will einfach mit diesem Fußball gerade nichts zu tun haben. Ich will einfach mal die Welt sehen.”

Schon damals gab es im Gladbacher sowie im Leipziger Umfeld Gerüchte, dass Eberl über einen Wechsel zu RB nachdenkt. Auch ntv berichtete darüber. Ob Eberl damals zurücktrat, um schon kurze Zeit später mit dem “Brause-Klub” zu verhandeln, kann aber nicht bewiesen werden. RB-Vorstandschef Mintzlaff teilt im September bei “Bild live” mit, dass sich Leipzig kurz nach der Abschieds-PK zunächst eine Absage von Eberl eingehandelt habe.

Klar ist, dass Borussias Verantwortliche Eberls überstürztes und überraschendes Ende mit Argwohn beobachtet und deshalb auch nicht seinem Wunsch nach vorzeitiger Vertragsauflösung stattgegeben haben. Vor allem Gladbachs Präsident Rolf Königs wird medial stark für seinen Auftritt bei der PK kritisiert. Als herz- und empathielos wird der 81-Jährige damals wahrgenommen. Man habe Eberls Abschied “respektiert, aber nicht akzeptiert”. Eine Aussage, die im Nachhinein tief blicken lässt.

5. März 2022:

Leipzigs Vorstandsboss Mintzlaff kündigt an, dass im Sommer ein neuer Sportdirektor bei RB aufschlägt. Ein Jahr später als ursprünglich geplant. Erneut wird kein Name genannt. “Ob wir das im März noch verkünden, kann ich an der Stelle nicht sagen”, so das knappe Statement vom RB-Mann.

13. Mai 2022:

Max Eberl meldet sich aus seiner Auszeit. Er hat einen Offenen Brief verfasst, den er über das Fanprojekt Mönchengladbach veröffentlichen lasst. Darin richtet Eberl einige Worte an die Fans von Borussia Mönchengladbach. Sein Rückzug sei “keine adhoc-Entscheidung” gewesen. Er habe die “radikale Entscheidung”, Gladbach verlassen zu wollen, “intern schon länger kommuniziert”.

30. Juni 2022:

Oliver Mintzlaff kündigt über die RB-eigenen Kanäle die nächste Wende bei der Sportdirektor-Suche in Leipzig an. “Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass wir im Juli einen neuen Sportdirektor vorstellen würden. Allerdings haben sich die Dinge kurzfristig anders entwickelt: In den Wochen nach dem Pokalfinale haben wir dem Kandidaten, mit dem wir uns einig waren, aus den unterschiedlichsten Gründen abgesagt. Ein Grund dafür war, dass sich für uns zeitgleich überraschenderweise eine andere Tür geöffnet hat, die für uns eine extrem große Chance bedeutet. Allerdings werden wir diesen besagten Sportdirektor leider noch nicht im Juli präsentieren können, sondern aus nachvollziehbaren Gründen erst nach dem Ende der aktuellen Transferperiode.”

Wer die “extrem große Chance” für Leipzig ist, sagt Mintzlaff nicht. Bis heute ist auch völlig unklar, mit wem sich RB angeblich seit Dezember 2021 einig gewesen ist, wen man in die Trainer-Entscheidung pro Tedesco einbezogen und ein halbes Jahr später nun aber wieder abgesagt haben will. Mintzlaff druckst rum: “Wir hatten und haben immer einen Plan. Deshalb werden alle meine bisher gewählten Worte im Zusammenhang mit dieser Personalie in die Tat umgesetzt, da muss sich niemand Sorgen machen.”

Dass Eberl aber spätestens nach dem Pokalsieg wieder ins Visier der Sachsen gerückt ist, hat Mintzlaff mittlerweile bestätigt. Er habe nach der Absage zu Jahresbeginn “bei Eberl nicht locker gelassen, wohlwissend, dass die Tür nicht einmal einen Spalt offen war.”

30. Juli 2022:

“Sky” berichtet, dass Eberl mit Leipzig verhandelt und dort neuer Geschäftsführer Sport werden soll. Mintzlaff kann die Personalie nicht lange unbestätigt lassen. Schnell wird klar: Eberl ist der designierte neue starke Mann bei den finanzstarken “Rasenballsportlern”. Ein vermeintlicher “Transfer-Hammer”, der Mönchengladbach allerdings nicht unvorbereitet trifft. Gerüchte um einen Kontakt zwischen Eberl und RB Leipzig hielten sich wochenlang hartnäckig.

13. September 2022:

Das Fanprojekt Mönchengladbach (FPMG) publiziert einen Offenen Brief auf seiner Internetseite. Darin wird Max Eberl scharf angegangen und eines “Schauspiels” bezichtigt. “Der Öffentlichkeit dieses Bild von deiner Profifußball-Ermüdung zu vermitteln, während du gleichzeitig um deinen Abgang zu Red Bull feilschst, ist – wir können es nicht anders formulieren – schlicht und ergreifend schäbig und ein Schlag ins Gesicht eines jeden tatsächlich von Burnout betroffenen Menschen.”

17. September 2022:

Borussia Mönchengladbach besiegt RB Leipzig mit deren Neu-Trainer Marco Rose 3:0. Spruchbänder der Gladbacher Ultras, die den Offenen Brief des Fanprojekts “zu 100 Prozent unterschreiben können”, sorgen für Entrüstung. Die Beleidigung “Ein Hurensohnverein stellt nur Hurensöhne ein” sorgt sogar dafür, dass Schiedsrichter Patrick Itrrich eine Lautsprecher-Durchsage veranlasst und fordert, das Spruchband abzunehmen.

19. September 2022:

Nach einem wochenlangen Ablöse-Hickhack zwischen Leipzig und der Borussia, die Eberls Vertrag nach dessen Abschied nur hat ruhen lassen, ist die 17 Monate lange Suche nach einem neuen RB-Sportdirektor beendet. Nach ntv-Informationen zahlt RB Leipzig mindestens fünf Millionen Euro Ablöse, die sich erfolgsabhängig weiter erhöhen kann.

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